7 FRANZISKANER 2|2025 WAS IST »GESELLSCHAFTLICHER ZUSAMMENHALT«? Die Wissenschaft meint, der Grad des gesellschaftlichen Zusammenhalts sei ein wichtiges Merkmal eines Gemeinwesens. Sie haben drei Bereiche herausgearbeitet, die mit darüber entscheiden, wie Menschen den Zusammenhalt ihrer Gesellschaft erleben: »soziale Beziehungen«, »Verbundenheit« und »Gemeinwohlorientierung«. Im ersten Bereich geht es darum, wie stabil, vertrauensvoll sowie offen für Verschiedenartigkeit die Beziehungen der Menschen in der Gesellschaft zueinander sind. Der zweite gibt Antwort darauf, wie sehr sich die Menschen mit dem Gemeinwesen identi«zieren, wie sehr sie den Institutionen vertrauen, die das Gemeinwesen repräsentieren, und ob sie die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als gerecht emp«nden. Für den Zusammenhalt ist es drittens bedeutsam, ob die Menschen sich solidarisch und hilfsbereit verhalten, Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen und dabei soziale Regeln akzeptieren. Die verschiedenen Teilbereiche werden auf den folgenden Seiten nochmals in den kleinen Gra«ken thematisiert. Was sie verbindet: Sie können nur durch das gemeinsame Handeln der Menschen, die Teil der Gesellschaft sind, geschaffen werden. Anders ausgedrückt: Dafür muss jede und jeder etwas tun. Zusammenhalt stellt zwei deutsche Kirchengemeinden vor, die Wege gefunden haben, um trotz neu strukturierter Großgemeinden in Kontakt mit den Menschen vor Ort zu bleiben und alle einzuladen, einander kennenzulernen. Von Kleidercafé über eine Pommes-Bude bis zu gemeinsamen Weihnachtsfesten zeigen die Gemeinden vor allem eins: Die Menschen in Deutschland wollen in Kontakt miteinander sein und einander helfen. Deutlich wird: Gemeinschaft kann gefunden und aufgebaut werden. Ansonsten stimmt es natürlich, dass unsere Gesellschaft eine Reihe an Problemen hat, die gelöst werden müssen. Bruder Johannes Roth zeigt in seinem Beitrag, welche biblischen Impulse uns dabei ermutigen können. Einen Blick auf das Heiligkeitsgesetz werfend, zeigt er auf, welche Vorgaben Gott seinem Volk mitgab, um eben nicht zu einer gespaltenen Gesellschaft zu werden. Denn Konflikte sind nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, sie können durchaus hilfreich sein. Für eine Demokratie sind sie sogar notwendig, um überhaupt Fortschritte zu erreichen und um Interessen zu artikulieren. Auch Empörung ist mancherorts geboten, denn sie verweist auf ein Problem, das geklärt werden muss. Daher sollten wir Konflikte nicht mit dem Verweis auf die gesellschaftlich nötige Harmonie und Verbundenheit in Krisenzeiten oder aus Angst vor möglichen Spaltungen verschweigen oder nur behelfsmäßig aus dem Weg schaffen. Die Frage ist, wie wir einen besseren Umgang mit Konflikten lernen können und wie wir diejenigen erreichen, die sich völlig in ihre Meinungsblase zurückgezogen haben. Schaffen wir es, jene, die eine andere Meinung haben, als Mensch gelten zu lassen? Sind wir bereit, ihnen zuzuhören und ihre von unserer Position abweichende Stellungnahmen auszuhalten? Können wir unergiebige Diskussionen gelegentlich auch mal ruhen lassen? Können wir ertragen, nicht alles zu jeder Zeit verlässlich zu wissen? Gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erreichen ist nicht einfach, aber wie heißt es so schön: »Wahrheit entsteht im Dialog.« Das stimmt heute mehr denn je.
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