32 FRANZISKANER 4|2025 Perspektiven eines franziskanischen Wie genau stellen sich die Franziskaner eine ideale Kirche vor? Die dynamische Debatte um das Kirchenbild zeigt, dass es auf diese Frage keine einheitliche Antwort gibt. Doch mit Blick auf die Diskussion in der franziskanischen Tradition lassen sich mehrere Aspekte einer franziskanisch geprägten Vision von Kirche skizzieren. Sie orientiert sich stark am Gottesbild – und folgt damit Franziskus von Assisi und den verschiedenen Schul- und Denkrichtungen der Minderbrüder. Für die Minderbrüder stand bei den Debatten um das Kirchenbild stets das Gottesbild im Mittelpunkt. Und Gott zu denken, bedeutete für sie, ihn entsprechend der biblischen Offenbarung als Dreifaltigkeit wahrzunehmen – als Gott der tiefsten inneren Zuwendung der unterschiedlichen göttlichen Personen: als Gemeinschaft, als Communio. Gott selbst wurde dabei als innere Liebe zwischen Vater und Sohn im Geist gesehen, als tiefste Einheit in der Verschiedenheit. Diese göttliche Liebe spiegelte sich zudem in der Vielfalt der Schöpfung wider. Denn die schöpferische Kraft Gottes bringt zahlreiche Geschöpfe hervor und bewahrt sie. Deren wechselseitige Beziehungen untereinander erinnern wiederum an die Communio – weshalb sie den Franziskanern als Bereicherung des Lebens galten. Franziskus identifizierte diese innere Zuwendung intuitiv mit der Menschwerdung Jesu. Seine Hinwendung zum Leben, Leiden und Sterben Jesu ist seine Antwort auf die Zuwendung Gottes in Jesus zu den Menschen – vor allem zu den Ausgegrenzten und Armen. Für Franziskus ist Gott in Jesus der Bruder aller Menschen und Geschöpfe. Deswegen wendet er sich auch so innig den biblischen Texten zu, die ihm das Leben Jesu plastisch vor Augen führen. Diese Aufmerksamkeit für die Offenbarung Gottes in der Menschlichkeit Jesu bewahren sich auch die folgenden Generationen der Minderbrüder. Die Zuwendung Gottes zu den Menschen wiederum gipfelte in der Auferstehung Jesu. Und der Glaube an diese vermittelt den erlösungsbedürftigen Menschen die Gewissheit, dass Gott am Ende alles zum Guten führen wird. Dieses konkrete Gottesbild – die durch die Heilige Schrift bestätigte Zuwendung Gottes zu den Menschen in ihrer Bedürftigkeit – und das Vertrauen auf ein gutes Ende prägen das Kirchenbild. Dabei steht weniger die dogmatische Umschreibung der Institution im Mittelpunkt; vielmehr legt die franziskanische Tradition den Schwerpunkt auf die pastorale Ausrichtung. Seelsorgerische und spirituelle Begleitung sollen die Zuwendung und Empathie Gottes zur Schöpfung und zu den Menschen zum Ausdruck bringen. Dabei hat der Aufbau von Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit einen hohen Stellenwert. Die kirchliche Gemeinschaft wächst hier im Geist einer universalen Geschwisterlichkeit. Dabei erkennt sie in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Gläubigen – und deren gleichwertigen Berufungen und Diensten – den schöpferischen Reichtum des Glaubens. Der dreifaltige Gott dient dabei als Vorbild für die Glaubenseinheit in berechtigter Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Die Wertschätzung der Einheit in der Vielfalt kommt beispielsweise in der Pflege der Volksfrömmigkeit als Quelle der Spiritualität zum Ausdruck. Dies geschieht besonders dann, wenn der Glaube auf die Eigenheiten der Kultur vor Ort eingeht. Ein franziskanischer Beitrag zur Kirchenbildung vor Ort sieht sich in besonderer Weise dem Wort Gottes verpflichtet und zielt auf eine missionarische Evangelisierung ab. Dies geschieht aber nicht durch den Versuch, Gläubige von anderen Religionen oder Konfessionen abzuwerben. Stattdessen soll eine Kultur Johannes-Baptist Freyer OFM »Für Franziskus ist Gott in Jesus der Bruder aller Menschen und Geschöpfe« Jubiläumstreffen der Franziskanischen Familie zu 800 Jahren »Sonnengesang« FRANZISKANISCHE FAMILE © HEINZ AUFENBERG
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=