46 FRANZISKANER 1|2025 WAHLHELFER: © PICTURE ALLIANCE/DPA Staats-Bürger Stefan Federbusch OFM In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis der Bürger:innen zum Staat verändert. Unser deutscher Rechtsstaat wurde jahrzehntelang als zuverlässiger Garant der Freiheit angesehen, in dem sich die Einzelnen verwirklichen können. Während der Corona-Pandemie und den mit ihr verbundenen Einschränkungen hat sich hier etwas verschoben. Eine zunehmende Staatsskepsis bei einem Teil der Bevölkerung ist festzustellen. Plötzlich werden von dieser durchaus relevanten Gruppe die individuellen Abwehrrechte gegenüber dem Staat hervorgehoben. Grundsätzlich ist es richtig zu fragen, wie massiv der Staat über seine Bürger:innen bestimmen darf. Ein eher schlanker Staat und Bürokratieabbau sind teils berechtigte Forderungen. Dass es jedoch ganz ohne Staat gehen soll, scheint mir unrealistisch. In der Frage, wer oder was Probleme besser löst, bieten die Parteien ein breites Spektrum von Ansichten: Es reicht vom freien kapitalistischen Markt mit möglichst geringer Reglementierung bis hin zu dessen staatlicher Steuerung. Seinen konkreten Ausdruck findet dies in der Steuerpolitik. Auch hier reichen die Ansätze von möglichst geringer Besteuerung der Reichen bis hin zu einer speziellen »Reichensteuer«. Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos haben Mitte Januar dieses Jahres 370 Milliardär:innen und Millionär:innen aus der ganzen Welt höhere Steuerabgaben für Superreiche gefordert. Ihre spannende Begründung ist eine doppelte: Extremer Reichtum sei eine »Bedrohung der Demokratie«, da er politischen Reichtum kaufen könne, und die bisherige Steuerpolitik habe zu der »schlimmsten Ungleichheit seit hundert Jahren geführt«. Eine Umfrage unter rund 2.900 Millionär:innen aus den G20-Staaten ergab, dass 63 Prozent der Befragten der Ansicht sind, dass die Rolle Superreicher in der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump eine Bedrohung für die globale Stabilität darstelle. Laut einem Bericht der weltweit tätigen Hilfsorganisation Oxfam vergrößert sich das Vermögen der inzwischen 2.769 Milliardärinnen und Milliardäre täglich um je zwei Millionen US-Dollar, bei den zehn reichsten sogar um 100 Millionen US-Dollar. Unser deutscher demokratischer Rechtsstaat hat die Aufgabe, durch Steuerungsmaßnahmen für einen Ausgleich sozialer Ungleichgewichte zu sorgen, da diese Strengstoff für die Gesellschaft bergen, wenn sie ein gewisses Maß überschreiten. Dass es ohne staatliche Steuerungsmechanismen nicht geht, zeigt meiner Meinung nach auch die Klimaschutzpolitik. Stand sie zumindest in Deutschland einige Zeit an erster Stelle, ist sie angesichts weiterer Krisen in der politischen Agenda nach hinten gerutscht. In den USA betreibt Donald Trump mit seinem erneuten Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen und der massiven Förderung fossiler Energien die totale Rolle rückwärts. Mir bereitet es daher große Sorge, wenn der Staat nur noch als Selbstbedienungsladen für eigene Interessen angesehen wird, nicht aber als soziale Institution, die auf das Gemeinwohl aller ausgerichtet den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichert. Darin spiegelt sich eine zunehmend verbreitete Haltung des »Wir gegen die« wider, die zu gesellschaftlichen Spaltungen führt und letztlich die Demokratie ge²ährdet, die ja gerade von der tolerierten Vielfalt der Meinungen lebt. Den Bürger:innen zu suggerieren, sie müssten sich gegen »Vater Staat« als übergriÀgen Erziehungsberechtigten zur Wehr setzen, zeugt meiner Meinung nach von einem falschen Freiheitsverständnis. Gewiss: Der Staat ist kein Selbstzweck. Als ein gesellschaftliches Gefüge sollte er aus einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Pflichten bestehen. Der Staat ist letztlich ein Ermöglichungsraum, der von seinen Bürgerinnen und Bürgern (mit)gestaltet wird. Der demokratische Rechtsstaat kann nur gelingen, wenn seine Mitglieder mitmachen. Letztlich ist der Staat nur so gut wie die Beteiligung seiner Bürger:innen. Als Staats-Bürger trage ich Mitverantwortung, die ich wahrnehmen möchte. Ihn als vermeintlichen Gängelungsraum abzuschaffen, halte ich für keine gute Idee, schon gar nicht in seiner demokratischen Verfasstheit. Mehr als 650.000 ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer engagierten sich bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag
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