Franziskaner - Sommer 2025

12 FRANZISKANER 2|2025 Mannschaft wechseln, um so möglichen negativen Folgen für das Selbstbild aus dem Weg zu gehen. Bei manchen anderen Gruppen ist ein Austritt aber kaum möglich. Ich werde meine Hautfarbe nur sehr schwer ändern können. Egal wie lang ich in der Sonne liege, ich werde immer »weiß« sein. Angenommen, ich kann aus meiner Gruppe nicht austreten, meine Gruppenzugehörigkeit ist deutlich sichtbar, und meine Gruppe wird nicht positiv gesehen, kann dies mein Selbstbild langfristig negativ beeinflussen. Vor allem wenn meine Gruppe eine Minderheit ist und zudem in einem direkten Konflikt mit einer relevanten Außengruppe steht, habe ich wenig Möglichkeiten, den negativen Konsequenzen meiner Gruppenzugehörigkeit aus dem Weg zu gehen. Eine der wenigen Möglichkeiten, um aus einer solchen Situation zu entkommen, ist das bewusste Distanzieren von meiner eigenen Gruppe – also der Versuch, mehr als Einzelperson und weniger als Gruppenmitglied gesehen zu werden. Ich muss aktiv versuchen, mich von den auch mir als Gruppenmitglied zugeschriebenen Stereotypen der Gruppe abzuheben, und hoffen, dass die relevante Außengruppe das wahrnimmt. Denn nur wenn diese mir bestätigt, dass ich eigentlich kein Gruppenmitglied mehr bin, kann ich mich tatsächlich von der Gruppe distanzieren oder zumindest die »Ausnahme« sein. Historische Entwicklung Die Frage, welchen Gruppen ich zugehörig bin, war schon immer wichtig. Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen jüdisch, christlich und muslimisch prägt schon lange die westliche Geschichte. Auch die ethnische Gruppenzugehörigkeit war oft ein zentrales Kriterium und führte gelegentlich zu kriegerischen Konflikten. Ein gewaltiger Unterschiede für das jeweilige Individuum war es, ob er oder sie in die Gruppe der Herrschenden oder in die der Beherrschten hineingeboren wurde. Im Gegensatz zu früher ist heute allerdings oftmals gefordert, dass ich Gruppenzugehörigkeiten verändere. Beispielsweise beruflich bedingte Wechsel sind anders als früher heute an der Tagesordnung. Natürlich gab es im Einzelfall auch früher Menschen, die bewusst ihre sozialen Gruppen gewechselt haben. Franz von Assisi ist ein gutes Beispiel für den Austritt aus einer sozialen Gruppe. Er sagte sich öffentlich von der reichen Händlerfamilie los, um stattdessen mit den Armen und Aussätzigen zu leben. Dennoch waren solche Wechsel zwischen Gruppen selten. Dazu kommt: Identität, geprägt durch Gruppenzugehörigkeit, wurde schon immer als Spaltungsmittel genutzt. Heute ist der Begriff »Identität« auch ein populistischer Kamp³egriff: Die Gruppe der »Deutschen« wird beispielsweise von einigen als ge²ährdet angesehen. Migration bedrohe – so wird argumentiert – diese Gruppe angeblich nicht nur, weil andere Gruppen, zum Beispiel arabische oder afrikanische Menschen, in der gleichen Region leben, sondern auch, weil die Gruppe der »Deutschen« durch die Integration der »anderen« in die deutsche Gruppe verloren gehe. »Deutsch« ist im Rahmen dieser Debatte dann nicht nur die Bezeichnung der Staatsangehörigkeit, sondern soll auch bedeuten, dass die Ahnen seit Generationen vom definierten Staatsgebiet »stammen«, die Haut weiß ist und eine christlich-abendländische Prägung vorliegt. Auch wenn die geforderte Gleichförmigkeit der Gruppe in der Realität nicht zu erfüllen ist, verleitet die Angst, die eigene soziale Gruppe zu verlieren, dazu, andere auszuschließen. Die Individuen erkennen Bei all den hier beschriebenen Prozessen ist es immer wieder wichtig, sich vor Augen zu führen, dass unser Bedürfnis, einer Gruppe anzugehören, keine starren Abgrenzungen von anderen oder unüberwindbare Spaltungen zur Folgen haben muss. Es ist nicht unser »Natur« die dies fordert, sondern Ideologien. Populisten bedienen sich in ihrer Argumentation gerne dieses psychologischen Bedürfnisses, um Konflikte über Ressourcen, Zugänge oder Anerkennung in unüberwindbare Feindschaften zwischen den konstituierten Gruppen »Wir« und »die Anderen« aufzublasen. Aber weder die eigene Gruppe noch die der »anderen« sind homogene Gruppen. Am Beispiel von geflüchteten Menschen wird das besonders deutlich: Nicht alle nach Deutschland geflohenen Menschen ähneln sich. Die einzige sichere Gemeinsamkeit ist ihr Status als »geflüchtet«. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben unterschiedliche Persönlichkeiten, Religionen, Lebensgeschichten, Schicksale, Hobbys, Wünsche und Träume. Dennoch werden sie häufig als eine einzige gleichförmige Gruppe gesehen. Flüchtlinge werden auch häufig nicht positiv dargestellt, sie können nur schwer die Gruppe der Flüchtlinge verlassen, und häufig ist ihnen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Sprache anzumerken, dass sie »nicht deutsch« sind. Wenn Mitglieder der Gruppe »Deutsche« die Mitglieder der Gruppe »Flüchtlinge« nicht unterscheiden und insgesamt schlecht über sie reden, wird das negative Auswirkungen auf deren Selbstbild haben, und der Konflikt ist vorprogrammiert. Die Gruppenzugehörigkeit muss nicht immer bedeutsam sein: Auch wenn ich Teil der Gruppe »Deutsche« bin, muss ich nicht jedem Menschen so begegnen, dass ausgerechnet diese Gruppenzugehörigkeit mein Handeln und Denken bestimmt. Stattdessen kann ich versuchen, Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen zu finden. Viele Flüchtlinge sind Frauen, viele lesen gerne Bücher und schauen gerne Filme. Sie hören vielleicht die gleiche Musik, kochen oder spielen gerne, machen vielleicht den gleichen Job wie ich. Mit manchen habe ich meine Religion gemeinsam oder ²inde Gemeinsamkeiten in der Auslegung und den vermittelten Werten unserer unterschiedlichen religiösen Schriften. Alle diese Gemeinsamkeiten können andere Gruppenzugehörigkeiten, die wir gemeinsam haben, in den Vordergrund bringen und damit unsere Unterschiede unwichtig machen. Denn am Ende haben wir meistens mit unserem Gegenüber mehr gemeinsam, als wir denken.

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