35 FRANZISKANER 4|2025 anderen Wichtige Zielgruppe sind dabei unter anderem Schulklassen, da die Jugendlichen in der Regel kaum Gelegenheit haben, Vertretern »der anderen Seite« überhaupt zu begegnen. Denn in Israel bestehen ein hebräisches und ein arabisches Schulsystem nebeneinander. Und die Erfahrung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler von den Geschichten oft tatsächlich tief berührt werden – sowohl über das Erlebnis des Verlustes als auch über den Weg der Betroffenen zu der Erkenntnis, dass man auch den Angehörigen anderer Opfer ins Gesicht schauen und ihren Schmerz wahrnehmen muss – und dass Versöhnung ein erstrebenswertes Ziel ist. Tatsächlich arbeitet das Forum auch nach dem 7. Oktober 2023 unter den erschwerten Bedingungen des Krieges weiter. Im Sommer 2025 fand (situationsbedingt auf Zypern) ein Sommerlager für 40 israelische und palästinensische Teenager statt. Das war nicht einfach: Alle Teilnehmenden haben Kriegstraumata erlebt. Viele haben hohe emotionale Mauern aufgebaut, aber es wurde gemeinsam daran gearbeitet, diese zu überwinden. (Unterstützt wurde dieses Programm übrigens unter anderem von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tel Aviv.) Und in Beit Jala fand, organisiert vom Forum, die wahrscheinlich einzige gemeinsame Demonstration von Israelis und Palästinensern statt, die ein Ende des Gaza-Krieges forderte. Eine andere Form ist die jährliche Veranstaltung eines alternativen Gedenktages: Während der Staat Israel am Tag vor dem Unabhängigkeitstag, dem Yom HaZikaron, offiziell nur der eigenen Opfer gedenkt, erinnert der Parents Circle an die Toten beider Seiten. Er tut das unter anderem zusammen mit den »Combattants for Peace«, einer verwandten Organisation, die von ehemaligen Angehörigen der israelischen Streitkräfte und ehemals militanten Palästinensern gegründet wurde, die nun ohne Waffen gemeinsam für den Frieden kämpfen wollen. Weitere Aktivitäten sind häufig mit dem Internationalen Friedenstag verbunden. Im Jahr 2011 rief das Forum Menschen beider Seiten zum Blutspenden auf – mit dem Ziel, die jeweiligen Spenden Verletzten und Kranken der anderen Seite zugutekommen zu lassen. Das Motto der Aktion war: »Kannst du jemanden verletzen, bei dem dein eigenes Blut durch die Adern fließt?«. Solche Aktivitäten stoßen von offizieller Seite immer stärker auf Widerstand – so hat man mehrfach versucht, öffentliche Veranstaltungen zum Gedenktag zu verhindern. Und schon 2011 hat der damalige Erziehungsminister Besuche im Schulunterricht verboten, weil er der Meinung war, dass so Opfer von Terroristen und (getötete) Terroristen miteinander verglichen würden. Andererseits gab es aber auch schon vor dem Nürnberger Preis eine Reihe von Auszeichnungen und Ehrungen. Präsident Obama würdigte die Organisation 2011 in seiner großen Rede zum Nahen Osten. Und Papst Benedikt XVI. empfing 2009 Mitglieder der Gruppe während seines Besuches in Jerusalem. Die Besonderheit der Arbeit fasst die Begründung der Nürnberger Jury treffend zusammen: »Ihr Mut, den Schmerz des ›Anderen‹ in diesem lang anhaltenden Konflikt anzuerkennen und anzunehmen, obwohl sie von ihren eigenen Gemeinschaften kritisiert und manchmal sogar bedroht werden, ist bemerkenswert. Sie streben nach Dialog und Versöhnung und nicht nach Rache, damit keine andere Familie auf beiden Seiten den Verlust und den Schmerz erleiden muss, den sie erlitten haben.« Dr. Georg Röwekamp, ist Theologe und Historiker mit Schwerpunkt Alte Kirchengeschichte. Er war bis 2016 Geschäftsführer und Theologischer Leiter von Biblische Reisen (Stuttgart) und anschließend Repräsentant des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande in Jerusalem sowie Leiter des Pilgerhauses Tabgha am See Gennesaret. Eindrucksvoll nacherzählt wird die Entstehung des Parents Circle in dem Buch »Apeirogon« des irischen Autors Colum McCann. Er erlaubt es Leserinnen und Lesern, die widerstreitenden Gefühle der Gründerinnen und Gründer auch emotional nachzuvollziehen.Das Werk wird als »der große Roman über Palästina« beworben – denn er erzählt weit mehr als nur die Geschichte von einzelnen Mitgliedern des PCFF. Rowohlt, 2022, 608 Seiten, 16 €, ISBN 978-3-499-27187-8
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