Franziskaner - Frühling 2025

37 FRANZISKANER 1|2025 arbeit. Ich habe die Dinge, die ich während meines Theologiestudiums gelernt habe, ernst genommen. Es gibt für mich nichts, wofür ich einen anderen Menschen töten würde. Diese Grundüberzeugung hat mir viele Türen geöffnet. Ich habe die Ausbildungen in Deutschland beim Schalomdiakonat in Wethen und bei pax christi zum Friedensarbeiter machen können, beim Forum Ziviler Friedensdienst mitgearbeitet und einiges mehr. Dadurch hat sich mir eine neue Welt eröffnet, in der wir auch Unterstützung von anderen Menschen bekommen haben, um für den Frieden arbeiten zu können. Ana Raffai: Vieles war nicht geplant. Wir haben einfach einen Schritt nach dem anderen gemacht auf diesem Weg. Ich weiß nicht, ob wir es damals schwerer hatten, aufgrund unserer unsicheren wirtschaftlichen Situation, als die anderen Menschen in Kroatien, die keine bezahlte Arbeit hatten. Ich weiß aber, was mich in der Friedensarbeit hält: das kreative Potenzial. Wir können selbstständig gestalten, ohne einen Chef, der das letzte Wort hat. Das sind Privilegien, die nicht viele Leute in meinem Land haben. Aber es braucht natürlich auch Mut. Außerdem denke ich, dass die Friedensarbeit mir als Frau Chancen eröffnet hat, die ich sonst vielleicht nicht gehabt hätte. Ich weiß nicht, ob ich sonst die Möglichkeiten gehabt hätte, meine Gedanken aufzuschreiben und zu teilen, Vorträge zu halten und öffentlich aufzutreten. Und bis jetzt hungern wir nicht und haben ein warmes Zuhause. Einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte ist seit Langem die interreligiöse Versöhnungsarbeit. Warum hat dieser Aspekt für Sie eine so große Bedeutung? Ana Raffai: Im Jahr 2000 haben wir mit der interreligiösen Trainingsarbeit begonnen. Damals wollten unsere Kolleginnen und Kollegen aus Belgrad und Sarajevo nicht gleich mitmachen. Sie hatten bei solchen Gruppenzusammenstellungen kein gutes Gefühl. Ich fühlte mich allerdings von Anfang an wie ein Fisch im Wasser. Theologie ist meine große Leidenschaft, und manche Inhalte kann man nur mit einer interreligiösen Gruppe bearbeiten. Nur so werden Fragen und Aspekte aufgeworfen, die neue Perspektiven schaffen. Dazu kommt, dass bei uns in der Region die religiöse Identität ein Teil des Problems ist. Zumindest auf der Rechtfertigungs- und Mobilisierungsebene wird Religion in kriegerischen Konflikten und für Abgrenzung missbraucht. Deswegen denke ich, dass Religion auch als Grundlage genommen werden muss, um diese Probleme zu bearbeiten. Eine Theologin aus Sarajevo hat einmal gesagt: »Religion ist ambivalent. Sie kann Frieden stiften oder gewaltfördernd sein.« Wir müssen also daran arbeiten, dass Religion friedenstiftend ist, und wir müssen Widerstand leisten gegen ihren Missbrauch für Gewalt. Bei unseren interreligiösen Gruppen erleben wir, dass es nicht die Religion oder die religiöse Identität ist, die dem guten Zusammenleben im Weg steht. Otto Raffai: Für mich ist die interreligiöse Friedensarbeit sehr wichtig, da ich nur so mit anderen Menschen in Kontakt komme, die ihren Glauben ebenfalls als Ressource ansehen. Wir können zusammen der Verantwortung nachgehen, unseren Glauben für den Frieden einzusetzen. Besonders die monotheistischen Religionen müssen sich die Frage stellen, wie es sein kann, dass wir alle einen Gott des Friedens haben, aber in seinem Namen immer wieder Krieg geführt wird. Wenn ich heute auf unsere Arbeit zurückschaue, muss ich sagen, dass wir alle meistens mit unserer eigenen Glaubensgruppe in Konflikt kommen, nicht mit den anderen. Es wird von der eigenen Glaubensgruppe infrage gestellt, warum wir mit den anderen zusammenarbeiten. Otto RaÂai ist katholischer Theologe, Künstler und Trainer für gewaltfreie KonÃiktbearbeitung. Dr. Ana RaÂai ist katholische Theologin und Trainerin für gewaltfreie KonÃiktbearbeitung. Sie hat zudem Germanistik studiert und unterrichtet mit einer Teilzeitstelle in einem Gymnasium Deutsch. Das Ehepaar RaÂai hat zwei Kinder und demnächst drei Enkel. Es gibt für mich nichts, wofür ich einen anderen Menschen töten würde. ANA UND OTTO RAFFAI: © PRIVAT

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