Franziskaner Mission 1 | 2025

Menschlichkeit weltweit 2025 »Vergiss die Armen nicht!«

FRANZISKANER MISSION erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Telefon 089-211 26 110 oder muenchen@franziskanermission.de. »Franziskaner Mission« erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth – Germania. HERAUSGEBER Franziskaner Mission REDAKTIONSLEITUNG Augustinus Diekmann ofm REDAKTION Dr. Cornelius Bohl ofm, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Heinrich Gockel ofm, Márcia Santos Sant'Ana, René Walke ofm, Pia Wohlgemuth GESTALTUNG sec GmbH, Osnabrück‚ DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn Impressum FRANZISKANER MISSION St.-Anna-Straße 19, 80538 München Telefon: 089-211 26 110 Fax: 089-211 26 109 muenchen@franziskanermission.de www.mission.franziskaner.de Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf folgendes Konto: LIGA BANK IBAN DE48 7509 0300 0002 2122 18 BIC GENODEF1M05 Ihre Spendengelder fließen in unsere Hilfsprojekte und nicht in die Produktionskosten dieser Zeitschrift. 2

Liebe Leserin, lieber Leser! TITEL Das Foto auf der Titelseite entstand in Caracol im brasilianischen Bundesstaat Piauí. Senhora Andrelina wird von den Menschen in ihrem Stadtviertel nur »Dona Mocinha« genannt (wörtlich: Frau Mädchen). Seit 40 Jahren lebt sie in ihrer selbst gebauten ärmlichen Hütte. Während der Woche ist ihr Mann unterwegs und versucht – wie viele andere Männer – einen Gelegenheitsjob zu finden. Die Kinder sind schon aus dem Haus. Die Tochter ist drogenabhängig und hat einen Sohn. Ohne das Vertrauen, dass Gott immer bei ihr ist, hätte Dona Mocinha längst alle Hoffnung aufgegeben. Ziele will man normalerweise erreichen. Wer das Ziel verfehlt, hat versagt und fliegt raus. Manchmal aber sind Ziele gar nicht dazu da, dass man wirklich dort ankommt. Dennoch sind sie unbedingt wichtig, denn sie motivieren und geben die entscheidende Richtung an. Ohne Visionen und Ideale geben wir uns selbst auf. Die zur Jahrtausendwende erarbeiteten Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen waren solch ein globaler Leuchtturm für die immer mehr zusammenwachsende eine Welt: Da wollen wir hin! Nun kann man sicher darüber streiten, ob es ein realistisches Ziel ist, bis 2030 weltweit Hunger und Armut vollständig besiegen zu wollen. »Arme habt ihr immer bei euch«, hat schon Jesus gesagt (Joh 12,8). Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, alles Menschenmögliche zu tun, um Hunger und Armut zu vermindern, Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit zu fördern, möglichst vielen Menschen Zugänge zu Gesundheit und Bildung zu eröffnen, die endgültige Klimakatastrophe abzuwenden und kommenden Generationen eine Zukunft auf unserem Planeten zu sichern. Das muss die klare Richtung sein für die große und kleine Politik. Und genau hier liegt das Problem! Das Problem ist nicht, dass wir das ein oder andere Ziel nicht so schnell erreichen wie geplant. Das Problem ist, dass die Richtung nicht mehr stimmt: Präsident Trump hat wenige Tage nach seinem Amtsantritt die staatlichen Diversitätsprogramme und auf den Wink eines Tech-Milliardärs die Arbeit von USAID und damit eine weltweite Entwicklungszusammenarbeit gestoppt. Bei uns haben führende AfD-Politiker Inklusion als »Belastungsfaktor« und Informationen in leichter Sprache als »Nachrichten für Idioten« bezeichnet. Während allein in Deutschland etwa ein Fünftel der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht ist, will die EU in den kommenden Jahren, wohl leider notgedrungen, 800 Milliarden für Aufrüstung ausgeben. Und ein polarisierender Wahlkampf hat nicht sachlich ein angemessenes Migrationskonzept diskutiert, sondern Ressentiments gegen »Ausländer« und »Fremde« geschürt. Die Richtung stimmt nicht! Was mir besonders Angst macht: Es ist ein naiver Trugschluss zu glauben, Entwicklung ginge immer nur nach vorne, mal schneller, mal langsamer. Fast über Nacht können bewährte demokratische Strukturen ausgehöhlt, lang erkämpfte Rechte über den Haufen geworfen und grundlegende Werte mit Füßen getreten werden … Die Umsetzung der Millenniumsziele ist Aufgabe der Politprofis. Der berühmte kleine Mann und die kleine Frau können da kaum etwas ausrichten. Aber wohin die Reise geht, das bestimmen wir alle mit! Und diese Richtung zeigt sich im Alltag. Was ist meine Zielvorstellung: »Ich zuerst!« oder »Wir gemeinsam!«? »Vergiss die Armen nicht!«, diese Bitte hat der Franziskaner-Kardinal Claudio Hummes Papst Franziskus unmittelbar nach dessen Wahl mitgegeben. Sehe ich die Armen, die mir in meinem Alltag begegnen? Wo schaue ich hin? Wann schaue ich weg? Im persönlichen Lebensstil werden Weichen gestellt. Das versuchen wir Franziskaner auch in unserer weltkirchlichen Arbeit. Dieses Heft berichtet davon. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung 3

Inhalt 6 Weltweite Herausforderung Millenniums- und nachhaltige Entwicklungsziele der UNO Rodrigo de Castro Amédée Péret ofm 8 Weltanschauung Globale Mitverantwortung tragen Prof. Dr. Thomas M. Schimmel 10 Sorge für das gemeinsame Haus 10 Jahre Enzyklika »Laudato si’« Stefan Federbusch ofm 12 Ein Hafen der Hoffnung Franziskanisches Sozialzentrum in Bolivien Nivia Paola Choque Lizarazu 14 Solide Ausbildung in Ruanda Stimmen aus der Pater-Vjeko-Berufsschule in Kivumu Franziskaner Mission Dortmund 16 Mehr als Bildung Franziskanerschule in den bolivianischen Anden Sirlei Pozzatti H. F. M. MA. AUX 20 Der Gewalt ein Ende setzen »Maria da Penha«-Gesetz zum Schutz brasilianischer Frauen Instituto Maria da Penha 22 Einsatz für Mutter und Kind Hilfe durch die Kinderpastoral in Brasilien Dr. Nelson Arns Neumann 24 Krankenhausschiff »Papst Franziskus« Gesundheitsversorgung für die Uferbewohner am Amazonas Associação Lar São Francisco de Assis na Providência de Deus 26 Hilfe für werdende Mütter Das franziskanische Krankenhaus San Pedro in Antigua, Guatemala Jesús Gómez ofm 28 Eine Oase in der Wüste Mother-Francisca-Lechner-Gesundheitszentrum in Rushooka Flora Okuda fdc 30 Gesundes Leben für alle Sauberes Wasser als Gesundheitsgarantie in Vietnam Chi Thien Vu ofm 32 Vernetzte Menschlichkeit Franziskaner Mission baut Brücken Augustinus Diekmann ofm 34 Kurznachrichten 35 Projekt 8 6 12 10

Personalia CLAUDIO KRÄMER OFM Im Beisein seiner brasilianischen Ordensbrüder verstarb Claudio Krämer ofm nach langer Krankheit am 4. Dezember 2024 in Bacabal im Alter von 86 Jahren. Im April 1957 war er in den Franziskanerorden eingetreten und 1963 zum Priester geweiht worden. Zwei Jahre später, 1965, begann er seine missionarische Laufbahn in Nordostbrasilien. Dort war er vorwiegend in der Pfarrseelsorge tätig und engagierte sich zudem in verschiedenen Gremien der Provinz und der Diözese. Als vorbildlicher Seelsorger legte er großen Wert auf gut gestaltete Liturgien. Den einheimischen Ordensnachwuchs prägte er nicht nur durch sein Wirken, sondern auch durch die Begleitung beim Bau zahlreicher Kirchen und Kapellen. Möge unser Missionar Claudio Krämer in Frieden ruhen. JORGE FERNÁNDEZ OFM Der Franziskaner Jorge Fernández leitet das franziskanische Sozialzentrum in Cochabamba in Bolivien. Die Einrichtung der bolivianischen Franziskaner hilft armen Menschen in der viertgrößten Stadt des Landes (siehe Seite 12–13). Franziskanerbruder Jorge ist 50 Jahre alt. Er trat 2014 in den Orden ein. Er hatte zuerst Wirtschaftswissenschaften an der Universidad Mayor de San Andrés (UMSA) in La Paz studiert und anschließend im Orden Theologie und Philosophie. Im Jahr 2021 empfing er die Priesterweihe. Als Mitglied der Provinzleitung in Bolivien ist er ein geschätzter Partner für unsere Missionsprojekte in Bolivien. THÉONESTE TWAHIRWA OFM Am 1. Juli 2024 wurde in Kigali, Ruanda, die neue autonome Kustodie »Unsere Liebe Frau von Kibeho« für Burundi und Ruanda gegründet. Zum Kustos wurde der Franziskaner Théoneste Twahirwa gewählt. Zum Leitungsteam gehören die Franziskanerbrüder Herménégilde Birushe (Vikar), Innocent Harerimana, Nicodème Kibuzehose und Alexis Niyongabo. An diesem bedeutenden Ereignis nahmen die Franziskaner Ignacio Ceja Jiménez, Generalvikar aus Rom, Teofil Czarniak, Generaldelegat für Afrika, und Frederick Odhiambo, Provinzial aus Nairobi, teil. Die Franziskaner Mission Dortmund und München gratulieren den Ordensbrüdern der neuen Kustodie und wünschen Gottes Segen für ihre Pastoral- und Sozialarbeit. 20 32 28 22

Der Begriff »Entwicklung« hat unterschiedliche Bedeutungen. Er variiert je nach Region, Land und Ökosystem. Unabhängig von der Definition muss er jedoch als grundlegendes Menschenrecht angesehen werden. Dieses Recht beinhaltet einen Prozess zur Verringerung von Armut, Analphabetismus und Krankheiten und zielt gleichzeitig auf den Schutz der Umwelt ab. Darüber hinaus umfasst er die Stärkung von Frauen, indigenen Völkern, traditionellen Gemeinschaften und Randgruppen und berücksichtigt die verschiedenen Gebiete, in denen die Völker und Gemeinschaften leben. Weltweite Herausforderung Millenniums- und nachhaltige Entwicklungsziele der UNO Diese Sichtweise verlagert den Entwicklungsbegriff von einer rein wirtschaftlichen Perspek- tive hin zu einer menschenrechtlichen Dimension. Die Würde des Menschen und die Un- versehrtheit der Natur stehen im Mittelpunkt. Entwicklung darf nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden; sie muss auch die Rechte der Natur anerkennen und die Klimakrise bewältigen. Diese Faktoren sind essenziell, um eine lebenswerte Zukunft für alle Lebensformen auf unserem Planeten zu gewährleisten. Agenda der Menschheit Armut wird oft als natürliches Phänomen betrachtet. Sie ist jedoch in Wirklichkeit ein von Menschen geschaffenes Konstrukt, das aus wirtschaftlichen und sozialen Modellen resultiert und Ungleichheiten aufrechterhält. Der Weltbank-Bericht »Armut, Wohlstand und Planet« aus dem Jahr 2024 zeigt, dass etwa 700 Millionen Menschen in extremer Armut leben und mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung, rund 3,5 Milliarden Menschen, lebt in Ländern mit mittlerem Einkommen und muss mit weniger als 6,85 US-Dollar pro Tag auskommen. Zudem wird in dem Bericht betont, dass die Ungleichheit zwischen den Regionen wie Lateinamerika, der Karibik sowie denen in Afrika südlich der Sahara und den Regionen der restlichen Welt nach wie vor groß ist. Die Umweltkrise verschärft diese Herausforderungen zusätzlich. Der Bericht führt das Konzept der »Polykrise« ein, das die Zusammenhänge zwischen Armut, Klimakrise und wirtschaftlicher Instabilität verdeutlicht. Angesichts dessen muss menschliche Entwicklung integrativ und nachhaltig sein. Geschwisterlichkeit sollte das Leitprinzip dieses Wandels sein. Im Jahr 2000 formulierten die Vereinten Nationen die Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs). Es wurden acht Ziele festgelegt, die bis 2015 erreicht werden sollten. Sie umfassen zentrale Themen wie die Beseitigung der Armut, Bildung, Gleichstellung der Geschlechter, die Senkung der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Gesundheit von Müttern sowie die Bekämpfung von Krankheiten. Zudem wurden ökologische Nachhaltigkeit und globale Zusammenarbeit als Ziele definiert. Obwohl Fortschritte erzielt wurden, blieben sie ungleich verteilt, und einige der gesteckten Ziele wurden nicht vollständig erreicht. Im Jahr 2015 passten die Vereinten Nationen ihren Ansatz an und führten die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) ein. 17 Ziele wurden TEXT: Rodrigo de Castro Amédée Péret ofm | FOTOS: Franciscans International An einem Aschermittwoch nimmt der Franziskaner Rodrigo de Castro Amédée Péret an einer Demonstration für mehr Gerechtigkeit gegenüber der Umwelt und den Opfern von Menschen verursachten Katastrophen, wie dem Dammbruch in Brumadinho (Brasilien), teil.

definiert, die bis 2030 erreicht werden sollen. Die SDGs gehen über die Armutsbekämpfung hinaus und formulieren eine universelle, auf Menschenrechten basierende Agenda. Sie streben ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaftswachstum, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz an. Sie erkennen die Wechselwirkungen zwischen Frieden, Entwicklung und Menschenrechten an. Der Übergang von den MDGs zu den SDGs spiegelt diese Entwicklung wider. Die globale Politik trägt nun der Komplexität der aktuellen Krisen Rechnung, die strukturelle Lösungen erfordert und dabei soziale Ungleichheiten sowie Umweltauswirkungen berücksichtigt. Zum Wohle aller Für die Franziskanische Familie weltweit ist es äußerst besorgniserregend, dass noch immer Millionen von Menschen von extremer Armut und Hunger betroffen sind. Diese beiden Faktoren sind das Ergebnis wirtschaftlicher, klimatischer und sozialer Krisen, die die Lage dieser Bevölkerungsgruppen verschlimmern. Daher ist es dringend erforderlich, globale Ungleichheiten und Umweltauswirkungen in den Mittelpunkt zu rücken. Die Organisation »Franciscans International« (FI) setzt sich aktiv für die Umsetzung der SDGs ein. Als mit der UNO verbundene Organisation verteidigt sie die Rechte der am stärksten Ausgegrenzten. Ihr Engagement basiert auf den franziskanischen Werten Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. FI sorgt dafür, dass die Stimmen der am stärksten Betroffenen gehört werden. Armut, Ungleichheit und Umweltzerstörung stehen im Zentrum ihres Handelns. Umweltgerechtigkeit ist einer ihrer Hauptschwerpunkte. Sie arbeitet mit lokalen Organisationen zusammen, um dringende Herausforderungen wie den Klimawandel, den Zugang zu sauberem Wasser und nachhaltige Landwirtschaft anzugehen. FI setzt sich für eine globale Politik ein, die den Schutz der Menschen und des Planeten gewährleistet. Neben Umweltgerechtigkeit ver- teidigt sie Menschenrechte, unterstützt Migranten, Flüchtlinge und indigene Völker, prangert Menschenrechtsverletzungen an und fordert Regierungen und Unternehmen zur Rechenschaft auf – während sie gleichzeitig deren Beteiligung an Entscheidungsprozessen fördert. Im April 2021 organisierte FI eine virtuelle Konferenz zwischen New York und Genf. Sie brachte UN-Agenturen, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Das Thema lautete »Klimamaßnahmen und Armutsbekämpfung nach der Pandemie«. Die Veranstaltung betonte die Bedeutung der Menschenrechte in der Klimapolitik. Ziel war es, die Rolle der Staaten zu stärken und einen gerechten sowie nachhaltigen Weg zur Erreichung der SDGs sicherzustellen. Die Enzyklika »Laudato si’« von Papst Franziskus unterstreicht diese Vision, indem sie feststellt, dass alles miteinander verbunden ist. Die Zerstörung der Natur bedeutet letztlich auch die Zerstörung der Menschheit. Um die sozioökologische Krise zu bewältigen, ist es entscheidend, auf zwei Rufe zu hören: den der Armen und den der Erde. Es sind konkrete und wirksame Maßnahmen erforderlich, da die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen am meisten unter den Folgen leiden. Die Umsetzung der SDGs darf nicht allein den Regierungen und Unternehmen überlassen werden. Die Umweltzerstörung, angetrieben durch exzessiven Konsum und nicht nachhaltige Produktionsweisen, gefährdet die biologische Vielfalt und verschärft den Klimawandel. Die schwächsten Bevölkerungsgruppen sind hiervon überproportional betroffen. Sie müssen eine aktive Stimme haben. Eine wirklich nachhaltige Entwicklung muss der Gerechtigkeit Vorrang einräumen – sowohl in sozialer, ökologischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht. Globale Entscheidungen dürfen nicht nur den Interessen der Wohlhabendsten dienen. Das Wohl der gesamten Menschheit und des Planeten muss gesichert werden. Der Autor Rodrigo de Castro Amédée Péret ist Franziskaner und engagiert sich im franziskanischen Dienst für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Seit einigen Jahren konzentriert er sich vor allem auf das Thema Bergbau in Brasilien und weltweit. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Márcia Santos Sant’Ana Die Projektpartnerin und Fachexpertin für Bergbau-Themen in El Salvador, Sandra Carolina Ascencio, beim »Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF)« der Vereinten Nationen in New York/USA 6 | 7

Helmut Schmidt, Bundeskanzler (1974–1982) und bis zu seinem Tod Mitherausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT (1983–2015) hat das Bonmot geprägt, wer Visionen habe, sollte zum Arzt gehen. Diese ironische Bemerkung war zum Glück nicht wirklich ernst gemeint. Denn tatsächlich braucht man, um Zukunft zu gestalten, Visionen. Die Millenniumsziele und ihre Nachfolger, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, sind eine solche Vision. Weltanschauung Globale Mitverantwortung tragen Politik kann man von zwei Seiten aus betrachten. Einmal aus Perspektive der Politikgestaltenden, also der Politikerinnen und Politiker, und zum anderen aus Sicht derjenigen, die Politik bewerten, also den Wählerinnen und Wählern. Um Politik zu gestalten, brauchen politische Parteien und die sie tragenden Politikerinnen und Politiker zwei Dinge: eine Vision und eine Weltanschauung. Die Vision ist die Vorstellung, wie die Zukunft aussehen soll: Alle demokratischen Parteien setzen sich in unseren Breitengraden für weltweite Freiheit, Frieden und Wohlstand ein. Die acht Millenniumsziele und die 17 Nachhaltigkeitsziele formulieren eine Zukunft, in der Elend und Not, Hunger und Gewalt, Dummheit und Autoritarismus beseitigt sind und damit auch viele Fluchtursachen. Die Frage, wie diese Millenniumsziele von der Politik umgesetzt werden, ist eine Frage der Weltanschauung. Liberale Parteien wie die FDP setzen auf marktwirtschaftliche Mechanismen und die Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Konservative Parteien wie die Union auf bewährte Instrumente, die der Bevölkerung nicht zu viel Veränderung zumuten, und progressive Gruppierungen, wie DIE GRÜNEN, fordern schnelle und einschneidende Änderungen, weil sie zum Beispiel anhand der Klimakatastrophe oder der Belastungen durch weltweite Fluchtbewegungen die Zeitnot sehen, in der sich die Menschheit befindet. Für diejenigen, die in Wahlen Politik bewerten, gibt es ähnliche Mechanismen. Sie müssen zwar die Visionen und Ziele nicht formulieren, aber sie müssen Kriterien finden, diese zu bewerten, um sie bei Wahlen durch Zustimmung zu unterstützen oder durch Ablehnung zu verhindern. Dies tun sie anhand ihrer politischen Meinung, die durch ihre Weltanschauung geprägt ist. Weltanschauung ist in diesem Fall die persönliche Sichtweise auf die Welt. Das Beispiel vom Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, veranschaulicht das sehr schön: Zwei Personen sehen das gleiche Glas, aber die eine sieht es positiv als halbvolles Glas und die andere negativ als halbleeres Glas. Lebensgrundlage sichern Unsere eigene Weltanschauung wird geprägt von unserer Sozialisation, also der Summe von Beziehungen, Erfahrungen und Kenntnissen, die uns Familie, Freundeskreis, Arbeits- und Wohnumfeld, Bildung und Lebensereignisse vermittelt haben und die uns helfen, die Welt zu verstehen und zu bewerten. TEXT: Prof. Dr. Thomas M. Schimmel | FOTO: Cedrick / stock.adobe.com

Als aktive Christinnen und Christen kommt noch der Glaube als Sozialisationsfaktor hinzu, der uns in den meisten Fällen ebenfalls durch unser Umfeld nahegebracht wurde. Natürlich interpretieren wir aus unserer Sozialisierung heraus die biblischen Geschichten sehr unterschiedlich und streiten immer wieder darum, was Gott denn nun eigentlich mit der Aussage »Macht Euch die Erde untertan« (Gen 1,28) gemeint hat oder wie die Gleichnisse Jesu zu verstehen sind. Aus der Perspektive eines Christen, der franziskanisch sozialisiert wurde, sind die acht Millenniumsziele und die 17 Nachhaltigkeitsziele politische Zielvorgaben, die auch Prüfsteine und Maßstäbe für eine christliche Politik sind. Sie stimmen mit dem, was der Glaube an Jesus Christus auf Grundlage der biblischen Überlieferung uns vermittelt, überein, und sind Schritte auf einem Weg in eine noch ferne Zukunft, in der Not und Unterdrückung der Vergangenheit angehören. Die Millenniumsziele und die Nachhaltigkeitsziele der UNO sehen vor, globale Armut zu bekämpfen, den Hunger zu beenden, Bildung und Gesundheit zu fördern, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, Umweltzerstörung einzudämmen und globale Partnerschaften zu stärken. Hier zeigt sich, dass die Anliegen dieser Ziele an die christliche Ethik anknüpfen. Die Bibel – egal ob die hebräische Bibel oder das Neue Testament – fordert uns immer wieder auf, unsere Mitmenschen zu lieben und ihnen in Not beizustehen. Ausdrücklich wird dies im Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« (Matth. 22,39) deutlich. Die Arbeit an der Beseitigung von Armut, der Verbesserung der Gesundheitsversorgung und am Zugang zu Bildung für alle Menschen entspricht diesem Gebot, weil es Menschen Würde, Respekt und die Möglichkeit der Selbstbestimmung gibt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Verantwortung gegenüber der Schöpfung. Die Schöpfungserzählung in der Thora zeigt uns, dass die Erde und alles Leben Geschenke Gottes sind. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur, wie er in den Nachhaltigkeitszielen gefordert wird, entspricht dem christlichen und jüdischen Verständnis von Schöpfungsverantwortung. Indem man sich für nachhaltige Entwicklung überall auf der Welt einsetzt, schützt man nicht nur die Umwelt und ihre natürlichen Ressourcen, sondern sichert auch die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen. Ausdruck des Glaubens Indem wir uns für Frieden, Gerechtigkeit und globale Solidarität einsetzen, tun wir Gottes Willen. Franziskus hat uns das in seinem Umgang mit Ausgegrenzten immer wieder vorgelebt und die Bibel ruft uns immerfort zu Versöhnung und gerechtem Handeln auf – Gedanken, die in den Zielen der UNO wiederzufinden sind. Die Überwindung von Konflikten, der Abbau von Ungleichheiten und der Aufbau tragfähiger Partnerschaften sind nicht nur Themen der Franziskaner Mission in den unterschiedlichen Kontinenten, sondern sollten unser politisches Handeln lokal wie global bestimmen. Solidarität und Gerechtigkeit sind die Brücken zwischen Menschen verschiedener Kulturen, Lebensweisen und Nationen, die zum Frieden führen. In den Evangelien wird im Handeln Jesu immer wieder deutlich, dass besonders auf die Armen, Kranken und Ausgegrenzten geachtet werden soll. Die Millenniumsziele, die auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Ärmsten abzielen, rufen Christinnen und Christen dazu auf, aktiv an der Gestaltung einer solidarischeren Welt mitzuwirken. Dies bedeutet nicht nur, materielle Hilfe zu leisten, sondern auch Strukturen zu unterstützen, die langfristig soziale Gerechtigkeit und Teilhabe ermöglichen. Dies ist auch eine Frage der globalen Verantwortung. In einer zunehmend vernetzten Welt sind die Probleme – sei es Klimawandel, Armut oder Ungleichheiten – nicht mehr auf einzelne Länder beschränkt. Die gemeinsame Anstrengung, wie sie in den Nachhaltigkeitszielen zum Ausdruck kommt, erinnert daran, dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind. Für Christinnen und Christen, die durch ihren Glauben dem Gemeinwohl und dem Dienst am Nächsten verpflichtet sind, bedeutet dies, sich über nationale Grenzen hinaus dafür einzusetzen, dass alle Menschen gut leben können und die Ausbeutung des Südens durch die Lebensweise des Nordens ein Ende findet. Das ist Ausdruck des Glaubens an eine von Gottes Liebe durchdrungene Gemeinschaft aller Menschen. Die Vision der Millenniumsziele und der Nachhaltigkeitsziele der UNO richtet sich nicht nur an die Politik, die sie in ihrem politischen Handeln auf verschiedene Art in den Kommunen, Ländern, im Bund und in der Europäischen Union umsetzen soll. Sie ist auch ein Aufruf an uns Christinnen und Christen, uns unserer christlichen Weltanschauung zu erinnern und in ihrem Sinne in Familie, Freundeskreis und Umfeld aktiv zu werden. Der Autor Thomas M. Schimmel war fast 20 Jahre für den Franziskanerorden tätig und lehrt heute Politikwissenschaft an der Hochschule Meißen. 8 | 9

Am 24. Mai 2025 jährt sich das Erscheinen der päpstlichen Enzyklika »Laudato si’« zum 10. Mal. Vor dem Pariser Klimagipfel sorgte sie für weltweite Beachtung auch außerhalb der katholischen Milieus, ja es gab den Eindruck, dass sie außerhalb der katholischen Kirche stärker wahrgenommen wurde als in den Pfarreien und christlichen Gemeinschaften. Nach zehn Jahren stellt sich die Frage, was sie bewirkt hat und woran es mangelt. Sorge für das gemeinsame Haus 10 Jahre Enzyklika »Laudato si’« Überrascht blieb ich in der Eingangshalle des Hotels stehen. An einer Wand waren die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000, die sogenannten Millenniumsziele, dargestellt. Ein passender Zugang zum Symposium zum Sonnengesang, das im Oktober 2024 auf Einladung von »Franziskaner helfen« in Bonn stattfand. Es bildete den Einstieg zum 800-jährigen Jubiläum des »Gesangs der Geschöpfe« des Franz von Assisi. Gegen Ende seines Lebens 1225 gedichtet, spiegelt er die Erfahrung und die Haltung seines Lebens wider: die geschwisterlich-familiäre Verbundenheit mit allem Geschaffenen. Soziale Gerechtigkeit Papst Franziskus hat den Sonnengesang seines Namenspatrons aufgegriffen und zum Titel seiner 2015 erschienenen Enzyklika »Laudato si’« gemacht. Oft als »Umweltenzyklika« bezeichnet, hat sie als Sozialenzyklika zugleich die Armen im Blick und verknüpft Mitweltschutz mit sozialer Gerechtigkeit. Damit beinhaltet sie zumindest indirekt eine Bezugnahme auf die Millenniumsziele. Für Papst Franziskus kann die eine sozio-ökologische Krise im Sinne einer integralen Ökologie nur durch Armutsbekämpfung und die Änderung unseres Lebensstiles zugleich bekämpft werden. Wichtig ist die Perspektive der Gemeinwohlorientierung und die Sicht, die Erd-Atmosphäre und weitere Güter als globales Gemeinschaftseigentum anzusehen. Auch an der Hotelwand stehen die Millenniumsziele gleichberechtigt nebeneinander. Mir stellt sich jedoch die Frage, ob die fehlende Priorisierung nicht die potenziellen Konflikte übersieht, die durch Konkurrenz der Ziele entstehen. Dies insbesondere in der Frage des Wirtschaftswachstums und der Nutzung der Ressourcen. Wie gelingt eine andere Form des Wirtschaftens, die zugleich Armutsbekämpfung ist? Fünf Jahre nach ihrem Erscheinen hat Papst Franziskus am 24. Mai 2020 ein Laudato-si’-Jahr ausgerufen. Im Anschluss daran wurde vom Vatikanischen Dikasterium (Vatikanische Behörde) zur Förderung der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung die »Aktionsplattform Laudato si’« ins Leben gerufen. Auf ihr werden sieben Ziele benannt, die sich als Schwerpunktbereiche aus der Enzyklika »Laudato si’« ableiten: Antwort auf den Schrei der Erde; Antwort auf den Schrei der Armen; ökologische Ökonomie; Übernahme nachhaltiger Lebensstile; ökologische Bildung; ökologische Spiritualität; Resilienz und Ermächtigung der Gemeinschaft. Alle Gruppierungen sind aufgerufen, Aktionspläne zu entwickeln mit konkreten Maßnahmen zum Schutz des gemeinsamen Hauses Erde. Papst Franziskus fordert in einem Video auf der Aktionsplattform: »Wir brauchen einen neuen ökologischen Ansatz, der unsere Lebensweise in der Welt, unseren Lebensstil, unsere Beziehung zu den Ressourcen der Erde und im Allgemeinen, unsere Art und Weise, wie wir Menschen betrachten und unser Leben leben, verändert. Eine integrale menschliche Ökologie, die nicht nur Umweltprobleme, sondern den gesamten Menschen betrifft, wird in der Lage sein, auf den Schrei der Armen zu reagieren und ein Gärmittel für eine neue Gesellschaft zu sein. Wir haben eine große Verantwortung, insbesondere gegenüber den zukünftigen Generationen […] Unsere Selbstsucht, unsere Gleichgültigkeit und unser verantwortungsloser Lebensstil bedrohen die Zukunft unserer Kinder!« Klimagerechtigkeit Mit seinem Mahnschreiben »Laudate Deum« von 2023 hat Papst Franziskus darauf hingewiesen, dass insbesondere im Bereich des Klimaschutzes immer noch viel zu wenig geschieht. Anlässlich der 28. Weltklimakonferenz in Dubai forderten im November 2023 die Deutsche Bischofskonferenz und die Deutsche Ordensoberenkonferenz zu vermehrten Anstrengungen im politischen Bereich auf. TEXT UND FOTO: Stefan Federbusch ofm 10

Wenn wir auf die notwendigen Transformationsprozesse blicken, stellen wir fest, dass es uns nicht an Wissen fehlt, sondern am Handeln. Es mangelt nicht an Erkenntnissen, aber an Umsetzungskompetenzen. Warum tun wir nicht, was wir wissen? Es gibt offensichtlich massive Handlungsblockaden, die ein konsequentes individuelles und gesellschaftlichpolitisches Agieren im Sinne eines Mitweltschutzes verhindern. Zunächst schien es, dass insbesondere durch den Druck junger Menschen, durch die Bewegungen »Fridays for Future« und »Last Generation« tatsächlich insbesondere klimapolitische Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden. Dem haben sich auch von Seiten der Kirche Zusammenschlüsse wie »Christians for Future« und »Ökumenisches Netzwerk für Klimagerechtigkeit« mit seiner Aktion »Es reicht. Mehr Mut zur Suffizienz [Genügsamkeit]!« angeschlossen. Mittlerweile haben die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten die Prioritäten verschoben und die Klimakrise in den Hintergrund gedrängt. Es ist problemlos möglich, einen 100-Milliarden-Sonderfond für die Bundeswehr aufzulegen, nicht aber, sich auf notwendige Zahlungen für Anpassungsmaßnahmen für vom Klimawandel besonders bedrohte Länder zu einigen. 2021 hat die Deutsche Bischofskonferenz unter dem Titel »Unser Einsatz für die Zukunft der Schöpfung« einen Klima- und Umweltschutzbericht herausgegeben. 2025 wird ein weiterer folgen, der aufzeigt, wo innerhalb der Kirche tatsächliche Umsetzungsprozesse in Angriff genommen werden. Die Jahrestagung Weltkirche und Mission wird im Mai 2025 unter dem Thema »Wieviel ist genug? Gerechtigkeit und Suffizienz als christliche Handlungsprinzipien« stehen und versuchen, konkrete Handlungsschritte im Dialog der Länder von Nord und Süd zu entwickeln. 10 Jahre Enzyklika »Laudato si’« sind eine Zeit des Bewusstseinswandels, erreichter Veränderungsschritte und zugleich enttäuschter Hoffnungen. Es gilt auch weiterhin: Erst eine veränderte Haltung im Sinne der im Sonnengesang ausgedrückten Verbundenheit alles Lebendigen und Geschaffenen wird zu wirkungsvollen Handlungen führen, die uns dem Erreichen der Millenniumsziele näherbringen. Der Autor Stefan Federbusch ist Provinzialvikar der Deutschen Franziskanerprovinz in München. Er engagiert sich unter anderem für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung aus der Eingangshalle eines Hotels in Bonn 11

Es ist ein kühler Morgen in Cochabamba, einer Großstadt im Hochland Boliviens, als Bruder Marco Larentis die Türen des franziskanischen Sozialzentrums öffnet. Der Duft von frisch gekochtem Eintopf zieht bereits durch das Haus. Bald werden sich hier dutzende Menschen einfinden: Männer, Frauen, Kinder – hungrig und erschöpft vom kargen Alltag, den sie bewältigen müssen. Für sie ist das Zentrum nicht nur ein Ort, an dem sie eine warme Mahlzeit erhalten, sondern ein Hafen der Menschlichkeit und Hoffnung. Ein Hafen der Hoffnung Franziskanisches Sozialzentrum in Bolivien Das franziskanische Sozialzentrum wurde ins Leben gerufen, um den Schwächsten der Gesellschaft beizustehen. Hier, in den belebten Straßen Cochabambas, finden Menschen in extremer Armut eine helfende Hand. Dienstags, donnerstags und samstags werden jeweils rund 155 warme Mahlzeiten serviert. Es sind etwa 70 Männer, 80 Frauen und 25 Minderjährige, die in getrennten Speisesälen essen. Für viele ist dies die einzige Mahlzeit des Tages. Neben den warmen Speisen verteilt das Zentrum monatlich Lebensmittelpakete mit nicht verderblichen Lebensmitteln wie Reis, Nudeln, Öl, Linsen oder Sardinen an bedürftige Familien. Die Empfänger sind Menschen am Rande der Gesellschaft: Obdachlose, Tagelöhner, alleinerziehende Mütter, die sich mit Aushilfsarbeiten über Wasser halten. Sie leben meist in provisorischen Unterkünften oder unter freiem Himmel. Ihre Einkommensquellen sind nicht gesichert – wer heute keinen Job findet, hat morgen nichts zu essen. In diesen schweren Zeiten gibt die Suppenküche Halt und ein Gefühl von Würde. Unermüdlicher Einsatz Franziskanerbruder Marco (84), ein gebürtiger Italiener, kam vor mehr als 40 Jahren nach Bolivien. Seitdem widmet er sein Leben den Armen und Bedürftigen. Heute liegt sein Schwerpunkt auf der Arbeit im Sozialzentrum. Doch seine Hilfe endet nicht an den Toren der Suppenküche. Im Zentrum von Cochabamba sucht er Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Sehbehinderte auf und bringt ihnen Essen. Auch Männer und Frauen, die an Straßenecken stehen und Arbeit suchen – und die nicht zum Zentrum kommen können, weil sie, wenn sie ihren Platz verlassen, die Chance auf eine Anstellung verlieren könnten –, sind Bruder Marcos Ziel. Dabei wird er von Freiwilligen aus dem Zentrum begleitet, die den Wagen schieben und das Essen ausliefern. Währenddessen unterhält Marco sich mit den BESEITIGUNG DER EXTREMEN ARMUT UND DES HUNGERS TEXT: Nivia Paola Choque Lizarazu | FOTOS: Provincia Misionera San Antonio En Bolivia; Alfons Schumacher ofm; Martin Steffen ofm 12

Menschen. Er nimmt sich Zeit für Gespräche, hört zu und spricht ihnen Mut zu. »Es geht nicht nur darum, den Körper zu nähren, sondern auch die Seele«, sagt Bruder Marco oft. Das Engagement der Franziskanischen Familie ist ansteckend. 42 Freiwillige zwischen 18 und 60 Jah- ren unterstützen das Zentrum bei der Zubereitung und Verteilung der Mahlzeiten. Die Freiwilligentätigkeit spiegelt eine Form der Solidarität der Gemeinschaft wider, stärkt das soziale Gefüge und fördert das Gefühl der Mitverantwortung zwischen den Generationen. Die Freiwilligen arbeiten Hand in Hand mit den Franziskanern und bringen nicht nur Nahrung, sondern auch ein Lächeln und freundliche Worte. Viele der Ehrenamtlichen berichten, wie sehr sie diese Arbeit bereichert. »Hier zu helfen, lässt mich die Welt mit anderen Augen sehen«, sagt eine junge Helferin. Seelennahrung Die Suppenküche spielt für die Menschen von Cochabamba eine wichtige Rolle. Viele der Gäste kommen aus zerrütteten Verhältnissen. Ihre Geschichten sind geprägt von Not, Verzicht und Hoffnungslosigkeit. Neben den Mahlzeiten erhalten die Menschen im Zentrum auch psychologische und medizinische Betreuung. Es gibt Beratungen für rechtliche Fragen und Workshops, in denen praktische Fertigkeiten vermittelt werden. All das soll den Besuchern helfen, ihre schwierige Situation zu bewältigen und – wo möglich – einen Weg aus der Armut zu finden. Ein Schlüssel zum Erfolg des franziskanischen Sozialzentrums ist die starke Gemeinschaft, die es trägt. Neben den Freiwilligen sind es lokale Spender, die regelmäßig Lebensmittel beisteuern. Spenden-Aktionen und die Unterstützung durch weitere franziskanische Organisationen sichern den Fortbestand der Suppenküche. Doch die Nachfrage an dem Angebot steigt stetig, und die Ressourcen sind begrenzt. »Jedes servierte Gericht ist ein Zeichen der Hoffnung. Aber wir können nur so viel tun, wie uns die Mittel erlauben«, erklärt Franziskanerbruder Marco. Umso wichtiger ist es, dass die Arbeit des Zentrums fortgesetzt wird. Jeder Beitrag, ob groß oder klein, hilft. Aufruf zur Nächstenliebe Die Bekämpfung von extremer Armut und Hunger erfordert ständige Aufmerksamkeit. Das Zentrum ermutigt und motiviert die Menschen, ihre schwierige Situation zu bewältigen. Hier dürfen auch sie erleben, ein ernstgenommener Teil der Gesellschaft zu sein. Das franziskanische Sozialzentrum ist ein konkretes Beispiel, wie der Wille und das soziale Engagement der Franziskaner zur Bewältigung einer der größten Herausforderungen unserer Zeit beitragen können. Auch wenn der Weg zur vollständigen Beseitigung von extremer Armut und Hunger lang ist, zeigt die tägliche und engagierte Arbeit, dass Veränderung – wenn auch in kleinem Maßstab – möglich ist und das Leben vieler Menschen verändert. Bruder Marco sagt: »Es ist ein langer Weg, aber jeder Schritt zählt.« Und mit jedem Schritt kommen wir der Bekämpfung extremer Armut und der Vision eines Lebens in Würde für alle ein Stück näher. Die Autorin Nivia Paola Choque Lizarazu ist Koordinatorin des franziskanischen Sozialzentrums in Cochabamba, Bolivien. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth Von links nach rechts: Die Franziskaner Marco Larentis und Jorge Fernández mit einer Gruppe von Hilfsbedürftigen Bruder Marco in der Küche mit ehrenamtlichen Helferinnen Schlangestehen für Essen 13

Die Eröffnung der Handwerksberufsschule durch Ivica Perić ofm war 1999 ein wichtiger Schritt in Richtung inklusiver und gleichberechtigter Berufsausbildung für junge Menschen in Ruanda. 2021 wurde Franziskanerpater Ivica mit einer Neugründung in der Landgemeinde Mwakapandula in Sambia beauftragt und Innocent Harerimana ofm übernahm die Leitung der Pater-Vjeko-Berufsschule. Die Franziskaner Mission Dortmund sprach mit ihm über den aktuellen Stand. Solide Ausbildung in Ruanda Stimmen aus der Pater-Vjeko-Berufsschule in Kivumu Warum wurde die Berufsschule nach Pater Vjeko benannt? Im Jahr 1983 kamen die ersten fünf Franziskaner in einer internationalen Gruppe, zu der auch Vjeko Ćurić aus Kroatien gehörte, nach Ruanda. Bischof André Perraudin von der Diözese Kabgayi bot ihnen die Landpfarrei Kivumu an, nahe der Stadt Gitarama mit 10.000 Einwohnern und einer alten Kirche. Als am 7. April 1994 der grauenvolle Völkermord mit dem Bürgerkrieg begann, blieb Vjeko allein in der Pfarrei und rettete zahlreiche Frauen, Kinder und Männer vor dem sicheren Tod. Vier Jahre später, am 31. Januar 1998, in seinem 41. Lebensjahr, wurde er selbst Opfer eines brutalen Attentats. Vjekos Traum war es gewesen, jungen Menschen eine gute Berufsausbildung zu ermöglichen, damit sie einer besseren Zukunft entgegengehen können. Deswegen wurde das Zentrum bei der Eröffnung nach Vjeko benannt. Laut UNO soll bis zum Jahr 2030 das vierte Ziel zur nachhaltigen Entwicklung erreicht werden: die Gewährleistung von inklusiver, gleichberechtigter und hochwertiger Bildung und Förderung von Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle. Wie sieht es bei der Pater-VjekoSchule in Sachen gerechter Schulbildung aus? Die Pater-Vjeko-Berufsschule bietet allen Kindern, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Lebensumständen, gleiche Chancen. Sie legt Wert auf Zugänglichkeit, Inklusivität und Gerechtigkeit und stellt sicher, dass alle Auszubildenden die Unterstützung erhalten, die sie mit ihren unterschiedlichen Talenten und Begabungen nötig haben, um erfolgreich zu sein. Wie viele Lehrkräfte und Auszubildende gibt es? Zurzeit unterrichten 27 qualifizierte Lehrkräfte 782 Jungen und Mädchen. In der Verwaltung unterstützen mich Daicolas Nsabimana ofm und acht Angestellte im Sekretariat, am Empfang, in der Küche und im Garten. Wie stellt die Pater-Vjeko-Berufsschule sicher, dass alle Mädchen und Jungen gleichberechtigt eine kostenlose und hochwertige Ausbildung abschließen können, die sie befähigen, einen Beruf auszuüben? Alle Auszubildenden zwischen 14 und 21 Jahren erhalten an unserer Schule eine qualitativ hochwertige Bildung, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Status. Sie können den Kurs wählen, den sie belegen möchten. Die Schule hilft ihnen, ihre Ziele ihren Bedürfnissen entsprechend zu erreichen. Eines unserer Ziele ist es, während der dreijährigen Ausbildung allen Schülerinnen und Schülern – unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Religion oder anderen persönlichen Merkmalen – gleiche Chancen zu bieten. Wenn die Jugendlichen ihre fachliche und berufliche Qualifikation abgeschlossen haben, können sie dann für sich selbst und ihre Familien durch eine menschenwürdige Arbeit gut sorgen? Fakt an unserer Schule ist es, dass die meisten unserer Schülerinnen und Schüler nach dem Abschluss leicht einen Job finden oder es schaffen, sich selbstständig zu machen. Diejenigen, die das nationale Examen bestehen, erhalten auch ein staatliches Stipendium, um ein Universitätsstudium anzuschließen. Auch gibt es einige Unternehmen, die uns bitten, ihnen unsere ehemaligen Lehrlinge zu empfehlen. Nach Abschluss eines erfolgreichen Praktikums werden sie dann übernommen. In der Regel können alle jungen Menschen nach Beendigung ihrer Lehre bei uns selbstständig für sich und ihre Familien sorgen. INTERVIEW: Franziskaner Mission Dortmund | FOTOS: Pater-Vjeko-Berufsschule VERWIRKLICHUNG DER ALLGEMEINEN PRIMÄRSCHULBILDUNG 14

Yvan Hirwa, 18 Jahre Informatik Mein Berufsziel: Gründung einer technischen Beratungsstelle für kleine Unternehmen, um mit Know-how bei der Internetnutzung zu helfen. Puria Uwibambe, 17 Jahre Schneiderei Mein Wunsch: Erstellung von nachhaltiger Mode mit recycelten Materialien und Kreation stilvoller Outfits. Jean de Dieu Cyuzuzo, 17 Jahre Schreinerei Ich möchte meine Ausbildung als Schreiner und Zimmerer nutzen, um meiner Gemeinde bei der Holzverarbeitung mit umweltfreundlichen Praktiken zu helfen. Nadine Ishimwe, 19 Jahre Maurerhandwerk Mein Ziel: Konstruktion und Bau langlebiger und erschwinglicher Häuser für einkommensschwache Familien. Cedric Mugisha, 20 Jahre Metallverarbeitung Ich möchte in meiner Gemeinde innovative Metallarbeiten und Reparaturen ausführen können. Das Interview führte die Redaktion dieser Zeitschrift mit Franziskaner Innocent Harerimana, der die Pater-Vjeko-Berufsschule in Kivumu, Ruanda, leitet. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm Wird Auszubildenden, die finanzielle Unterstützung brauchen, bei der Bezahlung der Schulgeldgebühren geholfen? Etwa 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler bringen das Schulgeld selbst auf. Manchmal erleben wir jedoch auch, dass einige mitten im Studium nicht mehr die Schulgebühren bezahlen können. Im letzten Jahr musste die Schule insgesamt 263 Bedürftige finanziell unterstützen. Welche Möglichkeit der Ausbildung gibt es? Neben der Allgemeinbildung ist die Ausbildung in folgenden Berufen möglich: Maurerhandwerk, Elektrotechnik, Informatik, Metallverarbeitung, Schneiderei und Schreinerei. Alle angebotenen Ausbildungswege bieten neben dem Berufsabschluss auch die Möglichkeit, Zugang zu einer erschwinglichen und qualitativ hochwertigen technischen Weiterbildung zu bekommen. Innocent, was macht Dir persönlich besondere Freude? Ich freue mich, wenn unsere ehemaligen Schülerinnen und Schüler gute Jobs bekommen; wenn einige zurückkommen, um sich bei der Schule zu bedanken, und wenn einige unser Ausbildungsteam verstärken. Gibt es auch Herausforderungen und wenn ja, welcher Art? Natürlich gibt es auch Herausforderungen: Wenn einige Lehrer, vor allem junge, keine Ausdauer zeigen; und wenn einige Eltern bei der Erziehung ihres Sohnes oder ihrer Tochter nicht optimal mit der Schule zusammenarbeiten. Danke, Innocent, für alle Informationen zur Pater-Vjeko-Berufsschule und Euren Beitrag zur Förderung von gleichberechtigter, hochwertiger Ausbildung wie zum Frieden und zur Versöhnung in Ruanda. Denn alle Bildung ist der Schlüssel zu einer menschenwürdigen Zukunft. Weiterhin viel Erfolg mit der so wichtigen, wertvollen berufsbildenden Schule in Kivumu! Einige Auszubildende stellen sich mit ihren Berufswünschen vor: 15

Yuna, ein kleines dunkelhaariges Mädchen mit zwei langen Zöpfen, ist fünf Jahre alt und besucht die zweite Stufe unseres Kindergartens in Coroico, also die Vorschule. Yuna lebt mit ihrer Mutter Maria und ihrem älteren Bruder Julio in einem einfachen Haus, das eine Stunde Fußmarsch von der Schule entfernt liegt. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht. Täglich legen die Kinder – fast bei jedem Wetter – diesen beschwerlichen Weg zurück. Mehr als Bildung Franziskanerschule in den bolivianischen Anden »Wenn es stark regnet, sind die Straßen nur noch unpassierbare Schlammpisten und die Kinder können nicht zur Schule gehen«, erzählt ihre Mutter. Maria ist alleinerziehend und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch: Sie fertigt Handarbeiten an, wäscht Wäsche für andere und pflegt Obstgärten. Ihr Einkommen reicht gerade für das Nötigste. Die hohen Mieten bei uns am Ort kann sich die Familie nicht leisten. Das Haus, in dem die Familie wohnt, ist nicht ihr eigenes, es ist ein halb fertiggestellter Rohbau, in dem sie als »Hausbewacher« wohnen darf. Es gibt zwar Strom, Heizung und fließendes Wasser, trotzdem sind die Bedingungen kaum zumutbar: Eine unvollendete Wand ist undicht und lässt bei Regen Wasser eindringen. Trotz aller Widrigkeiten bemüht sich Maria, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Sie spart an allem, um Yuna und Julio den Schulbesuch zu ermöglichen. »Die Schule der Franziskanerinnen ist meine Hoffnung«, sagt Maria. »Hier lernen meine Kinder nicht nur zu schreiben und zu rechnen, sondern auch, was es heißt, ein guter Mensch zu sein.« Bildung mit Herz Die Pfarrschule San Pedro in Coroico, im Hochland Boliviens, wurde 1959 von Franziskanerbischof Tomas Manning gegründet. Seit 2001 wird sie von den Franziskanerinnen Misioneras de María Auxiliadora betreut. Die Schule genießt einen ausgezeichneten Ruf. Viele Eltern ziehen sie der öffentlichen Schule vor, da hier nicht nur Disziplin und Ordnung herrschen, sondern auch Werte vermittelt werden. Die Schwestern und die Lehrerschaft kümmern sich nicht nur um die schulische Bildung der Kinder, sondern sie geben auch Tugenden wie Nächstenliebe, Respekt und Verantwortung mit auf den Weg. Mit großer Hingabe sorgen die Franziskanerinnen dafür, dass die Kinder eine umfassende Bildung erhalten. Das Motto der Schule lautet: »Unsere Tugend ist es, mit Weisheit zu lieben und zu dienen.« Dieser Leitsatz zieht sich durch den gesamten Unterricht. TEXT UND FOTOS: Sirlei Pozzatti H. F. M. MA. AUX Die Franziskanerin Maira Del Carmen Contreras Torres geht von Tisch zu Tisch und wendet sich ihren Schülerinnen und Schülern und deren Arbeiten zu. VERWIRKLICHUNG DER ALLGEMEINEN PRIMÄRSCHULBILDUNG

Schulalltag Viele Kinder kommen ohne Frühstück und mit mangelnden Schulutensilien zum Unterricht. Die Schule versorgt die Kinder mit einer Pausenmahlzeit und den Materialien, die ihre Eltern nicht kaufen können. Auch Yuna und ihr Bruder haben von dieser Unterstützung profitiert. Die wirtschaftliche Lage der Familien ist meist schwierig. Die Eltern arbeiten in schlecht bezahlten Berufen, etwa als Landarbeiter, Straßenhändlerin oder Taxifahrer. Viele von ihnen sind deshalb den ganzen Tag außer Haus und haben zudem selbst eine schwache Schulbildung und können ihre Kinder nur unzureichend beim Lernen unterstützen. Doch gerade deshalb ist die Schule so wichtig: Sie bietet den Kindern Hilfe und Struktur, die ihnen zu Hause oft fehlen. Die Schule ist auch ein Zufluchtsort. Hier können die Kinder unbeschwert spielen, lernen und lachen. »Yuna ist ein sehr höfliches, ruhiges und aufmerksames Kind«, sagt Franziskanerschwester Maira Del Carmen Contreras Torres, eine ihrer Lehrerinnen. »Trotz der schwierigen Umstände bringt sie immer ein Lächeln mit.« Doch manchmal ist auch dieses Lächeln getrübt, wenn die Armut der Familie sie besonders hart trifft. Die Bedeutung von Hilfe Der bolivianische Staat trägt die Gehälter für die meisten Lehrerinnen und Lehrer, die Gemeinde Coroico übernimmt die Kosten für die Grundversorgung der Schule mit Wasser, Strom und Internetzugang. Die Eltern leisten einen kleinen Beitrag in Form eines Schulgeldes, der jedoch kaum ausreicht, um die notwendigen Ausgaben zu decken. Etwa ein Drittel der Kosten unserer Schule San Pedro muss durch Spenden finanziert werden. Wir sind daher auf Unterstützung angewiesen, um den Betrieb der Schule aufrechtzuerhalten. Die Spenden aus Deutschland leisten hierzu einen wertvollen Beitrag. Dank dieser Hilfe konnte in den letzten Jahren die Infrastruktur verbessert und das Bildungsangebot erweitert werden. Heute unterrichten 18 Lehrende rund 320 Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Fächern, darunter Mathematik, Sprache, Naturwissenschaften und Religion. Die Geschichte von Yuna steht stellvertretend für viele Kinder in Coroico. Sie zeigt, wie wichtig die Schule der Franziskanerinnen Misioneras de María Auxiliadora für die Region ist. Ohne sie wären viele Kinder ohne Perspektive. Die Autorin Sirlei Pozzatti gehört zum Orden der Hermanas Franciscanas Misioneras de María Auxiliadora und ist seit 22 Jahren Direktorin der franziskanischen Schule San Pedro in Coroico, Bolivien. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth Die Autorin Schwester Sirlei mit zwei ihrer Schüler TEXT ZUR MITTELSEITE Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation hat mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser. Besonders kritisch ist die Situation in Afrika, südlich der Sahara, wo 80 Prozent der Menschen verunreinigtem Wasser ausgesetzt sind. Im Dorf Bimphi bei Dowa in Malawi, wo dieses Foto entstanden ist, lebt jeder Dritte ohne sauberes Wasser, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keine angemessenen Sanitäranlagen. Um die Not der Menschen vor Ort etwas zu lindern, wurde ein Pumpbrunnen gebaut, damit alle Zugang zu reinem Wasser haben. 16 | 17

Foto: Augustinus Wehrmeier ofm

Der Fall Maria da Penha ist repräsentativ für die häusliche Gewalt, der Tausende von Frauen in ganz Brasilien ausgesetzt sind. Ganze 19 Jahre und sechs Monate dauerte der lange Weg dieser außergewöhnlichen Frau, die unermüdlich für Gerechtigkeit kämpfte. Ein Weg, der sie zu einem Symbol im Kampf für ein Leben ohne Gewalt machte. Und der in einem Gesetz zum Schutz brasilianischer Frauen mündete. Der Gewalt ein Ende setzen »Maria da Penha«-Gesetz zum Schutz brasilianischer Frauen Maria da Penha Maia Fernandes lernte den Kolumbianer Marco Antonio Heredia Viveros 1974 kennen, als sie an der Fakultät für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität zu São Paulo ihren Master machte. Zur gleichen Zeit absolvierte Marco Antonio an derselben Universität ein Aufbaustudium in Wirtschaftswissenschaften. In diesem Jahr wurden sie ein Paar, und Marco Antonio zeigte sich als freundlicher, höflicher und hilfsbereiter Mensch gegenüber allen in seinem Umfeld. 1976 heirateten sie. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter und dem Abschluss von Marias Masterstudium zog die Familie nach Fortaleza, in Nordostbrasilien, wo auch die zweite Tochter geboren wurde. In dieser Zeit nahm die Geschichte eine dramatische Wendung. Die Aggressionen Marco Antonios begannen, nachdem er die brasilianische Staatsbürgerschaft erhalten und sich beruflich etabliert hatte und seine finanzielle Lage stabil war. Er zeigte zunehmend intolerantes Verhalten, war leicht aufbrausend und reagierte explosiv – nicht nur gegenüber seiner Frau, sondern auch gegenüber seinen eigenen Töchtern. Maria da Penha hatte ständig Angst und litt unter den täglichen Anspannungen, da die Gewaltausbrüche ihres Mannes immer häufiger wurden. Inmitten dieser Gewaltspirale, die auch als »Flitterwochenphase« bezeichnet wird, brachte Maria ihre dritte Tochter zur Welt – in der Hoffnung auf eine echte Veränderung seitens ihres damaligen Mannes. In dieser dritten Phase einer gewalttätigen Beziehung zeigt sich ein Bedauern des Täters, er gibt vor, sich ändern zu wollen. Das Opfer wiederum setzt Hoffnung in diese Illusion, die sich am Ende aber als trügerisch erweist. So auch bei Maria da Penha. Zwei Mordversuche 1983 wurde Maria da Penha Maia Fernandes Opfer eines doppelten Mordanschlags durch ihren Ehemann Marco Antonio Heredia Viveros. Zunächst schoss er ihr im Schlaf in den Rücken. Die Folgen waren verheerend: Irreversible Verletzungen des dritten und vierten Brustwirbels, ein Riss der Dura mater (harte Hirnhaut) und die Zerstörung eines Drittels des linken Rückenmarks führten zur Querschnittslähmung. Hinzu kamen weitere körperliche Komplikationen und psychische Traumata, die Maria bis heute begleiten. Marco Antonio erklärte der Polizei zunächst, es habe sich um einen versuchten Raubüberfall gehandelt – eine Version, die später von der Gerichtsmedizin widerlegt wurde. Vier Monate später, nach zwei Operationen, langen Krankenhausaufenthalten und unzähligen Behandlungen, kehrte TEXT: Instituto Maria da Penha | FOTOS: Tânia Rego / Agência Brasil; José Cruz / Agência Brasil Bei einer Demonstration zum Internationalen Frauentag im letzten Jahr wurden 210 Kreuze auf den Stufen des Stadtrat-Gebäudes in Rio de Janeiro aufgeklebt, die die 2022 und 2023 ermordeten Frauen im Bundesstaat symbolisieren. Dazu gab es ein T-Shirt mit der Botschaft: »Er sagte, dass er mich liebte.« FÖRDERUNG DER GLEICHSTELLUNG DER GESCHLECHTER UND ERMÄCHTIGUNG DER FRAU

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