33 FRANZISKANER 1|2025 er auf … Im Zentrum steht die geradezu intime Beziehung zum Mensch und Bruder gewordenen armen Jesus Christus. Diesem begegnet er in bevorzugter Weise im Wort der Schrift und in der Eucharistie. Diesen Glauben hat er, wie er im Testament sagt, in den Kirchen gefunden. Seine Ehrerbietung an die Priester beruht daher nicht auf deren hierarchischer Stellung. Vielmehr achtet er deren Dienst, allen Glaubenden Zugang zu Schrift und Sakrament, Geist und Leben zu erschließen. So betont er auch das »Katholischsein« nicht im heutigen eingrenzenden konfessionellen Verständnis, sondern im Sinne der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft aller »religiös lebendigen Christen, Klerikern und Laien, Männer und Frauen, allen, die in der ganzen Welt wohnen …« (2. Brief an die Gläubigen). Ohne Standesunterschiede nimmt Franziskus immer alle Gläubigen in den Blick. So will er auch, dass die hierarchischen Titel in seiner wachsenden Bruderschaft nicht eingeführt werden. Diese werden durch eine Terminologie ersetzt, die dem Dienstcharakter entspricht. Er gründet keinen Priesterorden, in dem es auch Laienbrüder gibt; er initiiert eine Bruderschaft, in der es auch Kleriker gibt. In Leitungsämter werden Brüder auf Zeit auf Versammlungen der Brüder gewählt. Historisch entwickelt sich dann diese Brudergemeinschaft nach dem Tod von Franziskus dennoch klerikal. Den Fußspuren des armen Christus folgend, lebte Franziskus mit den ersten Brüdern seinen Glauben meist an der Peripherie der Kirche unter den Armen und Ausgestoßenen. Während seine reiche Heimatstadt im Zentrum eine neue Kathedrale baut, sammelt er Steine, um die verfallenen Kapellen der Tagelöhner außerhalb der Mauern zu restaurieren. Seine evangeliumsgemäße Radikalität erinnert daran, dass die Institution der Kirche, die er anerkannte, dazu berufen ist, zu dienen und nicht das Wort Gottes zu verdunkeln. Wichtiger als notwendige institutionelle Strukturen ist die charismatische Grundhaltung, die dem Wirken des Gottesgeistes folgt. Die Freiheit des Geistes bindet Franziskus dann wieder durch seine Gehorsamsversprechen in die Institution Kirche ein. Diese Gehorsamsworte der Kirche und dem Papst gegenüber können beim oberflächlichen Lesen den Eindruck von Kadavergehorsam erwecken. Bei genauerem Hinhören kann man jedoch feststellen, dass das Ziel dieser Versprechen nicht der Gehorsam gegenüber Kirche und Papst ist. Das eindeutige Ziel des Gehorsams ist es, »die Armut und Demut und das heilige Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu beobachten, was wir fest versprochen haben« (Endgültige Regel 12,3²). Die »Unterwerfung« unter die Kirche und den Papst besteht insofern, dass diese dafür Sorge tragen, dass die Brüder nach dem Evangelium leben. Dafür Sorge tragen, dass die Brüder nach dem Evangelium leben, kann aber nur ein Papst und eine Kirche, die sich selbst am Evangelium orientieren. Beim korrekten Lesen des Finalsatzes in der von Franziskus gewollten Regel erkennt man seinen bravourösen Schachzug: Mit seinem Gehorsamsversprechen verpflichtet er den Papst und die Kirche auf das Evangelium. Denn nur, wenn sie es selbst befolgen, können sie es im Gehorsam von anderen einfordern. Vor dem Hintergrund einer mehr und mehr zu einer hierarchischen Institution mutierenden Kirche kann man in Franziskus einen Gläubigen zwischen Gehorsam und praktischem Nonkonformismus sehen. In einer hierarchisch-klerikalen Kirche bewahrt er eine geschwisterliche Orientierung. Die institutionelle Kirche bringt er mit einer charismatischen Lebensweise in die Waage. Der Zentralisierung in Rom begegnet er mit der peripheren Kirche der Armen und Ausgeschlossenen. Er lebt und fördert in der Kirche das, was dem Evangelium entspricht, und er stellt sich, ohne Ablehnung, Besserwisserei und Verachtung Raum zu geben, dem entgegen, was nicht dem Evangelium entspricht. Franziskus lebt und fördert in der Kirche das, was dem Evangelium entspricht Prof. Dr. Johannes-Baptist Freyer OFM lehrte Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie in Rom. Heute ist er Referent für franziskanische Grundsatzfragen bei »Franziskaner Helfen« in Bonn.
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