Franziskaner Winter 2025 Weitere Themen: Konflikte im Heiligen Land +++ Franziskanische Geschichte Franziskanisches Kirchenbild +++ Geistlicher Wegbegleiter www.franziskaner.de Credo Ich glaube
»Franziskaner« Unser Magazin für franziskanische Kultur und Lebensart erscheint viermal im Jahr und wird klimaneutral auf 100 % Recyclingpapier gedruckt. Sie können es sich kostenlos nach Hause liefern lassen. Deutsche Franziskanerprovinz Provinzialat Frau Viola Richter Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München zeitschrift@franziskaner.de Tel.: 0 89 2 11 26-1 50, Fax: 0 89 2 11 26-1 11 Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wir unter Angabe des Verwendungszwecks »Spende Zeitschrift« auf das Konto der Deutschen Franziskanerprovinz, IBAN DE49 5109 0000 0077 0244 09, BIC WIBADE5W bei der Wiesbadener Volksbank. Inhalt 4 Franziskanische Orte entdecken 5 Angebote und Anregungen 6 Credo – Ich glaube • Das große Glaubensbekenntnis • 1700 Jahre Nicäa • Glauben – wie geht das? • »Für viele spielt die Gottesfrage keine Rolle mehr« • An das Leben glauben • Die Frage nach Jesus Christus • Ein anderes Credo 23 Geistlicher Wegbegleiter 27 Abschied Großkrotzenburg 28 Konflikte im Heiligen Land Interview mit Kardinal Pizzaballa OFM 32 Franziskanische Geschichte Perspektiven eines franziskanischen Kirchenbildes 34 Hoffnungszeichen Parents Circle – Der Schmerz der anderen 36 Franciscans International (FI) Wenn Abschiebungen aus den USA nach Panama führen 38 Franziskanische Lebensgeschichten Rangel Geerman OFM 40 Ein Zuhause auf Zeit 40 Jahre Projekt Omnibus 42 In memoriam 43 Nachrichten 44 Kursangebote 45 Bruder Rangel kocht 46 Kommentar 47 Impressum Germanicus auf Reisen Liebe Leserin, liebe Leser! Das sich nun zu Ende neigende Jahr brachte viele aufregende, aber auch aufwühlende und anstrengende Momente mit sich. Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien einen besinnlichen Advent, ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein friedvolles neues Jahr! Ihre Redaktion
3 FRANZISKANER 4|2025 SCHLOSS © ASCENTXMEDIA – ISTOCK.COM »Die Zeit der Käfighaltung ist vorbei« Am Anfang von Ulrich Harbeckes Roman »Der gottlose Pfarrer« steht ein Moment, der erschüttert: Pfarrer Wilhelm Hausner tritt am Ostermorgen auf die Kanzel – und verstummt. Ausgerechnet am höchsten christlichen Feiertag verliert er seinen Glauben. Kein Donnerschlag, keine Provokation – nur die schlichte, ehrliche Erkenntnis: Ich kann das nicht mehr sagen. Was wie ein Zusammenbruch beginnt, wird für viele zum Aufbruch. Die Gemeinde, die Kirchenleitung, die Menschen ringsum – alle müssen sich neu vergewissern: Was glaube ich eigentlich? Harbeckes Roman zeichnet nach, wie aus einem persönlichen Zweifel gemeinsames Fragen wird. Der »gottlose Pfarrer« wird ungewollt zum Zeugen einer tiefen Einsicht: Glauben kann man nicht besitzen. Man kann ihn nur immer wieder wagen. Am Ende seines Romans lässt Harbecke Pfarrer Hausner mit prägnanten Worten von seiner Gemeinde Abschied nehmen: »Die Zeit der Käfighaltung ist vorbei!« Die Zeit, in der wir den Glauben in sichere Gehege sperrten – in Dogmen, Rollen, Zuständigkeiten –, sei vorüber. Pfarrer Hausner trifft damit einen neuralgischen Punkt. »Credo – Ich glaube« bedeutet eben nicht: Ich unterschreibe einen Vertrag mit Gott oder der Kirche. Sondern: Ich vertraue. Ich öffne mich – trotz Unsicherheit, Zweifel, Dunkelheit – für das Geheimnis, das wir Gott nennen. Gerade wenn der Glaube brüchig wird, zeigt sich seine Tiefe. Denn Gott ist nicht der, den wir im Griff haben, sondern der, der sich uns immer wieder entzieht – und uns doch hält. Vielleicht beginnt wahrer Glaube genau dort, wo wir nicht mehr weiterwissen, aber immer noch hoffen. In dieser Ausgabe von FRANZISKANER geht es um das Glaubensbekenntnis der Kirche. Das Credo spiegelt reflektierte Glaubenserfahrung wider – Worte, die uns verbinden und zugleich öffnen wollen für das Geheimnis Gottes, der größer ist als all unsere Worte. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre, eine segensreiche Winterzeit – und immer wieder ermutigende Glaubensmomente! Br. Markus Fuhrmann OFM (Provinzialminister)
4 FRANZISKANER 4|2025 AUSTELLUNG © CHRISTIANE HOFFMANN | MUSEUM WIEDENBRÜCKER SCHULE Die Marienkirche am ehemaligen Kloster Wiedenbrück Die Geschichte der heutigen Marienkirche in Wiedenbrück beginnt im Jahr 1470. Damals wird der heute noch vorhandene spätgotische Kirchenbau mit dem Doppelpatrozinium für Maria und St. Ursula errichtet. Um 1500 zieht dann ein holzgeschnitztes Marienbild (Pietà) in die Kirche ein, das bald zum Mittelpunkt einer Marienwallfahrt wird, die über 300 Jahre lang begangen wird. 1644 wird die Kirche den Franziskanern überlassen, die gegenüber ein Kloster einrichten. Die Ordensleute erfreuen sich großer Beliebtheit im Volk, weswegen die Kirche schon bald die Beinamen »Paterskirche« und »Franziskanerkirche« erhält. Unter ihrer Verwaltung wurde die Kirche mehrfach restauriert und umgebaut, überstand Belagerungen, Brände und Kriegszeiten. 2020 endete die franziskanische Präsenz vor Ort, 2024 wurde die Pietà in die benachbarte Kirche St. Aegidius übertragen. Das Museum für Kunst und Stadtgeschichte Wiedenbrücker Schule hat der bewegten Geschichte der »Paterskirche« nun eine Ausstellung gewidmet. Museum für Kunst- und Stadtgeschichte Hoetger Gasse 1/Rietberger Straße 6 | 33378 Rheda-Wiedenbrück Öffnungszeiten: Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag, Samstag und Sonntag jeweils 15.00 bis 17.00 Uhr Laufzeit der Ausstellung: 4. Oktober 2025 bis 1. März 2026 Kontakt: www.wiedenbruecker-schule.de Franziskanische Orte entdecken
5 FRANZISKANER 4|2025 Kursübersicht auf Seite 44 Einige unserer Angebote FRAU MIT TEE © MESQUITA FMS – ISTOCK.COM 17. bis 19. April 2026 im Franziskanerkloster Kreuzberg, Bischofsheim Be-Sinn-zeit auf dem Kreuzberg Unser Leben steckt voller Entscheidungen. Oft dürfen wir selbst bestimmen, welchen Weg wir wählen – manchmal müssen wir dies auch, obwohl es unangenehm und bedrängend wirkt. Dabei ist eine Entscheidung für etwas auch immer eine gegen andere Möglichkeiten. Da braucht es inneren Abstand und Zeit, die Situationen zu betrachten. Und mit der Hilfe von anderen können bisher ungesehene Möglichkeiten zur Bewältigung in den Blick kommen. Leitung: Othmar Brüggemann OFM, Wolfgang Brinkel Anmeldung: bis Freitag, 3. April 2026, E-Mail: Othmar60@web.de, Tel.: 097 72 91 24 12 ▶▶ www.kloster-kreuzberg.de 12. bis 31. Januar 2026, Online-Exerzitien Im Schauen auf dein Antlitz – da werden wir verwandelt Diese Exerzitien laden dazu ein, Jesus in den Blick zu nehmen – und uns von seinem Blick verwandeln zu lassen. In jeder Woche erhalten die Teilnehmenden drei Bilder der eindrucksvollen Metallikonen des Schweizer Künstlers Josua Boesch mit geistlichen Impulsen, die das Thema entfalten und vertiefen. Wie bei allen Exerzitien geht es darum, Gottes Gegenwart in sich Raum zu geben – und der eigenen Berufung in der heutigen Welt nachzuspüren. Leitung: Helmut Schlegel OFM, Norbert Lammers OFM, Ricarda Moufang Anmeldung: E-Mail: kontakt@geistlicher-ort-hofheim.de, ▶▶ www.geistlicher-ort-hofheim.de 1. bis 5. April 2026 in Haus Ohrbeck, bei Osnabrück Kar- und Ostertage FÜR ALLE: Da kommt noch was Die Kar- und Ostertage in Haus Ohrbeck sind offen für alle: Sie bieten Raum, sich mit den eigenen Lebensfragen zu beschäftigen und in Gemeinschaft Ostern zu feiern. Die Teilnehmenden erleben die österlichen Feierlichkeiten mit und können aus mehreren Workshops wählen. Die Angebote folgen dabei dem Leitmotto »Da kommt noch was«. Leitung: Andreas Brands OFM, Aadel Maximilian Anuth, Franziska Birke-Bugiel u. a. Anmeldung: E-Mail: k.beimdiek@haus-ohrbeck.de, Tel.: 054 01 336 35, ▶▶ www.haus-ohrbeck.de LebensKunst. 800 Jahre Franz von Assisi Ausstellung zu Leben und Wirken von Franz von Assisi Anlässlich des 800. Todestags von Franz von Assisi plant das Dommuseum Salzburg in Kooperation mit dem Verein Franziskanische Forschung in Münster eine Ausstellung, die sein Leben, aber auch sein Nachwirken beleuchten soll. Ausgehend von den wichtigen Stationen und Themen des Franziskus wird gezeigt, wie sein Vermächtnis über die Jahrhunderte gelebt und interpretiert wurde. Vorgesehen sind Exponate aus Österreich, Südtirol, Deutschland und der Schweiz. Zudem werden in den Ausstellungsräumen Angehörige franziskanischer Ordensgemeinschaften Besucherinnen und Besuchern für Fragen nach ihrem Leben als Franziskanerin oder Franziskaner zur Verfügung stehen. 24. Mai bis 2. November 2026 im Dommuseum, Salzburg
6 FRANZISKANER 4|2025 NIZÄA-IKONE 2025 © GRIECHISCH-ORTHODOXE KIRCHENGEMEINDE CHRISTI HIMMELFAHRT ZU BERLIN
Das Nicäno-Konstantinopolitanum Wir 1 glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater (und dem Sohn)2 hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, katholische/christliche/allgemeine3 und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. 1 Der griechische Originaltext hat durchgängig die Mehrzahl, da es ursprünglich als verbindendes Bekenntnis des Konzils konzipiert worden war. In der liturgischen Fassung steht sowohl im lateinischen als auch im griechischen Text durchgängig die Einzahl (»Ich glaube …«), da das Bekenntnis als Taufbekenntnis des Einzelnen gebräuchlich war. 2 Das sogenannte Filioque entfällt in der Fassung der griechisch-katholischen, orthodoxen und altkatholischen Kirchen. 3 In der katholischen Kirche wird griechisch καθολικός katholikós (»das Ganze betreffend, allgemein«) mit katholisch wiedergegeben. Im Protestantismus ist seit der Zeit Martin Luthers die Wiedergabe mit christlich gängig; das Evangelische Gottesdienstbuch gibt es mit allgemein wieder.
8 FRANZISKANER 4|2025 1700 Jahre Nicäa »Wir glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen.« Mit diesen Worten beginnt das nicäno-konstantinopolische Glaubensbekenntnis, das wir in jedem Sonntagsgottesdienst sprechen – 1.700 Jahre alt ist dieses in Worte und Begriffe gegossene Bekenntnis zum dreifaltigen Gott, das als »ökumenisches« Glaubensbekenntnis seinen unverlierbaren Platz in Liturgie und Lehre der Kirche einnimmt. Es bleibt zu fragen, ob es uns Menschen im 21. Jahrhundert noch immer erreicht, berührt, stärkt. Als Mensch möchte ich glauben. Ich möchte an etwas glauben. Ich möchte glauben an den Gott meines Lebens. Über diesen Wunsch hinaus bekenne ich mitsprechend und mitbetend jedes Mal, dass ich glaube. Nicht immer reflektiert, so dass ich auf jede Nachfrage eine Antwort hätte. Aber grundsätzlich gesprochen: Ja, ich halte mich für einen Mann, der als bekennender Christ in unserer Zeit lebt. Beim Beten des Credos geht es in mir mitunter zwiespältig zu: Nicht immer sind mir alle Glaubenswahrheiten präsent; nicht immer erschließt sich mir jedes Glaubensgeheimnis in gleicher Weise; nicht immer gehen mir die sprachlichen Brocken leicht von den Lippen – und doch ist es das Bekenntnis der Kirche, das identitätsstiftend das Wesentliche meines Glaubens umschließt. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Credos weiß ich natürlich, dass dieser Text »geworden« ist und sich nach unerbittlichen theologischen Kämpfen und Diskursen des 4. Jahrhunderts als ökumenisch etabliert hat – wenngleich er auch in den nachfolgenden Jahrhunderten Streit mit sich brachte. Als im Jahre 325 n.Chr. in der kleinasiatischen Stadt Nicäa mehr als 2.000 Menschen zusammenkamen, darunter 200 bis 300 Bischöfe aus dem ganzen west- und oströmischen Reich, war das Christentum an einem Wendepunkt. Zum ersten Mal in seiner Geschichte versammelte sich die junge Kirche, um gemeinsam über ihren Glauben zu beraten – und das auf Einladung eines Kaisers, der seine Macht zu festigen gedachte. Er wollte wissen: Wer seid ihr Christen? Woran glaubt ihr? Durch die Einladung an alle Bischöfe wollte er eine neue Einheit stiften, die ihm politischen Nutzen bringen sollte. Das erste Konzil von Nicäa war mehr als eine theologische Konferenz. Es war ein Ereignis, das Religion und Politik neu verband und die Grundlage des christlichen Glaubens bis heute prägt. Ein Glaube sucht Einheit Das Christentum hatte gerade erst die schlimmsten Verfolgungen hinter sich. Zwölf Jahre zuvor hatte Kaiser Konstantin der Große mit dem Toleranzedikt von Mailand (313) die Religionsfreiheit verkündet. Die Kirche durfte nun öffentlich wirken und gewann rasch an Einfluss. Doch dieser neu gewonnene Friede brachte ein altes Problem ans Licht: Uneinigkeit im Inneren. Besonders heftig wurde über die Frage gestritten, wer Jesus Christus war. War er wirklich Gott – oder nur ein besonders gottähnlicher Mensch? Der Priester Arius behauptete, Jesus sei von Gott geschaffen worden, also nicht ewig und göttlich im gleichen Sinn wie der Vater. Für ihn war der Sohn ähnlich (homoiousios), aber nicht wesensgleich (homoousios) mit Gott. Diese kleine sprachliche Nuance – nur ein Buchstabe Unterschied – entzündete eine der größten Krisen der frühen Kirche. Denn wenn Jesus nicht wahrer Gott war, wie konnte er dann die Menschheit erlösen? Für die Gegner des Arius ging es um das Herzstück des Glaubens. Konstantins Kalkül Kaiser Konstantin war kein Theologe, aber ein kluger Machtpolitiker. Er erkannte, dass die Glaubensstreitigkeiten das mühsam geeinte Reich zu spalten drohten. Für ihn war die Kirche ein Mittel zur Einheit des Reiches, religiös wie politisch. Ein zerstrittener Glaube passte nicht zu seiner Vision eines christlich geprägten Imperiums. Also lud Konstantin die Bischöfe in seine Sommerresidenz nach Nicäa ein – ein deutliches Zeichen kaiserlicher Autorität. Kirchenführer aus allen Regionen des Reiches folgten der Einladung. Sie diskutierten wochenlang, unterstützt von kaiserlichen Beratern, und versuchten, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Am Ende setzten sich die Gegner von Arius und seiner Lehre, des Arianismus, durch. Das Konzil erklärte feierlich, dass Jesus Christus »eines Wesens mit dem Vater« (homoousios to Patri) sei. Damit wurde die Göttlichkeit Christi als verbindlicher Glaube festgeschrieben. Arius wurde verurteilt, seine Schriften verbrannt, und das Bekenntnis von Nicäa trat an seine Stelle.
9 FRANZISKANER 4|2025 Andreas Brands OFM Theologisch gesehen prägt das Bekenntnis von Nicäa bis heute den Kern des christlichen Glaubens. Die Gottes-Lehre, die Trinitätsformel, ist nicht nur abstrakte Philosophie. Sie drückt die Überzeugung aus, dass Gott Beziehung ist – und dass der Mensch in gleicher Weise zur Gemeinschaft berufen ist. In einer Zeit, in der religiöse Identität wieder politisch aufgeladen wird, erinnert Nicäa daran, dass Wahrheit und Macht nicht dasselbe sind. Das Konzil war ein Versuch, Einheit zu schaffen, ohne den Glauben zu verwässern – ein Balanceakt, der jede religiöse Gemeinschaft bis heute begleitet. Fazit Das Konzil von Nicäa war nicht nur ein Streit unter Gelehrten, sondern ein Wendepunkt der Geschichte. Es brachte nicht nur ein Glaubensbekenntnis hervor, sondern eine neue Ordnung von Kirche und Staat. Zwischen Glauben und Politik, Überzeugung und Kompromiss, Theologie und Macht entstand eine Dynamik, die das Christentum bis heute prägt. Darüber hinaus zeigt sich die Entstehungsgeschichte des Credos als langwieriger Prozess, der zwar den einen Glauben an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist bekennt, sich jedoch in einer großen Vielfalt von Kirchen in Ost und West verwirklicht. Die Unabgeschlossenheit der theologischen Klärung steht uns vor Augen. Die Texte dieser Ausgabe führen Sie von der Gegenwart zurück bis nach Nicäa. Beginnend mit dem Credo, wie die junge Kirche es formuliert hat, stellt Dr. Siegfried Kleymann die Frage nach dem »Glauben- Können« heute. Im Interview mit Dr. Jan Loffeld wenden wir uns einer Gegenwartsanalyse zu, die die Herausforderungen für die Kirche im 21. Jahrhundert benennt. P. Franz Richardt stellt den Zugang zum Lebensglauben nach Christoph Theobald SJ her, an den sich die komplexe Auseinandersetzung mit der Christologie im 4. Jahrhundert anschließt, die uns Dr. Gunda Werner anbietet. Den Abschluss der Reflexion bildet das Credo von Dorothee Sölle aus dem Jahr 1969, das uns die sozialpolitische Dimension des Textes aufschließt. Nicäa bleibt so etwas wie ein Spiegel: Es zeigt, wie Menschen um Wahrheit ringen – mit Leidenschaft, Streitlust und dem Wunsch nach Einheit. Und es erinnert daran, dass jede Generation ihre eigenen Konzilien austragen muss – auf der Suche nach einem Glauben, der trägt. Das Bekenntnis von Nicäa Das sogenannte Nicänische Glaubensbekenntnis fasste die Entscheidung in wenigen, klaren Worten zusammen: Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, […] und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.« Diese Formulierung sollte künftig im ganzen Reich verbindlich sein. Daneben erließ das Konzil auch 20 kirchliche Regeln (Kanones), die das Leben der Kirche ordneten – etwa die Wahl von Bischöfen, kirchliche Disziplin und das Datum des Osterfestes. Wenngleich damit die zentralen Fragen des 4. Jahrhunderts ihre Antworten fanden, bleibt überraschend festzuhalten: Das Credo erscheint theologisch recht dünn. Es wird zwar definiert, wer Jesus Christus in seiner Beziehung zum Vater war, über sein Leben und seine Botschaft, für die er gestorben ist, wird im Bekenntnis aber nichts ausgesagt. Knapp wird formuliert: »Geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus«. Im Credo bleiben das Leben und Wirken Jesu die große Leerstelle. Folgen und Konflikte Mit dem Abschlussdokument jedoch war der Streit nicht wirklich beendet. Der Arianismus lebte weiter, zeitweise sogar mit der Unterstützung der nachfolgenden Kaiser. Erst Jahrzehnte später, beim Konzil von Konstantinopel (381), setzte sich die trinitarische Lehre endgültig durch. Noch einmal 70 Jahre später (451) wird das kürzere »apostolische Glaubensbekenntnis« formuliert. Nicäa markiert eine Zäsur. Zum ersten Mal trat die Kirche als weltweite Gemeinschaft zusammen, um über den Glauben zu entscheiden. Dieses Modell – das ökumenische Konzil – wurde zum Vorbild für zukünftige Kirchenversammlungen. Gleichzeitig begann ein neues Verhältnis von Kirche und Staat: der Kaiser als Schirmherr des Glaubens, aber auch als Schiedsrichter in theologischen Fragen. Das brachte Vorteile – Einheit, Struktur, Einfluss –, aber auch Risiken: Die Kirche rückte näher an die Macht und damit auch in ihre Abhängigkeit. Bedeutung für heute 1.700 Jahre nach Nicäa hat sich die Welt verändert, doch die Fragen bleiben erstaunlich aktuell. • Was bedeutet Einheit im Glauben, wenn Menschen unterschiedlich denken? • Wie verbindlich kann Rom für die weltweite Kirche eine einheitliche Glaubenspraxis vorschreiben, wenn kulturelle Hintergründe differenzierte Handlungen erfordern? • Wie viel Einfluss darf die Politik auf Religion haben – und umgekehrt? • Braucht ein Bekenntnis nicht immer auch wieder Aktualisierung? In der Sprache? In den Inhalten?
10 FRANZISKANER 4|2025 Ich glaube an den einen Gott Πιστεύω εις ένα Θεόν Glauben – wie geht das? Morgendliche Entscheidung Ein erster Schritt beginnt am frühen Morgen. Ich stehe auf – und vermute, dass es gut ist aufzustehen. Jedenfalls besser, als einfach im Bett liegen zu bleiben. Was der Tag bringt, weiß ich nicht. Ob ich Sinnvolles zustande bringe, glückliche Momente erlebe, Verletzungen erfahre? Ob ich für andere gut bin oder sie in ihrer Freiheit einschränke: Ich weiß es nicht. Ich setze darauf, dass es gut ist, aufzustehen und diesen Tag zu leben. Ähnlich geht es mir in anderen Bereichen des Lebens: Wenn Siegfried Kleymann Glauben – wie geht das? Wie kann der Glaube eine Lebenshaltung sein, die vernünftig und nachvollziehbar ist? Wie kann es sogar erstrebenswert sein, zu glauben und im Glauben zu wachsen? Das sind grundlegende Fragen. Gehen wir auf Spurensuche. ich einen Menschen kennenlerne und wir uns anfreunden, weiß ich nicht, was diese gemeinsame Geschichte mit sich bringen wird. Ich wage es, mich auf die Beziehung einzulassen und mich der anderen Person anzuvertrauen, weil es die Ahnung – oder die begründete Hoffnung – gibt, dass es gut ist, das zu tun, und dass es gut wird. Wenn ich nach Santiago de Compostela pilgere, mich im Urlaub aufs Fahrrad setze oder beginne, eine Fremdsprache zu lernen: Nie weiß ich, was mir begegnen wird und was aus dem Anfang alles wird. Ich entscheide mich einfach, es zu tun. Und hoffe, dass es gut wird. Dennoch Ja zum Leben sagen Ist das zu leicht dahingesagt: »dass es gut wird«? Gewichtige Gegenstimmen melden sich: wenn ich durch negative Erfahrungen beim Anfangen von Freundschaften vorsichtig geworden bin, wenn mich lang anhaltende Schmerzen bedrängen, wenn mich die Schwerkraft des Lebens hinunterzieht, wenn die innere Dunkelheit sich nicht lichten will. Ich werde oft genug erfahren müssen, dass es nicht einfach gut ist oder gut geht. Weder bin ich selbst noch sind die anderen oder ist das Leben an sich einfach nur gut. Wir werden enttäuscht, Erwartungen erfüllen sich nicht, Pläne werden FRAU WACHT AUF © GETTY IMAGES – UNSPLASH.COM
11 FRANZISKANER 4|2025 durchkreuzt. Schmerzhaft erfahre ich im persönlichen Umfeld und im globalen Kontext Selbstbezogenheit und Lüge, Gleichgültigkeit und Destruktivität, strukturelles Unrecht und abgrundtiefe Gewalt. Wie ist es möglich, das realistisch wahrzunehmen – und dennoch darauf zu setzen, dass es gut ist zu leben? Wie kann ich darauf setzen, dass es besser ist, das Leben zu lieben, als es zu verachten? Wenn es diese Stimme oder diese Sehnsucht in mir gibt, die mich zum Leben ruft, die mich trotz allem und in allem Ja zum Leben sagen lässt: Wodurch wird sie gestärkt? Was hält sie am Leben? Bestärkende Erfahrungen »Es ist gut, dass ich lebe!« Dieses Glaubensbekenntnis gründet in Erfahrungen, die in mir dieses Vertrauen gestärkt haben und stärken: In der Begegnung mit liebevoll-verlässlichen Menschen, im staunenden Innehalten in der Natur und im schweigenden, horchenden Gebet wird in mir dieses Urvertrauen ins Dasein gestärkt und aktualisiert. Das ist ein Geschenk – und zugleich ist es meine Entscheidung, dieses Geschenk anzunehmen, mich ihm anzuvertrauen. Die Dichterin Hilde Domin hat diesen Mut in ein kurzes Gedicht gebracht: »Ich setzte meinen Fuß in die Luft | und sie trug.« Die Wirklichkeit dieses Satzes zeigt sich mir, indem ich es wage, mich auf den Weg zu machen. Mit meiner Energie, meiner Sehnsucht, meinen Befürchtungen. Die einzige Möglichkeit, dass das Ja zum Leben wahr werden kann, liegt darin, dass ich es riskiere aufzubrechen. Auf dem Weg werde ich entdecken, wie es weitergeht, wo Vorsicht oder Mut nötig sind, welche Hilfen mir zuteilwerden. Ob ich kraftvoll losrenne oder nüchtern abwäge: Ich bin mit im Spiel. Es fängt nur dann an, wenn ich mit anfange. Vergegenwärtigte Glaubensgeschichten Wenn ich aufbreche, bin ich hineingestellt in eine lange Geschichte von Erfahrungen. Sie werden in unzähligen Traditionen der Menschheits-, Kirchen- und Glaubensgeschichte erinnert. Die Bücher der Heiligen Schrift – die Geschichte Israels, das Evangelium Jesu Christi, die Zeugnisse der frühen Kirche – und die Erinnerungen an überzeugende (»heilige«) Menschen sind für Glaubende in den christlichen Kirchen wesentlich. Sie werden in Worten, Bildern und Ritualen erinnert und breiten so einen Horizont aus, der den gegenwärtig Zu-glauben-Versuchenden Perspektiven schenkt und sie auf den eigenen Weg locken will. Das Glaubensbekenntnis an den Dreifaltigen Gott hat hier seinen Ort: In ihm soll das Vertrauen an den Einen Gott zur Sprache gebracht werden, der mit schöpferischer Liebe die Welt ins Leben ruft, der in Jesus Christus inmitten tödlicher Gewalt sein Ja zu unserer Welt zeigt und dessen Wohlwollen und Energie in uns Menschen wirken wollen. Wie die Glaubenserzählungen und -bekenntnisse wirken, wozu sie ermutigen, was sie hervorrufen, wovor sie warnen, was mit ihnen anfängt, zeigt sich auf dem Weg. Ob im neugierigen Aufstehen und Losgehen oder in der Sehnsucht, dem Leben (mehr) vertrauen zu können: Glauben bleibt eine Bewegung, ein lebenslanger Weg. Glauben bewirkt Taten Worauf du dich ausrichtest, das prägt dein Leben und wirkt sich in deinen Taten aus: Das ist seit Paulus eine geistliche Regel im Christentum. Wer sich in Jesus Christus auf Gott ausrichtet als Quelle der Güte, in dessen Leben wird sich diese Liebe widerspiegeln: im Wohlwollen gegenüber den Mitmenschen, in der Sensibilität für Arme und Verwundete, in der Ehrfurcht vor der Schöpfung, im Widerstand gegen jede Form der Verachtung. So wirkt das erhoffte, ersehnte, erlittene Ja zum Leben in jener Praxis der Solidarität, die Franz von Assisi glaubwürdig verkörpert hat – im Wissen darum, dass er Glaubensanfänger ist und bleibt. So wird von Franziskus berichtet, dass er im Angesicht des Todes gesagt habe: »Brüder, lasst uns endlich anfangen.« Dieser franziskanische Glaubens-Geist sei uns allen gewünscht! Dr. Siegfried Kleymann kommt aus Münster, ist Theologe und Pfarrer der Gemeinde Heilig Kreuz Münster. Zudem ist er als Geistlicher Begleiter und Exerzitienbegleiter tätig. DR. SIEGFRIED KLEYMANN © ELIAS MÜLLER
12 FRANZISKANER 4|2025 Και εις ένα Κύριον Und an den einen Herrn Jesus Christus Interview: Andreas Brands OFM Bearbeitung: Maximilian Feigl »Für viele spielt die Gottes Vor 1.700 Jahren formulierte das Konzil von Nicäa das Bekenntnis, das bis heute die Grundlage des christlichen Glaubens bildet. Doch was bedeutet dieses Bekenntnis heute – in einer Zeit, in der für viele die Gottesfrage keine Rolle mehr spielt? Der Theologe Jan Loffeld, Professor für Pastoraltheologie an der Universität Tilburg, spricht über die bleibende Bedeutung von Nicäa, über den Verlust religiöser Selbstverständlichkeit und über neue spirituelle Suchbewegungen jenseits klassischer Kirchenstrukturen. Ein Gespräch über Gott, Glaube und die Herausforderungen einer Pastoral in einer Zeit, in der immer mehr Menschen die Frage nach Gott egal ist. Herr Loffeld, wir feiern gerade das 1700- jährige Jubiläum des Konzils von Nicäa. Was steht für Sie im Mittelpunkt der Erinnerung? Man kann das Konzil natürlich im historischen Kontext sehen und sich auf die politischen Implikationen nach der konstantinischen Wende konzentrieren, wie etwa die Bedeutung eines geeinten Christentums für den Kaiser. Oder man sieht sich die philosophischen Themen des Konzils genauer an, also die Frage nach den Wesensbestimmungen oder den Personenbegriffen. Im Mittelpunkt der Erinnerung steht aber, würde ich sagen, das allen großen christlichen Kirchen gemeinsame Bekenntnis – auch wenn diese sich später auseinanderentwickelt haben. Aber all diese Christinnen und Christen glauben an Gott in Jesus Christus. Also an Gott, der in Menschengestalt, also als Jesus Christus, von sich erzählt hat. Und genau das sollten wir in den Vordergrund stellen. Denn heute stehen wir vor der Herausforderung, dass die Gottessohnschaft Jesu für die meisten Menschen keine Lebensrelevanz mehr hat. Die Taufe Christi von Andrea del Verrocchio und Leonardo da Vinci: Die Hände Gottes und die Taube als Symbol des Heiligen Geistes symbolisieren gemeinsam mit Jesus die Dreifaltigkeit DER TRAUM VON PAPST INNOZENZ III. © GIOTTO DI BONDONE
13 FRANZISKANER 4|2025 Ιησούν Χριστόν frage keine Rolle mehr« Wie genau ist denn das Bekenntnis einzuordnen? War es ein reiner Lehrsatz? Oder ein Ausdruck von Beziehung, Vertrauen, Anbetung? Für mich ist das Bekenntnis vor allem der Versuch, den Volksglauben an Jesus in Kategorien auszudrücken. Es ging um die Frage, wie man Jesus denken kann, damit er der ist, der sozusagen im Volk lebt – als derjenige, der der Erlöser ist. Derjenige, der uns aus dem Menschsein, so wie es ist, noch mal erheben kann und will zu unserer ursprünglichen Berufung. Dabei ist das Hochinteressante am Konzil von Nicäa, dass der Glaube an die Gottessohnschaft Jesu, wie er nachher definiert worden ist, nicht der Glaube der Mehrheit der Bischöfe war, sondern der Glaube des Volkes. Das zeigt uns, dass manchmal auch die Mehrheit der Bischöfe irren kann. Letztlich ging es also darum, den damaligen Glauben des Volkes dogmatisch akzeptabel, philosophisch praktikabel und ausdrückbar zu gestalten. So wurde letztlich der Jesus, der geglaubt wurde, zum Jesus des Glaubens. Hat die Gottessohnschaft Jesu, also die Menschwerdung, für die Menschen heute noch Bedeutung? Zur Begründung der Menschenwürde gibt es im Großen und Ganzen zwei theologische Figuren: die Geschöpflichkeit und die Inkarnation. Geschöpflichkeit bedeutet, der Mensch ist geschaffen auf Gott hin, als Ebenbild Gottes. Und die Inkarnation besagt eben, dass Gott einer von uns geworden ist. Das ist sozusagen der Anker der Menschenwürde. Wenn Gott in Jesus Christus Mensch wird, dann ist das Menschengeschlecht auf besondere Prof. Dr. Jan Loffeld hat Theologie in Münster und Rom studiert und wurde 2003 zum Priester geweiht. Seit 2019 ist er Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology in Utrecht. Loffeld ist Berater der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Kirchenmit- gliedschaftsuntersuchung. Weise geadelt. Die Frage, die sich heute aber stellt, ist, wenn Gott keine Rolle mehr spielt, auch in Diskussionen um die Menschenwürde, dann wird seine Menschwerdung ein »Nice-tohave« oder »Nice-to-know«. Und das ist für uns als Kirche heute die Herausforderung, vor der wir stehen: zu zeigen, dass es eben nicht nur ein »Nice-to-know« ist, sondern das große Plus des Glaubens: Gott ist einer von uns geworden. Aber müssen wir dann nicht die Frage stellen, ob die Botschaft der Menschwerdung überhaupt noch zu unserer Verkündigungsrhetorik gehören sollte? Erfüllen wir damit überhaupt noch ein Bedürfnis? Ganz früher war es der Ansatz, den Menschen nachzuweisen, dass sie die Erlösung brauchen, die am Kreuz gewirkt worden ist. Weil sie Sünder sind. Das war das sogenannte staurologische Motiv. In den letzten 60 Jahren haben wir dann aber angefangen, die Verkündigungsrhetorik vom Menschen her zu denken. Wir haben die Frage nach Gott als die Frage nach dem Menschen gestellt – also anthropologisch. Damit wollten wir die Menschen bei ihrem Menschsein abholen. Jetzt merken wir aber, dass viele sich gar nicht mehr abholen lassen wollen. Denn für viele spielt die Gottesfrage für ihr Verständnis des Menschen keine Rolle mehr – weder gesellschaftlich noch individuell. Das liegt daran, dass wir einen Zusammenhang voraussetzen, den wir bei immer weniger Menschen finden: im Glauben an das Leben einen Gottesglauben zu entdecken. Das lässt sich lebenspraktisch nicht nachweisen. Für uns heißt das jetzt also, dass wir uns mit dieser Leerstelle auseinandersetzen müssen. Unsere großen theologischen Paradigmen scheitern hier aber. Was können wir also tun? Bevor wir uns dieser Frage widmen, müssen wir zuerst noch etwas genauer auf die Prozesse PROF. DR. JAN LOFFELD © GERD NEUHOLD – SONNTAGSBLATT
και Μαρίας της Παρθένου και ενα von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden schauen, die hier wirken. Als wir mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Wende vom staurologischen zum anthropologischen Motiv vollzogen haben, ging es auch um den Umgang mit dem Atheismus, den man in den 1960er-Jahren gesehen hat – also das Fehlen eines Glaubens an Gott oder sogar dessen direkte Ablehnung. Daneben stand der Agnostizismus, bei dem die Möglichkeit des Göttlichen weder bejaht noch verneint wird, weil man eine Antwort auf die Frage nach Gott für nicht möglich hält. Heute treffen wir aber auf etwas anderes, den Apatheismus. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Haltung, dass die Frage nach der Existenz Gottes bedeutungslos und uninteressant ist. Daher stellt man sich diese Frage nicht. Das soll nicht bedeuten, dass diese Menschen gar nichts mehr bewegt – in politischen oder humanitären Fragen sind sie schon noch wach. Aber sie verquicken das eben nicht mit der Gottesfrage oder der Frage, ob es irgendwann eine letzte Gerechtigkeit gibt, die nicht von Menschen hergestellt wird. Diesen Trend sehen wir auch nicht mehr nur in Europa und Nordamerika – aktuelle Studien finden ihn auch in Lateinamerika, in Asien und Afrika, nur etwas generations- und zeitversetzt. Zu diesem Trend hin zum Apatheismus gibt es aber auch eine Gegenbewegung, den Anatheismus. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Hier geht es darum, dass Gott innerhalb des Säkularen wieder präsent wird – allerdings nicht auf eine Weise, die wir irgendwie durch unsere Konzepte ermöglicht hätten. Stattdessen sind das Menschen, die über ihr eigenes Leben nachdenken oder auch eine Grenzerfahrung gemacht haben und dabei festgestellt haben, dass Glaube für sie persönlich wieder eine Option ist. Diese Menschen wollen Informationen über den Kern des Glaubens. Und stellen Fragen, die wir uns schon lange nicht mehr gestellt haben. Ein Beispiel: Mit einer Der Traum von Innozenz III. von Giotto di Bondone: Der Papst sieht im Traum, wie Franziskus die einstürzende Lateranbasilika stützt und sie so vor dem Untergang bewahrt. Auf diese Weise symbolisiert das Werk die Wiederherstellung der Kirche durch den Franziskanerorden. DER TRAUM VON PAPST INNOZENZ III. © GIOTTO DI BONDONE
15 FRANZISKANER 4|2025 ανθρωπήσαντα Gruppe von Studierenden hatte ich vor Kurzem eine Diskussion über die Frage, warum Jesus wirklich am Kreuz unter Schmerzen gelitten haben muss. Welchen heilsgeschichtlichen Sinn das hatte. Darüber habe ich mir schon sehr lange keine Gedanken mehr gemacht. Aber für diejenigen, die sich wieder mit dem Christentum als Option auseinandersetzen, sind das ganz ernste Fragen: Kann ich das glauben? Welche Bedeutung hat das für mich? Und das ist etwas, womit die klassischen Säkularisierungstheorien nicht rechnen, weil sie lineare Entwicklungen erwarten: Wenn die Mehrheit ungläubig ist, dann wird sich das ausbreiten. Und der Glaube wird irgendwann ganz verschwinden. Die letzten fünf bis zehn Jahre zeigen aber, dass das nicht der Fall ist. Und unsere Pastoral, also unsere kirchliche Praxis, kann das nicht auffangen? Nein, daran scheitert sie, denn sie ist darauf gar nicht ausgerichtet. Wir haben Kategorien von Wirksamkeit und Evaluationskriterien, die dafür sorgen, dass die Christinnen und Christen in den Gemeinden eine qualitativ hochwertige Seelsorge bekommen. Aber der Umgang mit dem Anatheismus erfordert etwas anderes. Denn hier geht es um die Frage, wo der Glaube seinen Anfang nimmt, das Initium Fidei, wie es Augustinus nannte. Aber ich glaube, darauf hatte auch der Kirchenlehrer keine Antwort. Und wir dürfen auch nicht zu viel erwarten. Auch wenn ich den Anatheismus als Gegentrend zum Apatheismus bezeichne, kann er vom Ausmaß her nicht mithalten. Damit lassen sich eine Volkskirche und ihre Strukturen, wie wir sie heute haben, nicht retten. Dafür ist es quantitativ zu gering. Gott sucht sich seine Wege zu den Menschen also selbst. Und in unseren Strukturen und theologischen Gedankengebäuden ist das gar nicht immer zu erfassen? Genau. Augustinus hätte ja auch nie gedacht, dass er einmal eine so wichtige Rolle einnehmen wird. Oder nehmen wir andere Größen wie Franziskus oder Ignatius: Gott hat ihnen Erfahrungen geschenkt, und sie nahmen dann andere mit auf ihrem Weg, in ihre Ordensbewegungen. Auf diese Weise hat Gott seine Kirche erneuert, die Initiative ging dabei von ihm aus. Und so ähnlich wie Franziskus die Anerkennung des Papstes gesucht hat, sind auch die Menschen, die sich wieder für den christlichen Glauben interessieren, auf der Suche nach einem Gesprächspartner, über den sie sich mit dem Großen und Ganzen verbinden können. Sie wollen eine Rückbindung an die größere Erzähltradition, damit ihre Suche nicht zu einer Art Egotrip wird. Denn wenn jeder seinen eigenen Jesus bastelt, geht die gemeinsame Grundlage verloren. Und hierfür stehen die Orden, die Kirche und letztlich auch der Papst – nicht als Person, sondern als Institution, durch die diese Geschichte sozusagen antreffbar bleibt in der Welt. Also zurück zu der Frage, was wir tun können. Braucht es wieder eine Erneuerungsbewegung? Oder was erwarten Sie perspektivisch? Dass es zu einer Erneuerungsbewegung vergleichbar mit Franziskus oder Ignatius kommt, glaube ich nicht. Das liegt vor allem daran, dass unsere Kultur heute zu plural und zu diversifiziert ist, um solche epochalen Figuren hervorzubringen. In Zukunft wird es für uns vor allem darum gehen, das Evangelium auf unterschiedliche und völlig diverse Weise zu verkörpern. Oder um es gnadentheologisch zu sagen: Wir überlassen es ganz dem Heiligen Geist, was sich wie einprägt und wer wie geprägt wird. Wer sich stark auf Erfolgskriterien hin orientiert, mag sich jetzt etwas mehr erhofft haben, aber die geistige Grundhaltung ist doch die, dass wir Gott wirken lassen. Die Konzepte der letzten Jahrzehnte haben sich jedoch in der Pastoraltheologie ganz stark auf das Machen konzentriert. Wir haben aber jetzt gelernt, dass eben das nicht mehr funktioniert. Daher glaube ich, wie gesagt, dass wir eine tiefe geistige Verbundenheit brauchen, um Kirche leben und tragen zu können. Schließlich geht es im Christentum um die Verbindung von Gott und Mensch. PILGERIN © VUK SARIC – ISTOCK.COM
16 FRANZISKANER 4|2025 An das Leben glauben και Im Credo beten wir: »Ich glaube an das ewige Leben.« Doch diesem Bekenntnis geht ein noch grundlegenderes voraus: der Glaube an das Leben selbst. Es ist der Glaube an die basale Grundlage unseres Daseins. Es ist der ganz und gar menschliche Glaube, ohne den das Leben nicht geht. Es ist das Urvertrauen jenseits kirchlicher Gebundenheit, dass das Leben sinnvoll ist. Wenn sich zum Beispiel ein Paar entschließt zu heiraten, dann glauben sie, dass ihr Lebensprojekt gelingt, obwohl die Zukunft im Dunkeln liegt. Sie geben der Zukunft einen »Kredit«, einen Vertrauensvorschuss. Wenn sie sich dazu entschließen, ein Kind zu bekommen, geschieht auch das nicht ohne ein vorausgehendes Vertrauen: das Vertrauen, dass es gut und sinnvoll ist, einem Kind das Leben zu schenken. Auch wenn sie nicht wissen, was möglicherweise auf das Kind und mit dem Kind auf sie zukommen wird. Sie glauben an das Leben, das all diesen und ähnlichen Entschlüssen zugrunde liegt. Zwar wissen wir, dass es unbegreiflich harte Schicksalsschläge gibt. Sie machen es Menschen phasenweise oder für immer unmöglich, an die Güte des Lebens zu glauben. Wir wissen aber auch, dass Menschen, die zum Beispiel durch den Tod lieber Menschen bittere Verluste hinnehmen mussten, sehr oft trotz der schmerzenden Leere langsam wieder dahin finden, sich aktiv dem Leben zuzuwenden – und lernen, gegen den Tod wieder an das Leben zu glauben. Ausschnitt des Wandgemäldes zur Begegnung Jesu mit der blutflüssigen Frau in der Krypta der Kirche in Magdala
17 FRANZISKANER 4|2025 καθεζόμενον εκ δεξιών του Πατρός Er sitzt zur Rechten des Vaters Franz Richardt OFM Der Theologe Christoph Theobald nennt diese Art zu glauben »Lebensglauben«. Er meint damit einen Lebenswillen, der das Wort »glauben« verdient, auch wenn damit nicht das Bekenntnis im Credo gemeint ist: »Ich glaube an das ewige Leben!« Ein biblischer Hintergrund Christoph Theobald findet diesen »Glauben jedermanns« exemplarisch in der biblischen Geschichte beim Evangelisten Markus (Mk 5,21-43). Eine Frau, die seit zwölf Jahren an Blutfluss litt und bei Ärzten trotz hoher finanzieller Aufwendungen keine Hilfe fand. Nun hat sie von Jesus gehört. Sie wagt es, sich in einer Menschenmenge an ihn heranzudrängen und sein Gewand zu berühren, in der Hoffnung, dass sie dadurch Heilung erfährt. So geschieht es. Jesus spürt sofort, dass eine Kraft von ihm ausgegangen ist, und er fragt eindringlich: »Wer hat mich berührt?« Die Frau gibt zu: »Ich war es«, weil sie gespürt hat, dass sie sofort geheilt war, und sie sagt Jesus »die ganze Wahrheit«. Darauf antwortet Jesus: »Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.« (Mk 5,33–34). Das Ergreifen dieses letzten Strohhalms, diesen Willen, unbedingt gesund werden zu wollen, nennt Jesus »Glauben«. Obwohl das Wort »Gott« in der ganzen Begegnungsgeschichte nicht vorkommt, kann Jesus trotzdem staunend feststellen, dass die Frau in der Misere ihrer Lebensgeschichte ihren Glauben an das Leben nicht aufgegeben hat. Es verwundert, dass Jesus hier vom »Glauben« spricht. Dieses Verhalten nennt Christoph Theobald »Lebensglauben«. Beispiele für den Lebensglauben Ein beeindruckendes Beispiel für diesen Lebensglauben liefert der Psychologe Viktor E. Frankl. Seine gesamte Familie wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, er allein überlebte und steht daraufhin in der Versuchung, in dieser unbegreiflichen Sinnlosigkeit sich selbst aufzugeben. In dieser Not geht ihm wie durch ein Wunder auf: Jede seelische Lebenssituation, wie sie auch beschaffen sein mag, bietet konkrete Sinnmöglichkeiten. Sie zu ergreifen liegt in der Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen. In seinem Erlebnisbericht aus dem Lager »… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager« schreibt er: »Nicht wir dürfen nach dem Sinn des Lebens fragen, das Leben ist es, das Fragen stellt, Fragen an uns richtet – wir sind die Befragten. […] Leben heißt nichts anderes als ›Befragtsein‹, all unser Sein ist nichts weiter als ein Antworten, ein Ver-antworten des Lebens. […] Das Leben erscheint so nicht mehr als eine Gegebenheit, sondern als eine Aufgegebenheit.« Diese Aufgegebenheit anzunehmen, schafft die Gewissheit, dass das Leben sinnvoll ist. Diese Antwort ist ein elementarer Akt eines Glaubens an das Leben, eine Energie, ein – um den Theologen Paul Tillich zu bemühen – »Mut zum Sein«. Dafür nenne ich als zweites Beispiel Dag Hammarskjöld. In seinen Reflexionen »Zeichen am Weg« schreibt der ehemalige UN-Generalsekretär: »Ich weiß nicht, wer – oder was – die Frage stellt. Ich weiß nicht, wann sie gestellt wurde. Ich weiß nicht, ob ich antwortete. Aber einmal antwortete ich Ja zu jemanden – oder zu etwas. Von dieser Stunde her rührt die Gewissheit, dass das Dasein sinnvoll ist und dass darum mein Leben, in Unterwerfung, ein Ziel hat.« Deswegen findet er in dieser Grunderfahrung die Kraft, Ja zu sagen. Und wenn das Ja sinnvoll erscheint, hilft es, nichts anderes zu tun als immer wieder Ja zum Leben zu sagen. Diese beiden Beispiele mögen für viele Menschen stehen, die sich den Herausforderungen des Lebens stellen. Die nicht weglaufen, sondern bleiben, auch wenn es kritisch wird. Die aus sich herauskommen und über ihren Schatten springen, wenn sie merken: »Jetzt bin ich gefragt!« Die einspringen, wenn jemand ungerecht angegriffen wird und verteidigt werden muss. Die widersprechen, wenn politische oder kirchliche Entwicklungen einen Weg nehmen, der in die Unfreiheit führt. Die auf die Zumutungen, die in ihr Leben einbrechen können, mit Mut und Demut antworten. Es ist auffallend, dass Menschen, die sich so dem Ruf des Lebens stellen, eine tiefe Lebenserfahrung machen. Nach dem Religionsphilosophen Tomáš Halík begegnen sie »der heiligen Tiefe des Lebens«; der Soziologe Hans Joas nennt es die »Macht des Heiligen«. Für den Theologen und Physiker Erhard Weiher wurden diese Menschen von dem Geheimnis berührt, das unser Leben von Anfang bis zum Ende umgibt und das wir »Gott« nennen. Frankl hat immer wieder betont, dass wir uns vor jenem Geheimnis beugen müssen, das größer ist, als der Mensch es fassen kann. So kann es sein, dass das »An das Leben glauben« zum Bekenntnis führt: »Ich glaube an das ewige Leben!« Und so kann es auch sein, dass umgekehrt das Bekenntnis zu Gott zu einem Bekenntnis zum Leben wird. So verstehe ich das Lebensresümee von Widerstandskämpfer Alfred Delp: »Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.«
18 FRANZISKANER 4|2025 Die Frage nach Jesus Christus Nicäa 325: so aktuell wie heute Gunda Werner Wenn der Evangelist Markus die Jünger fragen lässt: »Wer ist denn dieser?« (Mk 4,41), so fasst er damit die Grundfrage des christlichen Glaubens zusammen. Da die Gläubigen Jesus nicht mehr persönlich kannten, wurde der Glaube über Erzählungen und die kirchliche Tradition weitergegeben. So bleibt das Offenbarungshandeln Gottes in Jesus Christus für nachfolgende Generationen erhalten. In der Auseinandersetzung über Jesus als Christus – also in der Christologie – werden zentrale Glaubensfragen diskutiert. In den ersten Jahrhunderten der Kirche werden diese Diskussionen von zwei Denkweisen bestimmt: einer jüdischen, in der eher an der Gottheit Jesu gezweifelt wird, und einer hellenistischen, die an der Möglichkeit seiner Menschheit zweifelt. Diese beiden Denkweisen prallen in intensiven Debatten aufeinander, und die junge Kirche ringt um den »richtigen« Glauben. An den Rändern dieser Debatten entstehen Irrlehren (Häresien), die jeweils einen bestimmten Aspekt von Jesu Göttlichkeit oder Menschlichkeit auf Kosten des anderen überbetonen – sie werden schließlich auf dem Konzil von Nicäa verworfen. Eines dieser unter frühen Christen verbreiteten Denkmodelle ist die Erhöhungs- oder Erwählungschristologie. Sie verkürzt jedoch die wahre Gottheit Jesu Christi oder übersieht sie sogar gänzlich. Das zeigt sich in Auffassungen, die Jesu Besonderheit vor allem darin sehen, dass er ein Prophet, ein Engel oder ein besonders von Gott Begnadeter ist – wie etwa bei der frühchristlichen Gruppe der Ebioniten, die Jesus als einen Boten Gottes verstehen. Die bekannteste Ausprägung dieser Denkweise ist der sogenannte Adoptianismus. Er betont die Einheit und Einzigkeit Gottes und lehnt jede Zuschreibung göttlicher Eigenschaften an Jesus ab. Stattdessen gilt er als auserwählter bzw. adoptierter Sohn Gottes. Ein weiteres frühchristliches Denkmodell ist der Modalismus, der sich auf die Einzigkeit Gottes konzentriert. Dabei steht zwar das Bekenntnis zur vollen Gottheit Jesu im Vordergrund, jedoch geschieht das auf Kosten der klaren Unterscheidung zwischen Vater und Sohn. In dieser Sichtweise ist Jesus keine eigene Person, sondern nur eine Erscheinungsweise des einen Gottes. Zu den Vertretern des Modalismus gehören die Sabellianer, die von einer göttlichen Existenzweise ausgingen, die sie »Sohnvater« nannten. Diese eine Gottheit habe sich in drei zeitlich aufeinanderfolgenden Weisen gezeigt: zuerst als gesetzgebender Vater, dann als der Sohn, der von der Menschwerdung bis zur Himmelfahrt als Erlöser auftritt, und schließlich als Heiliger Geist in der Heiligung der Seelen. Gott erscheint hier also nur in seinem Handeln dreifaltig. Dem steht die Lehre des Doketismus entgegen, die davon ausgeht, dass Jesus nur einen Scheinleib angenommen hat. Als letzte vornicäische Denkmodelle sollen noch die Präexistenz- und Inkarnationschristologien/ Deszendenzchristologien erwähnt werden. Sie konzentrieren »Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.« Matthäus 16,15–16; Einheitsübersetzung Die Frage nach Jesus Christus begleitet die Kirche seit ihren Anfängen: Wer ist dieser Jesus, Sohn Marias und Josefs, Messias, Sohn Gottes? Auf diese Frage brauchte es Antworten, die sich in der Auseinandersetzung mit den jüdischen und griechischen Vorstellungen behaupten konnten. Unzählige Positionen dazu belegen die Uneindeutigkeit des theologischen Sprechens. Das Konzil von Nicäa (Nikaia) brachte Klärung und Eindeutigkeit. GEMÄLDE © DUCCIO DI BUONINSEGNA »Die Berufung der Apostel Petrus und Andreas«, entstanden zwischen 1308 und 1311
Και εις το Πνεύμα το Άγιον Wir glauben an den Heiligen Geist sich auf eine Vorstellung der Präexistenz des Sohnes Gottes – das bedeutet, dass er schon vor seiner irdischen Geburt existierte. Dies legt den Ursprung der Gottessohnschaft Jesu in den Bereich des ewigen Gottes. Natürlich gab es auch frühchristliche Denker, die gegen all diese Verkürzungen des Wesens von Jesus Christus angetreten sind. Sie folgten der Überzeugung, dass er beides sein müsse, Mensch und Gott – heute sind sie als Kirchenväter bekannt. Zu ihnen zählt etwa Ignatius von Antiochien († ca. 117), der überzeugt war, dass Jesus Christus Gottessohn und Menschensohn ist. Beide Begriffe bezeichnen den grundlegenden, unveränderlichen göttlichen und menschlichen Ursprung, der sein eigentliches Wesen ausmacht. Ebenso will Irenäus von Lyon († um 220) die Wirklichkeit der Schöpfung als auch die Wirklichkeit Gottes und die Erlösung verteidigen. Er prägt die zukunftsträchtige Formel: »Ein und derselbe Jesus Christus, der Substanz nach Gott und Mensch«. Zum Zeitpunkt dieser Diskussionen fehlten aber noch philosophisch und theologisch klare und eindeutige Begriffe, die das Verhältnis von Jesus zu Gottvater klären. Dies führte zu einer großen Krise, als Arius († 336) auf den Plan trat. Dieser Denker vertrat die Vorstellung, dass es zwischen Gott und dem Menschen einen »anderen Gott« gebe. Als Bote von Gott geschickt, aber selbst nicht ganz Gott ist dieses Zwischenwesen Teil der geschaffenen Welt. Damit wird der strikte Monotheismus der Einigkeit und Einzigkeit Gottes gewahrt. Zugleich wird aber die johanneische Aussage, dass das göttliche Wort selbst Mensch geworden ist, aufgenommen. Als Folge der sittlichen Bewährung verleiht ihm Gott, im Voraus und aus Gnade, die Würde des adoptierten Sohnes. Arius bezieht alle biblischen Aussagen über Jesu Menschsein unmittelbar auf diesen »anderen Gott«. Aus den Belegen für Jesu Leiden, Schwachheit, Niedrigkeit und Wandelbarkeit folgerte Arius dann, dass Jesus unmöglich göttlichen Wesens sein könne. Stattdessen ist er ein anderer, »zweiter Gott«. Er ist nicht vor der Zeit, sondern in der Zeit aus dem Nichts geschaffen. Die durch die Ansichten des Arius ausgelöste Krise musste auf dem Konzil von Nicäa geklärt werden. Das Konzil verurteilte letztlich die Position des Arius, weil die Argumente überzeugten, dass Jesus nur dann Erlöser sein kann, wenn er wirklich göttlich ist. Das Konzil wollte dabei nicht mit oder über Arius debattieren, sondern reagierte, indem es das bestehende Taufbekenntnis bestätigte und auslegte. Es wollte auch nicht neue Lehren erfinden und über das, was Schrift und Tradition sagen, hinausgehen. Stattdessen war es Ziel, klar zu sagen, dass in Jesus Gott selbst sichtbar wird und er in einem grundlegenden Verhältnis zu Gott, dem Vater, steht. Allerdings reichte es nicht, das bisher Geglaubte einfach zu wiederholen, weil Arius und seine Anhänger dem folgen und die Worte einfach anders auslegen könnten. Deshalb fügte das Konzil zusätzliche Klarstellungen hinzu, um die Unterschiede zu Arius sowie zu anderen abweichenden Gruppen deutlich zu machen. Die bestehende Taufformel wurde durch Zusätze ergänzt: Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, Einziggeborener, aus dem Vater gezeugt, das heißt aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins/wesensgleich dem Vater (homoousios to patri), durch den alles geworden ist, Der wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist, […]. Damit soll die volle Menschheit Jesu gewahrt bleiben und die Einheit mit Gott, also die volle Gottheit Jesu gezeigt werden. Prof.in Dr.in Gunda Werner studierte Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Franziskaner und Kapuziner und an der WWU in Münster. Nach Stationen in Bonn, Bochum, Tübingen und Graz ist sie seit 2022 Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Ruhr-Uni Bochum. PROF.IN DR.IN GUNDA WERNER © RUB, MARQUARD
franziskaner.netRkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=