46 FRANZISKANER 4|2025 PORTRÄT VON CARLO ACUTIS © SOPA IMAGES – PICTURE.ALLIANCE.COM »Was halten die Franziskaner von der Heiligsprechung von Carlo Acutis?« – Diese Frage erreichte uns kürzlich von einer unserer Leserinnen. Je nach Gefragtem wird die Antwort unterschiedlich ausfallen. Ein Mitbruder berichtete von der Begeisterung junger Leute auf dem Petersplatz während der Heiligsprechung am 7. September in Rom. Keine Frage, junge Menschen brauchen Vorbilder, und als solches dient Carlo Acutis insbesondere durch drei Merkmale: Er war jung, fromm und internetaffin. Er verstarb 2006 im Alter von nur 15 Jahren an einer Leukämieerkrankung. Seine Verehrer erzählen von einer großen Eucharistiefrömmigkeit, von täglichem Rosenkranz und wöchentlicher Beichte. Diese eher vormodern anmutende Frömmigkeit ist ein starker Kontrast zu seiner postmodernen Cyber-Kompetenz. Der »Cyber- Apostel« oder »Influencer Gottes« nutzte noch vor dem Social-Media-Zeitalter das Internet, um eine »Liste der Eucharistischen Wunder in der Welt« zusammenzustellen. Bei den über hundert dokumentierten »Hostienwundern« handelt es sich zum Teil um »Bluthostien«, die den katholischen Glauben (der Transsubstantiation) beweisen sollten. Das Problem dabei: Einige dieser Berichte sind mit Erzählungen von Hostienfrevel verbunden. Juden – einzelnen wie allen –wurde Diebstahl oder »Schändung« des in den Leib Christi verwandelten Brotes angelastet, was zu Pogromen oder Exekutionen führte. Beim »Wunder von Brüssel« im Jahr 1370 wurden beispielsweise bis zu 20 Mitglieder der jüdischen Gemeinde hingerichtet. Diese und weitere antisemitische Vorfälle verschweigt die Liste von Carlo Acutis. Eine solche Form der apologetischen Eucharistiebegeisterung entspricht spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr der aktuellen kirchlichen Lehre. Ebenfalls kritisch zu sehen ist der heutige Heiligenkult. Eine Herz-Reliquie des Seligen reiste im Sommer durch deutschsprachige Kirchen und Kathedralen. Ein Splitter seines Bettes, ein Stück eines seiner Pullover und des Lakens, mit dem er nach seinem Tod bedeckt war, sind in der Kirche Sant’Angela Merici in Rom ausgestellt. Sein Leib wurde 2019 exhumiert und »restauriert« und kann nun in einem Glassarg in Jogginganzug und Turnschuhen in der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi verehrt werden. Und auch das Smartphone schafft hier neue Möglichkeiten: Wie ich selbst mehrfach beobachten konnte, stellen sich Menschen an den Sarg, rufen ihre Bekannten an und beten mit ihnen Selfie-mäßig per Videotelefonie. Wie sich herauslesen lässt, stehe ich persönlich solchen Formen eines Reliquienkultes eher skeptisch gegenüber. Sie zeigen jedoch, dass es auch im 21. Jahrhundert weiter das Bedürfnis der Menschen gibt, mit »Heiligem« in Berührung zu kommen, und sie sich Heilung und Heil für ihr Leben versprechen. Ob Carlo Acutis als erster »Millennial-Heiliger« mit seiner Art des Apostolates tatsächlich das verkörpert, was die katholische Kirche an Glaubenszugängen in heutiger postmoderner Zeit anzubieten hat, wage ich zu bezweifeln. Mich spricht da eher an, was Papst Franziskus in seinem Schreiben »Gaudete et exaltate – Über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute« geschrieben hat. Er lenkt den Blick auf die »Heiligen von nebenan«, auf die, »die in unserer Nähe wohnen und die ein Widerschein der Gegenwart Gottes sind«. An jede und jeden ergeht der Ruf zur Heiligkeit. Es gelte, den je eigenen Weg zu erkennen und das, was Gott in mich hineingelegt hat. Ich soll mich nicht verausgaben, indem ich etwas nachahme, was gar nicht für mich gedacht war. Es geht um die Alltagsheiligkeit an dem Platz, an den Gott mich gestellt hat. Der »Personalausweis des Christen« sind die Seligpreisungen. Ihre Befolgung sind für Papst Franziskus – und da schließe ich mich ihm an – der Weg zur Heiligkeit. Heilige von nebenan Stefan Federbusch OFM
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