Franziskaner - Frühling 2025

22 FRANZISKANER 1|2025 Attacken vonseiten der Demonstrierenden. Im Gegensatz dazu ziehen Freiwillige von Tag Meir durch die Altstadt und bieten Palästinenser:innen Blumen als Zeichen der Freundschaft und Solidarität an. Ein schwerer Besuch Auch spontane Solidaritätsbesuche bei Einzelnen und Gemeinschaften, die angegriffen wurden, sind Teil des Engagements von Tag Meir – so der Besuch in der palästinensischen Kleinstadt Chawara im März 2023. Am 26. Februar, wenige Stunden nachdem ein Palästinenser in dem an der Hauptverkehrsstraße der Gegend gelegenen Ort zwei durchfahrende Siedler erschossen hatte, kamen hunderte von Siedlern nach Chawara und zündeten Dutzende Häuser und Hunderte Fahrzeuge an. Etwa hundert Palästinenser und Palästinenserinnen wurden verletzt, vor allem durch Rauchvergiftungen. Das Ganze dauerte mehrere Stunden. Nach Aussagen von Palästinenser:innen griff die israelische Armee spät und zögernd ein. Einen Siedlerangriff solchen Ausmaßes hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Tag Meir entschied sich zu einem Solidaritätsbesuch. In einem Bus fuhr ich mit circa dreißig weiteren Mitgliedern von Tag Meir in Jerusalem los. Gadi Gevaryahu hatte zuvor gemahnt: »Der Besuch ist sowohl mit der israelischen Armee als auch mit Palästinensern in Chawara abgesprochen, aber niemand kann uns garantieren, dass uns nicht doch jemand angreifen wird. Es wird ein schwerer Besuch werden. Wer sich nicht sicher fühlt, kann noch aussteigen.« Niemand stieg aus. Nach etwa einer Stunde Fahrt kamen wir in Chawara an. Israelische Soldaten an vielen Ecken. Anordnung, die Geschäfte geschlossen zu halten. Einwohner:innen, die den Bus von Israelis betrachteten. Zorn lag in der Luft und in den Stimmen. Ein junger Mann, der hebräisch sprach, wandte sich an uns: »Wie soll ich meinem Sohn klarmachen, dass es solche und solche Israelis gibt?« Wir betraten eines der Häuser an der Hauptstraße, stiegen durch ein verkohltes Treppenhaus, das noch nach Rauch stank, in das erste Stockwerk. Im Wohnzimmer eine ältere Dame, die anfing, von der Brandnacht zu erzählen. Ihre Tochter wohnt im Haus gegenüber, stundenlang wusste sie nicht, was mit ihr geschehen war. Wir setzen uns und hörten zu. Die Möglichkeit, Israelis von dem Geschehen zu erzählen und von ihnen Empathie zu empfangen, schien die Atmosphäre etwas zu entspannen. Solidarität mit allen Die Aktivitäten und Solidaritätskundgebungen von Tag Meir beschränken sich nicht auf Palästinenser und Palästinenserinnen. Auch christliche Kleriker und Institutionen – einheimische wie ausländische – werden in den letzten Jahren immer wieder Opfer religiösen Hasses: Auch hier organisiert Tag Meir Solidaritätsbesuche. Knapp einen Monat vor den Ausschreitungen in Chawara traf es die franziskanische Kirche der Flagellatio in der Jerusalemer Altstadt. Ein jüdisch-amerikanischer Tourist warf eine Jesus-Statue in der Kapelle um und beschädigte sie. Einem der Wächter gelang es, den Mann zu überwältigen, und die Polizei verhaftete ihn. Schon am nächsten Tag machte sich eine kleine Gruppe im Namen Tag Meirs mit einem großen Blumenstrauß auf den Weg – im Vergleich zu der Fahrt nach Chawara ein einfaches Unternehmen. Den Franziskanern fiel es leichter, den Unterschied zwischen Fanatikern und andersdenkenden Israelis zu sehen. Wir wurden vom Obersten des Klosters und einem weiteren Franziskaner, der hebräisch sprach und übersetzte, herzlich begrüßt und bekamen auch eine ausführliche Führung durch das kleine archäologische Museum mit wichtigen Exponaten aus der Zeit Jesu und des frühen Christentums – ein Museum, dem man mehr israelische Besucher und Besucherinnen wünschen würde, die ihr Wissen über das Christentum erweitern wollen. Seit dem 7. Oktober 2023 haben die Hassverbrechen enorm zugenommen. Gewalt gegen Palästinenser:innen im Westjordanland ist Alltag geworden. Aber die angespannte Sicherheitslage ermöglicht es zur Zeit nicht, Besuche wie den in Chawara zu organisieren. Tag Meir bleibt durch einen palästinensischen Mitarbeiter in Kontakt mit geschädigten Gemeinschaften und richtet Schreiben an die Behörden, die verstärkten Schutz für die ge²ährdete Bevölkerung einfordern – mit begrenztem Erfolg. Um so intensiver sind die Solidaritätskundgebungen im Staatsgebiet Israels selbst, wo arabische Staatsbürger vermehrt Anfeindungen ausgesetzt sind, nur weil sie arabischer Abstammung sind. Der Staat Israel geht durch die dunkelste Zeit seiner Geschichte. Ein Licht am Ende des Tunnels ist noch nicht zu sehen. Doch es gibt kleine Lichter entlang des Weges. Tamar A. Avraham Das P¸anzen eines Ölbaumes ist Teil des Projektes »urgent response«, bei dem es um schnelle Reaktionen auf Terroranschläge oder Hassverbrechen geht. Ziel ist es, vor Ort zu sein, Opfer und Angehörige zu besuchen oder bei Aufräumarbeiten zu helfen sowie Solidarität zwischen den verschiedenen Gruppen der israelischen Gesellschaft zu entwickeln. BAUMPFLANZAKTION: © URGENT RESPONSE

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