Maria nach Hause zurück. Doch dort erwartete sie ein neuer Albtraum: Ihr Ehemann sperrte sie 15 Tage lang ein und versuchte, ihr unter der Dusche einen Stromschlag zu verpassen. Dies war der zweite Mordanschlag. Als Maria schließlich die einzelnen Puzzleteile seines perfiden Plans zusammensetzte, erkannte sie die manipulativen Schachzüge ihres NochEhemannes: Er drängte darauf, die Ermittlungen wegen des angeblichen Überfalls nicht weiterzuführen, zwang sie, eine Vollmacht zu unterschreiben, die ihn ermächtigte, in ihrem Namen zu handeln, und erfand sogar eine tragische Geschichte über den vermeintlichen Verlust des gemeinsamen Autos. Zudem besaß er mehrere Kopien ihrer beglaubigten Dokumente. Schließlich ließ sich nicht länger verbergen, dass er eine Geliebte hatte. Marias Familie und Freunde erkannten die ernste Lage und standen ihr mit juristischem Beistand zur Seite. Sie ermöglichten ihr, das gemeinsame Haus zu verlassen, ohne dass dies familienrechtliche Nachteile für sie hatte. So bestand keine Gefahr, das Sorgerecht für ihre Töchter zu verlieren – eine mögliche Konsequenz des brasilianischen Familienrechts. Justizgewalt Doch die nächste Form von Gewalt, die Maria erleben musste, kam von der Justiz. Der erste Prozess gegen Marco Antonio fand erst 1991 statt – acht Jahre nach den Mordanschlägen. Zwar wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt, doch aufgrund von Berufungen seiner Verteidigung kam er wieder auf freien Fuß. Trotz ihres angeschlagenen Gesundheitszustands kämpfte Maria da Penha weiter für Gerechtigkeit. 1994 veröffentlichte sie das Buch »Sobrevivi ... posso contar« (»Ich habe es überlebt ... ich kann es erzählen«), in dem sie ihre Geschichte und den zermürbenden juristischen Kampf gegen Marco Antonio schildert. Angesichts des Mangels an rechtlichen Maßnahmen sowie an wirksamen Schutz- und Justizmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt wurde 2002 ein Konsortium feministischer Nichtregierungsorganisationen gegründet. Ziel war es, ein Gesetz zur Bekämpfung häuslicher und familiärer Gewalt gegen Frauen zu erarbeiten. Nach intensiven Debatten mit der Legislative, der Exekutive und der Zivilgesellschaft erreichte der Gesetzentwurf der Abgeordnetenkammer den föderalen Senat und wurde in beiden Kammern einstimmig angenommen. Am 7. August 2006 unterzeichnete der damalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das Gesetz Nr. 11.340 – besser bekannt als das Gesetz »Maria da Penha«. Da eine der Empfehlungen der »Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte« vorsah, Maria da Penha sowohl materiell als auch symbolisch zu entschädigen, erhielt sie eine Entschädigungszahlung vom Bundesstaat Ceará. Zudem benannte die Bundesregierung das Gesetz nach ihr – als Anerkennung ihres unermüdlichen Kampfes gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Ihr Beitrag zu diesem bedeutenden Fortschritt für die Rechte brasilianischer Frauen brachte ihr zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland ein, darunter einen nationalen Menschenrechtspreis 2013 sowie den »Deutsch-Französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit« 2016. Darüber hinaus erzählt Maria da Penha ihre Lebensgeschichte öffentlich und warnt vor häuslicher und familiärer Gewalt gegen Frauen. Durch Vorträge, Seminare sowie Interviews in Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendungen sensibilisiert sie die Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema. Zudem engagiert sie sich aktiv für die Verbreitung »ihres« Gesetzes und setzt sich dafür ein, Juristen, Politiker und die Gesellschaft für die korrekte Anwendung des Gesetzes zu sensibilisieren – einschließlich der Frage nach der Zugänglichkeit für Frauen mit Behinderungen. Seit der Verabschiedung des Gesetzes gab es zahlreiche Versuche, das Gesetz »Maria da Penha« zu schwächen. Doch dank Marias unermüdlichem Einsatz in Zusammenarbeit mit frauenrechtlichen Bewegungen und staatlichen Institutionen hat das Gesetz bis heute keinen Rückschlag erlitten, sondern es wurde in den letzten Jahren zugunsten der Frauen angepasst und erweitert. Das Instituto Maria da Penha wurde 2009 in Recife, im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco, gegründet. Als unabhängige Nichtregierungsorganisation setzt es sich für die vollständige Umsetzung des »Maria da Penha«-Gesetzes ein. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Anwendung und Weiterentwicklung bewährter Verfahren sowie öffentlicher Richtlinien zur Durchsetzung des Gesetzes zu überwachen. Darüber hinaus fördert das Institut den Aufbau einer Gesellschaft frei von häuslicher und familiärer Gewalt gegen Frauen. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Marcia Santos Sant’Ana Maria da Penha nahm im August 2024 am jährlichen Treffen des brasilianischen Justizrats teil, bei dem unter anderem über häusliche Gewalt und die Umsetzung des Gesetzes »Maria da Penha« diskutiert wurde. 20 | 21
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