Franziskaner - Frühling 2025

38 FRANZISKANER 1|2025 Die Trennung von Religionen ist ein Problem. Sobald die Menschen sich begegnen, entsteht ein großes Potenzial, gemeinsam etwas zu erreichen. Die Beschränkung, die man als gläubiger Mensch manchmal im Kopf hat, dass man einer anderen Gruppe angehört und deswegen nicht zusammenarbeiten kann, muss abgebaut werden. Stoßen Sie mit diesem Ansatz auf Widerstand bei den verschiedenen kirchlichen Strukturen? Otto Raffai: Wir haben einfach nicht auf den Segen der Bischöfe oder Imame oder anderer gewartet. Wir haben einfach die Initiative »Gläubige für den Frieden« gegründet. Dort können alle Menschen mit religiösem Hintergrund zusammenkommen, um Frieden zu stiften, aus den eigenen Glaubensquellen zu schöpfen und andere kennenzulernen, um zusammenzuwirken. Und wir haben Konferenzen organisiert, zu denen wir Gläubige eingeladen haben. Natürlich waren auch Priester, Ordensschwestern und Imame dabei, aber der Titel ist »Gläubige für den Frieden«. Wer sich als gläubiger Mensch versteht, ist willkommen. Egal ob Tischlerin oder Bischof. Ana Raffai: Andererseits brauchen wir einen langen Atem. Ich bin grundsätzlich gegen diesen katholischen Klerikalismus. Nicht nur Priester kennen sich mit Theologie und Glauben aus. Das können wir leider nicht so einfach abbauen, da es tief verwurzelt ist. Aber wir können darauf beharren, dass wir alle Kirche sind. Wie können sich die Leserinnen und Leser Ihre Arbeit konkret vorstellen? Können Sie uns ein oder zwei Beispiele für den Ablauf Ihrer Seminare schildern? Otto Raffai: Ein gutes Beispiel ist unser Seminar »Interreligiöse, edukative Begegnung«. Das ist ein Treffen von gläubigen Menschen, die Gläubige anderer Religionen kennenlernen möchten. Während dieses viertägigen Programms besteht die erste Hälfte aus einem Training von gewaltfreien Kommunikationsfertigkeiten: aktives Zuhören, Ich-Botschaften, offene Fragen und andere Fähigkeiten, die einem offenen Dialog dienen. In der zweiten Hälfte geht es um die Identitätsfrage. Wie nenne ich mich als gläubiger Mensch, welche Bezeichnungen wähle ich für mich selbst? Das ist oft nicht nur »katholisch«, »muslimisch« oder »orthodox«, sondern es gibt viele kompliziertere Identitäten. Hierzu machen wir eine Übung, bei der jede Person ein Plakat bekommt, eine Silhouette aufzeichnet und darunter die eigene Identität aufschreibt. Anschließend haben alle die Aufgabe aufzuschreiben, was man an der eigenen Identität schätzt und womit man Schwierigkeiten hat. Das stellt jede Person den anderen vor, und die hören einfach zu. Nach einer Pause gehen dann alle zu den Plakaten der anderen und ergänzen, was sie jeweils an deren Identität schätzen und womit sie Schwierigkeiten haben. Nachdem alle die guten und schwierigen Aspekte ihrer Identität gesammelt haben, sortieren wir aus. Am Ende soll übrig bleiben, was einen selbst betroffen gemacht hat oder was einen bewegt hat. Und über diese Aspekte wird in der Runde gesprochen. Man kann Fragen zur Klärung stellen, erzählen, warum es einen selbst betroffen macht, was einen daran stört und so weiter. Es soll ein sicherer Raum sein, in dem ohne Angst vor Zensur über die kritischen Punkte gesprochen werden kann. Oft werden dabei Fragen gestellt, die man sonst noch nie wirklich stellen konnte. Ana Raffai: Das Besondere an solchen Übungen ist, dass sie einen Raum bieten, in dem alle die Freiheit haben, sich so zu nennen, wie sie sich fühlen. Besonders in Bosnien gibt es Menschen, die sich orthodox, katholisch und islamisch gleichzeitig fühlen, weil sie zum Beispiel eine katholische Oma, einen orthodoxen Opa und einen muslimischen Vater haben. Im Alltag wird das aber häufig mit Misstrauen betrachtet und Religion ist ambivalent. Sie kann Frieden stiften oder gewaltfördernd sein. Wer sich als gläubiger Mensch versteht, ist willkommen. Egal ob Tischlerin oder Bischof. Friedensarbeit liefert keine spektakulären Bilder. Ihre Wirkung ist dafür meist langfristig. Die Friedensorganisation RAND bringt Menschen aus unterschiedlichen sozialen und religiösen Gruppierungen ins Gespräch. AUFNAHMEN VON ARBEITSGRUPPEN: © PRIVAT | OTTO UND ANA RAFFAI: © RÜDIGER GRÖLZ

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