Franziskaner - Winter 2025

17 FRANZISKANER 4|2025 καθεζόμενον εκ δεξιών του Πατρός Er sitzt zur Rechten des Vaters Franz Richardt OFM Der Theologe Christoph Theobald nennt diese Art zu glauben »Lebensglauben«. Er meint damit einen Lebenswillen, der das Wort »glauben« verdient, auch wenn damit nicht das Bekenntnis im Credo gemeint ist: »Ich glaube an das ewige Leben!« Ein biblischer Hintergrund Christoph Theobald findet diesen »Glauben jedermanns« exemplarisch in der biblischen Geschichte beim Evangelisten Markus (Mk 5,21-43). Eine Frau, die seit zwölf Jahren an Blutfluss litt und bei Ärzten trotz hoher finanzieller Aufwendungen keine Hilfe fand. Nun hat sie von Jesus gehört. Sie wagt es, sich in einer Menschenmenge an ihn heranzudrängen und sein Gewand zu berühren, in der Hoffnung, dass sie dadurch Heilung erfährt. So geschieht es. Jesus spürt sofort, dass eine Kraft von ihm ausgegangen ist, und er fragt eindringlich: »Wer hat mich berührt?« Die Frau gibt zu: »Ich war es«, weil sie gespürt hat, dass sie sofort geheilt war, und sie sagt Jesus »die ganze Wahrheit«. Darauf antwortet Jesus: »Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.« (Mk 5,33–34). Das Ergreifen dieses letzten Strohhalms, diesen Willen, unbedingt gesund werden zu wollen, nennt Jesus »Glauben«. Obwohl das Wort »Gott« in der ganzen Begegnungsgeschichte nicht vorkommt, kann Jesus trotzdem staunend feststellen, dass die Frau in der Misere ihrer Lebensgeschichte ihren Glauben an das Leben nicht aufgegeben hat. Es verwundert, dass Jesus hier vom »Glauben« spricht. Dieses Verhalten nennt Christoph Theobald »Lebensglauben«. Beispiele für den Lebensglauben Ein beeindruckendes Beispiel für diesen Lebensglauben liefert der Psychologe Viktor E. Frankl. Seine gesamte Familie wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, er allein überlebte und steht daraufhin in der Versuchung, in dieser unbegreiflichen Sinnlosigkeit sich selbst aufzugeben. In dieser Not geht ihm wie durch ein Wunder auf: Jede seelische Lebenssituation, wie sie auch beschaffen sein mag, bietet konkrete Sinnmöglichkeiten. Sie zu ergreifen liegt in der Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen. In seinem Erlebnisbericht aus dem Lager »… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager« schreibt er: »Nicht wir dürfen nach dem Sinn des Lebens fragen, das Leben ist es, das Fragen stellt, Fragen an uns richtet – wir sind die Befragten. […] Leben heißt nichts anderes als ›Befragtsein‹, all unser Sein ist nichts weiter als ein Antworten, ein Ver-antworten des Lebens. […] Das Leben erscheint so nicht mehr als eine Gegebenheit, sondern als eine Aufgegebenheit.« Diese Aufgegebenheit anzunehmen, schafft die Gewissheit, dass das Leben sinnvoll ist. Diese Antwort ist ein elementarer Akt eines Glaubens an das Leben, eine Energie, ein – um den Theologen Paul Tillich zu bemühen – »Mut zum Sein«. Dafür nenne ich als zweites Beispiel Dag Hammarskjöld. In seinen Reflexionen »Zeichen am Weg« schreibt der ehemalige UN-Generalsekretär: »Ich weiß nicht, wer – oder was – die Frage stellt. Ich weiß nicht, wann sie gestellt wurde. Ich weiß nicht, ob ich antwortete. Aber einmal antwortete ich Ja zu jemanden – oder zu etwas. Von dieser Stunde her rührt die Gewissheit, dass das Dasein sinnvoll ist und dass darum mein Leben, in Unterwerfung, ein Ziel hat.« Deswegen findet er in dieser Grunderfahrung die Kraft, Ja zu sagen. Und wenn das Ja sinnvoll erscheint, hilft es, nichts anderes zu tun als immer wieder Ja zum Leben zu sagen. Diese beiden Beispiele mögen für viele Menschen stehen, die sich den Herausforderungen des Lebens stellen. Die nicht weglaufen, sondern bleiben, auch wenn es kritisch wird. Die aus sich herauskommen und über ihren Schatten springen, wenn sie merken: »Jetzt bin ich gefragt!« Die einspringen, wenn jemand ungerecht angegriffen wird und verteidigt werden muss. Die widersprechen, wenn politische oder kirchliche Entwicklungen einen Weg nehmen, der in die Unfreiheit führt. Die auf die Zumutungen, die in ihr Leben einbrechen können, mit Mut und Demut antworten. Es ist auffallend, dass Menschen, die sich so dem Ruf des Lebens stellen, eine tiefe Lebenserfahrung machen. Nach dem Religionsphilosophen Tomáš Halík begegnen sie »der heiligen Tiefe des Lebens«; der Soziologe Hans Joas nennt es die »Macht des Heiligen«. Für den Theologen und Physiker Erhard Weiher wurden diese Menschen von dem Geheimnis berührt, das unser Leben von Anfang bis zum Ende umgibt und das wir »Gott« nennen. Frankl hat immer wieder betont, dass wir uns vor jenem Geheimnis beugen müssen, das größer ist, als der Mensch es fassen kann. So kann es sein, dass das »An das Leben glauben« zum Bekenntnis führt: »Ich glaube an das ewige Leben!« Und so kann es auch sein, dass umgekehrt das Bekenntnis zu Gott zu einem Bekenntnis zum Leben wird. So verstehe ich das Lebensresümee von Widerstandskämpfer Alfred Delp: »Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.«

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