40 FRANZISKANER 2|2025 Interreligiöse Besuche im Klassenzimmer Es ist still im Klassenzimmer der neunten Klasse in der Wormser Realschule, als Miriam den Gebrauch und die Bedeutung der Kippa erklärt. Auf dem Tisch liegen gleich mehrere Exemplare: eine schwarze Kippa aus Samtstoff, wie sie häufig von orthodoxen Juden getragen wird, eine mit dem Logo des Frankfurter Sportclubs Makkabi und dann die bunte, gehäkelte Kippa, die die sephardischen Juden bevorzugen und die der muslimischen Kop³edeckung, der Takke, erstaunlich ähnelt. Neben den Kippot liegen weitere Gegenstände, die religiöses Leben sichtbar machen: Takke und Gebetsteppich, Tesbih (muslimische Gebetskette) und Rosenkranz, die dem Gebet und der Meditation dienen – und ein Tallit, der jüdische Gebetsschal mit seinen charakteristischen Schau²äden. Die Jugendlichen tauschen sich zu einem Gegenstand ihrer Wahl aus und können Fragen stellen, dabei stoßen die Kop³edeckungen auf besonderes Interesse. Obwohl die Kippa heute ein Symbol für das Judentum und gewissermaßen ein Erkennungszeichen unter Juden ist, wird sie in der Tora nicht ausdrücklich erwähnt. Unter den 613 Geboten und Verboten (Mitzwot) gibt es keine Vorschrift, eine Kippa zu tragen. Stattdessen ist das Bedecken des Kopfes vor allem eine Geste des Respekts vor dem Schöpfer. Im Alltag wird die Kippa häufig unter einem Basecap oder einer Mütze getragen, fügt Miriam hinzu. Klassenlehrer Jens Kessler greift an dieser Stelle ein. Ihm ist es wichtig, dass diese scheinbar nebensächliche Aussage nicht überhört wird: Viele Juden trauen sich in Deutschland schlichtweg nicht mehr, in der Öffentlichkeit eine Kippa oder einen Davidstern zu tragen. Zu groß ist das Risiko, für diese Sichtbarkeit zu bezahlen, angespuckt, angefeindet oder sogar körperlich angegriffen zu werden. Damit ist die Klasse der Wormser Realschule mitten im Thema, das auf dem Programm der »Projekttage gegen Rassismus« steht. Zu Gast ist ein Abrahamisches Team – Stephanie Krauch drei Frauen aus drei Religionen. Heute geht es um religiöse Identität. Wie weit darf und soll religiöses Leben das öffentliche Leben in einem säkularisierten Land prägen? Wie müssen Grenzen gesetzt werden, wenn die Auslegung der Gebote der Scharia konträr zum Gleichheitsgrundsatz und der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit des Grundgesetzes (Art. 4 GG) steht? Es sind komplexe und dringliche Fragen, die im Raum stehen. Seitdem der Israel-Palästina-Konflikt in deutsche Hörsäle, Klassenzimmer, auf Pausenhöfe und Straßen eingezogen ist, ist der Ton rauer geworden, und Meinungskorridore haben sich verengt. Mit dem anhaltenden Höchststand von Straftaten im Bereich religiöser Ideologie und jährlich neuen Rekordwerten antisemitischer Übergriffe steigt die Anfrage nach Diskussionen und Workshops zur Konfliktarbeit und -prävention. Viele Schulen möchten den interreligiösen Dialog mit einem authentischen Gegenüber zum festen Bestandteil ihres Lehrplans machen. Gerade ein jüdischer Besuch im Klassenzimmer ist oft eine Erstbegegnung. Im Unterschied zu anderen Initiativen, wie dem Gesprächsformat »Meet a jew« vom Zentralrat der Juden in Deutschland, geht es beim Angebot des Abrahamischen Forums um einen gemeinsamen Auftritt von jüdischen, christlichen und muslimischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Dabei ist ein Team nicht nur interreligiös aufgestellt, sondern bringt auch verschiedene Biografien und berufliche Hintergründe mit ins Klassenzimmer. Auf dem Gesprächsprogramm stehen zunächst die statistischen Fakten: Wie viele Menschen christlichen, muslimischen, jüdischen Glaubens und Angehörige anderer religiöser Gemeinschaften leben in Deutschland, und wie kommen diese Zahlenwerte überhaupt zustande? Während die Anzahl der Mitglieder der christlichen Kirchen durch die Erfassung der Kirchensteuerzahlenden relativ leicht ermittelt werden kann, ist die genaue Zahl der Menschen muslimischen Glaubens schwer festzustellen. Laut Studien der Deutschen Islam Konferenz beträgt ihre Anzahl etwa 5,5 Millionen. Die Schätzwerte Abrahamische Teams GRUPPENFOTO © ABRAHAMISCHE TEAMS
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