18 FRANZISKANER 2|2025 Solidarität und Hilfsbereitschaft Wie kann es gelingen die Spaltungen auf den verschiedenen Ebenen – international, national, aber auch im privaten Umfeld – konstruktiv zu bearbeiten, damit die Grundhaltung eines »guten Lebens für alle« wieder zur Richtschnur des Handelns wird? Hierzu haben wir mit Dr. Rolf Mützenich (MdB) gesprochen, dem ehemaligen Vorsitzenden (9/2019–2/2025) der SPD-Bundestagsfraktion. Gerechtigkeit »Den Kampf für Demokratie kann man Dr. Rolf Mützenich (MdB-SPD) ist Politikwissenschaftler und stammt aus einer Kölner Arbeiterfamilie. Der verheiratete Familienvater ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2013 bis 2019 war er Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, von 2019 bis Februar 2025 Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Dr. Mützenich, die Fragen nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Sprachlosigkeit zwischen Menschen verschiedener gesellschaftlicher Milieus, die scheinbare Unfähigkeit, konstruktiv Konflikte zu bearbeiten, aber auch das Setzen auf nationalistische statt kooperativer Lösungen für internationale Konflikte beunruhigt viele Menschen. Auf internationaler Ebene scheinen wir gerade die Wiederkehr einer militärisch gestützten imperialistischen Politik zu erleben. Was können Europa und Deutschland tun, um kooperative und regelbasierte Politik möglich zu machen, um zumindest die Chancen auf die Lösung der großen Menschheitsprobleme o¯enzuhalten? Als Erstes plädiere ich dafür, dass wir versuchen, die noch vorhandenen Organisationen und Institutionen der internationalen Zusammenarbeit, die sich an entsprechenden Regeln und Werten orientieren, mit allem Nachdruck zu erhalten und wieder mit mehr Leben zu füllen. Da sind beispielsweise die Europäische Union und der Europarat zu nennen. Letzterer hat noch mehr Mitgliedsländer als die Europäische Union, und seine besondere Aufgabe besteht darin, die Menschenrechte zu verteidigen. Oder auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die in diesem Jahr auf 50 Jahre Arbeit zurückblicken kann. Die für mich wichtigste Organisation für internationale Zusammenarbeit sind die Vereinten Nationen, da in ihr fast die ganze Welt vertreten ist. Gerade wenn man sich über internationale Fragen der Zusammenarbeit, des Austauschs und der gemeinsamen Verantwortung für unsere Welt Gedanken macht, würde ich darauf dringen, dass Deutschland alles dafür tun muss, diese Institutionen zu erhalten und zu stärken. Dabei geht es neben »Mitgliedsbeiträgen«, die wichtig für deren Handlungs²ähigkeit sind, auch darum, immer wieder kluge Initiativen zu starten und dabei nicht nachzulassen. Generell scheinen gerade diese internationalen Institutionen immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit beispielsweise die EU eine konstruktive Rolle in den multiplen Krisen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, spielen kann? Ich würde sagen, dass man vor dem Hintergrund des Überfalls russischer Truppen auf die Ukraine auch über Militärisches sprechen muss, um die Verteidigungs²ähigkeit Europas herzustellen. Als Deutscher muss ich allerdings sagen, dass mir »kriegstüchtig« zu weit geht. Das Grundgesetz hat einen Friedensauftrag, der sich in einem Bündel von unterschiedlichen Instrumenten manifestiert und nicht nur durch militärische Verteidigung realisiert werden kann. Problematisch finde ich, dass sich derzeit auch die Europäische Union hauptsächlich auf militärische Sicherheitspolitik konzentriert. Alle zivilen Instrumente einer nachhaltigen Friedens- und Sicherheitspolitik treten mir dabei zu sehr in den Hintergrund. Von daher würde ich sagen, es braucht Mut und Überzeugung für eine auch dauerhaft funktionierende Friedens- und Sicherheitspolitik, denn keines der großen Weltprobleme wie Klimaerhitzung, Artensterben, Hunger … lassen sich militärisch lösen. Die Ungleichheit bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat auch in Deutschland zugenommen. Die Bildungschancen und damit die Aufstiegschancen sind wesentlich abhängig vom Einkommen und gesellschaftlichen Status der Eltern, vom Wohnort, der Herkunft etc. Diese Entwicklung ist ein Treiber der gesellROLF MÜTZENICH © PHOTOTHEK
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