Franziskaner - Sommer 2025

20 FRANZISKANER 2|2025 Interview: Anna Meinhardt und Thomas Meinhardt werden, die schon länger hier leben. Manchmal können sie kommunalpolitisch entscheiden, aber das ist bei der Landtags- und Bundestagswahl schon nicht mehr der Fall. Partizipation auf politischer und auch parteipolitischer Ebene spielt aus meiner Sicht eine große Rolle für die Integration. Thomas Hobbes hat mal gesagt: »Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.« Dieses Zitat stammt eigentlich aus einer Komödie von Titus Maccius Plautus, und es geht noch weiter: »… solange er nicht weiß, welcher Art der andere ist.« Es ist also sehr wichtig, dass man eben auch den anderen neben sich kennenlernt. Das wäre sicherlich der zweite wichtige Punkt. Der rasante technologische und gesellschaftliche Fortschritt sowie die Globalisierung aller Lebensbereiche scheinen viele Menschen zu überfordern. Auch Probleme in der Daseinsversorgung, zum Beispiel Wohnungsnot, fehlende Nah- und Fernverkehrsmöglichkeiten und schlechte Gesundheitsversorgung in ländlicheren Gebieten, fördern nicht selten Demokratieskepsis und den Wunsch nach einfachen Lösungen. Was kann aus Ihrer Sicht Politik überhaupt tun, um diesen Teil der Bevölkerung zu erreichen und Partizipation zu ermöglichen? Diese Fragen beschäftigen uns alle schon sehr lange. Ich selber bin sehr geprägt von meinem Elternhaus. Mein Vater hat sehr geschätzt, dass es nicht nur die Gewerkschaften gegeben hat, sondern zum Beispiel auch um Demokratie im Betrieb gekämpft wurde. Willy Brandt hat gesagt, »Wir müssen mehr Demokratie wagen«, das wird heute oft missverstanden. Es ging nicht darum, dass der Deutsche Bundestag zehnmal am Tag abstimmt. Sondern da ging es ihm darum, dass alle den Eindruck haben – auch wenn sie sich am Ende nicht durchsetzen –, dass zumindest der Versuch gemacht wurde, auf gleicher Augenhöhe sich beteiligen zu können und damit auch die demokratische Teilhabe zu stärken. Und genau das geht verloren, fürchte ich. Andererseits zeigen die vielen Demonstrationen für Demokratie in Deutschland auch, dass sich viele Menschen für die Demokratie engagieren. Und sie wissen, dass sie diesen Kampf für Demokratie nicht an ein Parlament oder an ein Gericht delegieren können. Da geht es um mehr. Den Kampf für Demokratie kann man nur im gesellschaftlichen Diskurs gewinnen. Die großen Erschütterungen unserer Lebensweise, wie beispielsweise die Klimakrise, das Artensterben und die Covid-19-Pandemie sind keine völlig unvorhersehbaren Naturereignisse, sondern auch das Ergebnis ökonomischer und politischer Entscheidungen. Dennoch gelingt es weder der Zivilgesellschaft noch der Politik, daraus adäquate Konsequenzen zu ziehen. Sehen Sie Wege, aus diesen Verhaltensmustern auszusteigen und nachhaltige und konstruktive Prozesse zu implementieren, um angemessen auf diese großen Probleme zu reagieren? Ich habe das Gefühl, dass viele politische Entscheidungsträger in unserem Land dieses Verantwortungsgefühl oder dieses Verantwortungsbewusstsein nicht haben. Daher kann ich nicht wirklich über eine Strategie sprechen. Es wäre vermutlich nicht schwer, eine solche Strategie zu finden. Aber die Ethik einer Verantwortung des Handelns, was manchmal vielleicht sogar gegen die eigenen Überzeugungen oder die Interessen derjenigen geht, die einen gewählt haben, das geht aus meiner Sicht verloren. Die Gesellschaft insgesamt, auch die deutsche Gesellschaft, ist egoistischer geworden. Und erst wenn wir da etwas verändern können, können auch Strategien entwickelt werden, die über den nationalstaatlichen Charakter hinauswirken. Welche Rolle können aus Ihrer Sicht Kirchen und zivilgesellschaftliche Organisationen spielen, um gesellschaftliche Spaltung zu reduzieren, Dialogfähigkeit zu fördern und damit die Grundhaltung eines »guten Lebens für alle« zu stärken? Eine wichtige Rolle wäre sicher, sich stärker in die Debatte über Demokratie und Teilhabe einzuschalten, ja, diese gesellschaftliche Diskussion immer wieder voranzutreiben. Das gilt für die Kirchen und für zivilgesellschaftliche Organisationen. Denn: »Das kann ich nicht einfach immer nur an die Politik delegieren.« So war es für mich beispielsweise ein hartes Stück Arbeit, in der damaligen großen Koalition (2018–2021) die sogenannte Jemenklausel unter der Regierung Merkel zu verankern: also dass kein Land, das am Jemenkrieg beteiligt ist, Rüstungsgüter aus Deutschland bekommen darf. Niemand aus den Kirchen, die eigentlich bei der Frage einer verantwortlichen Rüstungsexportkontrollpolitik eine wichtige Stimme sind, hat sich bei mir vorher oder nachher dazu gemeldet. Es muss mehr die Stimme erhoben werden vonseiten der Kirchen und der zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere in zentralen, unseren Wertekodex betreffenden Fragen, denn dann kann man gemeinsam sicherlich noch sehr viel mehr erreichen. ANTIDEMOKRATIE AUF DEM VORMARSCH Die »Mitte-Studie« zeigt, dass sich Teile der Mitte der Gesellschaft von der Demokratie distanzieren oder das Vertrauen in funktionierende Institutionen verloren haben. Populismus, antidemokratische und völkische Positionen sind auf dem Vormarsch. Mehr als sechs Prozent befürworten eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland. 16 Prozent sind negativ gegenüber »Ausländern« eingestellt. Gesellschaftliche Teilhabe

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