Franziskaner - Sommer 2025

19 FRANZISKANER 2|2025 DIE MITTE NIMMT AB In Deutschland hat die Zahl der Befürworter rechtsextremer Einstellungen laut »Mitte-Studie« zugenommen. Acht Prozent der Menschen in Deutschland teilen demnach ein rechtsextremes Weltbild. In den Vorjahren sind dies zwei bis drei Prozent gewesen. Hinzu kommen 20 Prozent der Bevölkerung, die kein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben, aber auch nicht klar demokratisch orientiert sind. erlebbar machen nicht delegieren« schaftlichen Spaltungen. Wie kann aus Ihrer Sicht politisch eingegri¯en werden, um mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu gewährleisten? Ungerechtigkeit ist die Triebfeder des Auseinanderstrebens von Gruppen, Klassen, aber auch von einer Gesellschaft insgesamt. Die Herstellung von erlebter Gerechtigkeit ist sehr wichtig für eine Gesellschaft. Egal ob ich persönlich davon betroffen bin oder ob ich durch Glück zwar nicht selbst auf die Solidarität anderer angewiesen bin oder war, aber diese Solidarität nicht infrage stelle, weil ich davon überzeugt bin, dass dies für das Leben in der Gemeinschaft wichtig ist. Die Bundesregierung, das Parlament, die Bundesländer, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften müssten eigentlich einig darüber sein, dass das Auseinanderdriften der Gesellschaft sich langfristig auch gegen ihre eigenen Interessen richtet – selbst gegen das Kapitalinteresse. Eine Grundvoraussetzung sollte deshalb sein, dass die Tatsache wachsender Ungleichheit nicht verschwiegen wird. Das erlebe ich zurzeit in der deutschen Debatte zu wenig. Man weiß es zwar, man nimmt es wahr, man sieht es im Supermarkt, man sieht es auf der Straße, aber man redet nicht darüber. Wir haben mittlerweile eine Trennung zwischen den Lebenswirklichkeiten vieler Menschen in Deutschland. Und das müsste viel stärker thematisiert werden, nicht nur wenn mal wieder eine neue Studie dazu veröffentlicht wird. Man braucht nicht nur Verständnis für die Situation anderer, sondern auch eine große gesellschaftliche Debatte. Die Migrationspolitik ist nicht nur in Deutschland ein wesentlicher Trigger für eine gesellschaftliche Spaltung. Kirchen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Wirtschaftsverbände haben aus verschiedenen Gründen eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik gefordert, aber auch mehr Mittel für Integration statt für Abschreckung. Welche politischen und zivilgesellschaftlichen Instrumente und Grundhaltungen halten Sie für geeignet, um eine gesellschaftliche Befriedung in diesem Bereich anzustoßen und wirklich etwas zur Lösung der mit Migration verbundenen Probleme beizutragen? Mich irritiert eine Sache besonders stark: Alle, die in ein Krankenhaus gehen, sehen, auf wen sie dort angewiesen sind; damit die OP stattfindet, damit die Pflege stattfindet, damit sauber gemacht wird. In dem Moment unterstelle ich jeder und jedem, dass er und sie dankbar ist. Aber nimmt man wirklich die Botschaft »Ohne die hätte ich meine Erkrankung nicht so einfach überstanden« aus dem Krankenhaus mit nach Hause? Ich glaube, es setzt sich erst langsam die Erkenntnis durch, dass wir ohne Zuwanderung weder wirtschaftlich noch sozial noch kulturell gut leben können noch eine solche Anziehungskraft haben, wie wir sie vielleicht mal hatten. Wir müssen Menschen überzeugen können, freiwillig in dieses Land zu kommen und die eigene Arbeitskraft und Kenntnisse anzubieten. Auf der anderen Seite, und das will ich nicht geringschätzen, muss man die Schwierigkeiten sehen, die mit größerer Zuwanderung verbunden sind. Aber wenn ich einen Punkt herausgreifen darf, ohne zu glauben, dass das eine einfache Lösung sei, dann ist es die politische Partizipation. Die Möglichkeit politisch teilhaben zu können ist wichtig, damit Menschen sich in einer Gesellschaft zugehörig fühlen. Ich bedauere sehr, dass immer noch Menschen ausgeschlossen VERMÖGEN HÄUFT SICH BEI WENIGEN AN Die untere Hälfte der Haushalte in Deutschland verfügt kaum über Vermögen beziehungsweise hat Schulden. Das Vermögen konzentriert sich am oberen Rand der Verteilung. Die oberen zehn Prozent besitzen deutlich mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens. Und das oberste eine Prozent besitzt circa 20 Prozent. Dazu bemerkt die Wissenschaft: Große soziale Ungleichheit befeuert Krisen. Anerkennung sozialer Regeln

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