9 FRANZISKANER 4|2025 Andreas Brands OFM Theologisch gesehen prägt das Bekenntnis von Nicäa bis heute den Kern des christlichen Glaubens. Die Gottes-Lehre, die Trinitätsformel, ist nicht nur abstrakte Philosophie. Sie drückt die Überzeugung aus, dass Gott Beziehung ist – und dass der Mensch in gleicher Weise zur Gemeinschaft berufen ist. In einer Zeit, in der religiöse Identität wieder politisch aufgeladen wird, erinnert Nicäa daran, dass Wahrheit und Macht nicht dasselbe sind. Das Konzil war ein Versuch, Einheit zu schaffen, ohne den Glauben zu verwässern – ein Balanceakt, der jede religiöse Gemeinschaft bis heute begleitet. Fazit Das Konzil von Nicäa war nicht nur ein Streit unter Gelehrten, sondern ein Wendepunkt der Geschichte. Es brachte nicht nur ein Glaubensbekenntnis hervor, sondern eine neue Ordnung von Kirche und Staat. Zwischen Glauben und Politik, Überzeugung und Kompromiss, Theologie und Macht entstand eine Dynamik, die das Christentum bis heute prägt. Darüber hinaus zeigt sich die Entstehungsgeschichte des Credos als langwieriger Prozess, der zwar den einen Glauben an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist bekennt, sich jedoch in einer großen Vielfalt von Kirchen in Ost und West verwirklicht. Die Unabgeschlossenheit der theologischen Klärung steht uns vor Augen. Die Texte dieser Ausgabe führen Sie von der Gegenwart zurück bis nach Nicäa. Beginnend mit dem Credo, wie die junge Kirche es formuliert hat, stellt Dr. Siegfried Kleymann die Frage nach dem »Glauben- Können« heute. Im Interview mit Dr. Jan Loffeld wenden wir uns einer Gegenwartsanalyse zu, die die Herausforderungen für die Kirche im 21. Jahrhundert benennt. P. Franz Richardt stellt den Zugang zum Lebensglauben nach Christoph Theobald SJ her, an den sich die komplexe Auseinandersetzung mit der Christologie im 4. Jahrhundert anschließt, die uns Dr. Gunda Werner anbietet. Den Abschluss der Reflexion bildet das Credo von Dorothee Sölle aus dem Jahr 1969, das uns die sozialpolitische Dimension des Textes aufschließt. Nicäa bleibt so etwas wie ein Spiegel: Es zeigt, wie Menschen um Wahrheit ringen – mit Leidenschaft, Streitlust und dem Wunsch nach Einheit. Und es erinnert daran, dass jede Generation ihre eigenen Konzilien austragen muss – auf der Suche nach einem Glauben, der trägt. Das Bekenntnis von Nicäa Das sogenannte Nicänische Glaubensbekenntnis fasste die Entscheidung in wenigen, klaren Worten zusammen: Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, […] und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.« Diese Formulierung sollte künftig im ganzen Reich verbindlich sein. Daneben erließ das Konzil auch 20 kirchliche Regeln (Kanones), die das Leben der Kirche ordneten – etwa die Wahl von Bischöfen, kirchliche Disziplin und das Datum des Osterfestes. Wenngleich damit die zentralen Fragen des 4. Jahrhunderts ihre Antworten fanden, bleibt überraschend festzuhalten: Das Credo erscheint theologisch recht dünn. Es wird zwar definiert, wer Jesus Christus in seiner Beziehung zum Vater war, über sein Leben und seine Botschaft, für die er gestorben ist, wird im Bekenntnis aber nichts ausgesagt. Knapp wird formuliert: »Geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus«. Im Credo bleiben das Leben und Wirken Jesu die große Leerstelle. Folgen und Konflikte Mit dem Abschlussdokument jedoch war der Streit nicht wirklich beendet. Der Arianismus lebte weiter, zeitweise sogar mit der Unterstützung der nachfolgenden Kaiser. Erst Jahrzehnte später, beim Konzil von Konstantinopel (381), setzte sich die trinitarische Lehre endgültig durch. Noch einmal 70 Jahre später (451) wird das kürzere »apostolische Glaubensbekenntnis« formuliert. Nicäa markiert eine Zäsur. Zum ersten Mal trat die Kirche als weltweite Gemeinschaft zusammen, um über den Glauben zu entscheiden. Dieses Modell – das ökumenische Konzil – wurde zum Vorbild für zukünftige Kirchenversammlungen. Gleichzeitig begann ein neues Verhältnis von Kirche und Staat: der Kaiser als Schirmherr des Glaubens, aber auch als Schiedsrichter in theologischen Fragen. Das brachte Vorteile – Einheit, Struktur, Einfluss –, aber auch Risiken: Die Kirche rückte näher an die Macht und damit auch in ihre Abhängigkeit. Bedeutung für heute 1.700 Jahre nach Nicäa hat sich die Welt verändert, doch die Fragen bleiben erstaunlich aktuell. • Was bedeutet Einheit im Glauben, wenn Menschen unterschiedlich denken? • Wie verbindlich kann Rom für die weltweite Kirche eine einheitliche Glaubenspraxis vorschreiben, wenn kulturelle Hintergründe differenzierte Handlungen erfordern? • Wie viel Einfluss darf die Politik auf Religion haben – und umgekehrt? • Braucht ein Bekenntnis nicht immer auch wieder Aktualisierung? In der Sprache? In den Inhalten?
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