33 FRANZISKANER 4|2025 n Kirchenbildes des Friedens, der Gerechtigkeit und der Sorge um die Schöpfung gefördert werden. Im Fokus steht dabei eine soziale Evangelisierung mit einer starken Verankerung in der Soziallehre der Kirche. Der kirchliche Auftrag zur Gestaltung der Welt im Geiste des Evangeliums wird hier konsequent auf die Politik, das soziale Umfeld und die Ökonomie angewandt. So soll die Kirche für das umfassende wirtschaftliche, physische und religiöse Gemeinwohl eintreten. Die Illusion, dass der Mensch aus eigener Kraft den Himmel auf Erden schaffen kann, wird durch den Verweis auf die stets notwendige persönliche und institutionelle Erneuerung und Umkehr vermieden. Der franziskanischen Tradition folgend erhält dabei eine Herausforderung besonderes Gewicht: sich immer neu dem Wirken des Geistes zu öffnen und ihm zu folgen. Denn eine Kirche, die dem Geist Gottes folgt, vermeidet doktrinäre Verkrustungen. Sie versteht sich als pilgernde Gemeinschaft des Volkes Gottes, das auf dem Weg zu einer Freiheit ist, die aus der Nähe zu Gott erwächst. Dieses gemeinsame Unterwegssein erfordert eine lebendige Interpretation der Lebensrealität im Licht des Evangeliums. Das wandernde Gottesvolk wird dabei durch die Sakramente im kirchlichen Leben gestärkt. Für die franziskanische Tradition waren die Sakramente aber nie eine Belohnung für ein perfektes Christenleben – stattdessen wurden sie immer als Heilmittel für die Wunden des Lebens verstanden. Dank der Sakramente erfährt das Gottesvolk so auch angesichts von Versagen und Schuld Barmherzigkeit und Vergebung. Daher ist die Kirche nicht dazu da, um zu verurteilen, auszugrenzen oder zu bestrafen. Sie ist ein Instrument Gottes, das Hilfestellung bietet, um das Gute, das auf Gott als das höchste Gut verweist, auch angesichts menschlicher Begrenzungen und möglichen Versagens immer neu anzustreben. Bei allem Bemühen um die Kirche als Gemeinschaft und Institution muss uns immer bewusst bleiben, dass es nie um die Kirche als solche geht. Es geht nicht darum, Kirchenmitglieder zu gewinnen oder zu halten oder schöne und auch sinnvolle Traditionen zu wahren. Es geht vielmehr darum, den Werten des Evangeliums Gehör zu verschaffen, menschliche Beziehungen zu Gott durch die Botschaft Jesu Christi zu ermöglichen und dem Wirken des Geistes Raum zu geben. Nur wenn sich Menschen als kirchliche Gemeinschaft und als jeweils zeitgemäß verfasste Institution in den Dienst des kommenden Reiches Gottes stellen, haben ein Kirchenbild und seine Verwirklichung Sinn. Prof. Dr. Johannes-Baptist Freyer OFM lehrte Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie in Rom. Heute ist er Mitglied der Provinzleitung der Deutschen Franziskanerprovinz und Guardian in Dorsten. Mattenkapitel von Franziskanern, Minoriten und Kapuzinern MATTENKAPITEL © ARCHIV DER FRANZISKANER-MINORITEN
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=