30 FRANZISKANER 4|2025 Autonomiebehörde geführt, aber die Sicherheitskräfte werden von Israel organisiert. In Gebiet C ist Israel für beides verantwortlich. Gebiet A ist fast ausschließlich städtisch, während Landwirtschaft und Dörfer wie Taybeh in den Gebieten B und C liegen. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat keinen Zugang zu diesen Gebieten. Israelische Sicherheitskräfte sollten eigentlich präsent sein, sind es aber nicht. Warum das so ist, können wir nur vermuten, da wir keine verlässlichen Informationen haben. Mit welchen weiteren Problemen sind die Menschen im Westjordanland derzeit konfrontiert? Neben den Problemen mit den Siedlern stehen die Menschen vor einer großen wirtschaftlichen Herausforderung. Das Leben im Westjordanland hängt von zwei Haupteinnahmequellen ab: Pilgerreisen und das Pendeln zur Arbeit nach Israel. Nach dem 7. Oktober wurden die Pilgerreisen ausgesetzt, aber ich hoffe, dass sie schon bald wieder aufgenommen werden können. Die Arbeitsgenehmigungen für Israel wurden fast vollständig gestrichen, und ich glaube nicht, dass sie wieder eingeführt werden. Nach den schrecklichen Anschlägen vom 7. Oktober haben die Israelis verständlicherweise Angst, Palästinenser unter sich zu haben. Man könnte also zusammenfassen, dass sich die Menschen im Westjordanland Lebensmittel nicht leisten können, während es für die Menschen in Gaza gar nicht genug Lebensmittel gibt. Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, damit endlich Frieden im Heiligen Land einkehrt? Frieden ist ein sehr anspruchsvolles Wort – wir sollten nicht leichtfertig damit umgehen. Frieden erfordert Vorbereitungen und Bedingungen, die wir nicht haben. Derzeit ist der Hass zwischen Israelis und Palästinensern zu tief und zu stark. Zunächst müssen die Wunden heilen, und das wird sehr lange dauern. Damit Vertrauen wachsen kann, brauchen wir glaubwürdige Zeugnisse, Vorbilder und neue Führungspersönlichkeiten – die wir derzeit nicht haben. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich die Lage in einigen Jahren ändern wird. Und ich glaube, dass die nächste Generation die emotionale Freiheit hierfür haben wird. Jetzt müssen wir aber erst mal auf das Ende des Krieges hinarbeiten und auf politischer und sozialer Ebene Gesten machen, die langsam wieder Vertrauen aufbauen. Es herrscht tiefes Misstrauen innerhalb der Bevölkerung, nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern. Die Palästinenser selbst sind gespalten, ebenso wie die Israelis. Über Frieden zu reden, ohne die Voraussetzungen zu schaffen, die den Palästinensern eine klare nationale Perspektive bieten, ist nichts anderes als Gerede. Slogans. Sie sagten, Palästinenser und Israelis seien untereinander gespalten. Wie sieht es mit den Christen aus? Es war schwierig, den Zusammenhalt zu bewahren, als der Krieg uns so stark in Richtung Polarisierung und Spaltung drängte. Wir Christen sind nicht neutral: Christliche Israelis sind Israelis, und palästinensische Christen sind Palästinenser. Aber wir sind keine politische Partei – wir dürfen unterschiedliche Ansichten haben. Israelische Katholiken denken nicht genau so wie palästinensische Katholiken, dennoch gehören sie derselben Kirche, demselben Bischof an. Trotz einiger Wunden, Schmerz und Missverständnissen ist uns aber gelungen, vereint zu bleiben. Und ich denke, das ist unsere Stärke als Christen. Im Krieg geht es um Spaltung, ich oder du, wir oder sie. Unser Ringen ist das Gegenteil davon: Es geht darum, die Einheit in unserer Gemeinschaft zu bewahren. Und auch aus spiritueller Sicht hat uns dieser Krieg tief getroffen. Wir haben uns gegen eine so starke Kraft des Bösen, des Todes und des Hasses gewehrt, aber wie geht man damit um? Wie lebt man damit, und wie bringt man seinen Glauben mit dem in Einklang, was man im Alltag sieht? Diese Frage hat uns die ganze Zeit über beschäftigt. Und die einzige Antwort ist, auf Gott und natürlich auf Jesus zu blicken. Denn aus menschlicher Sicht haben wir keine Antworten darauf. Und was ist für Sie selbst als Bischof von Jerusalem in dieser Hinsicht am wichtigsten? Ich habe es satt, über Politik und Politiker zu sprechen. Im Heiligen Jahr ist es meine Aufgabe, über Hoffnung zu sprechen. Dieses Wort ist derzeit in aller Munde. Aber wie kann man über Hoffnung sprechen, wenn man Menschen sieht, die hungern und alles verloren haben? Wie lässt sich diesem Wort konkret Ausdruck verleihen? Wir wissen, dass das Ende des Krieges nicht das Ende des Konflikts bedeutet. Denn er ist nicht nur eine Phase unseres Lebens, er ist Teil unserer Identität. Daher müssen wir uns fragen, wie der Konflikt zu einem Raum werden kann, in dem wir unseren Glauben zum Ausdruck bringen. Und wir müssen entscheiden, wie wir mit diesem Konflikt umgehen, wenn wir zulassen, dass er unser Leben prägt. Dies ist unser Ringen – und ich glaube, für uns ist es weit bedeutender als all die politischen Fragen, die ohnehin ständig wechseln. Besuch in den Räumen der Pfarrei der Heiligen Familie BESUCH PFARREI © LATIN PATRIARCHATE OF JERUSALEM Interview: Natanael Ganter OFM, Maximilian Feigl Bearbeitung: Maximilian Feigl
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=