Als aktive Christinnen und Christen kommt noch der Glaube als Sozialisationsfaktor hinzu, der uns in den meisten Fällen ebenfalls durch unser Umfeld nahegebracht wurde. Natürlich interpretieren wir aus unserer Sozialisierung heraus die biblischen Geschichten sehr unterschiedlich und streiten immer wieder darum, was Gott denn nun eigentlich mit der Aussage »Macht Euch die Erde untertan« (Gen 1,28) gemeint hat oder wie die Gleichnisse Jesu zu verstehen sind. Aus der Perspektive eines Christen, der franziskanisch sozialisiert wurde, sind die acht Millenniumsziele und die 17 Nachhaltigkeitsziele politische Zielvorgaben, die auch Prüfsteine und Maßstäbe für eine christliche Politik sind. Sie stimmen mit dem, was der Glaube an Jesus Christus auf Grundlage der biblischen Überlieferung uns vermittelt, überein, und sind Schritte auf einem Weg in eine noch ferne Zukunft, in der Not und Unterdrückung der Vergangenheit angehören. Die Millenniumsziele und die Nachhaltigkeitsziele der UNO sehen vor, globale Armut zu bekämpfen, den Hunger zu beenden, Bildung und Gesundheit zu fördern, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, Umweltzerstörung einzudämmen und globale Partnerschaften zu stärken. Hier zeigt sich, dass die Anliegen dieser Ziele an die christliche Ethik anknüpfen. Die Bibel – egal ob die hebräische Bibel oder das Neue Testament – fordert uns immer wieder auf, unsere Mitmenschen zu lieben und ihnen in Not beizustehen. Ausdrücklich wird dies im Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« (Matth. 22,39) deutlich. Die Arbeit an der Beseitigung von Armut, der Verbesserung der Gesundheitsversorgung und am Zugang zu Bildung für alle Menschen entspricht diesem Gebot, weil es Menschen Würde, Respekt und die Möglichkeit der Selbstbestimmung gibt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Verantwortung gegenüber der Schöpfung. Die Schöpfungserzählung in der Thora zeigt uns, dass die Erde und alles Leben Geschenke Gottes sind. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur, wie er in den Nachhaltigkeitszielen gefordert wird, entspricht dem christlichen und jüdischen Verständnis von Schöpfungsverantwortung. Indem man sich für nachhaltige Entwicklung überall auf der Welt einsetzt, schützt man nicht nur die Umwelt und ihre natürlichen Ressourcen, sondern sichert auch die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen. Ausdruck des Glaubens Indem wir uns für Frieden, Gerechtigkeit und globale Solidarität einsetzen, tun wir Gottes Willen. Franziskus hat uns das in seinem Umgang mit Ausgegrenzten immer wieder vorgelebt und die Bibel ruft uns immerfort zu Versöhnung und gerechtem Handeln auf – Gedanken, die in den Zielen der UNO wiederzufinden sind. Die Überwindung von Konflikten, der Abbau von Ungleichheiten und der Aufbau tragfähiger Partnerschaften sind nicht nur Themen der Franziskaner Mission in den unterschiedlichen Kontinenten, sondern sollten unser politisches Handeln lokal wie global bestimmen. Solidarität und Gerechtigkeit sind die Brücken zwischen Menschen verschiedener Kulturen, Lebensweisen und Nationen, die zum Frieden führen. In den Evangelien wird im Handeln Jesu immer wieder deutlich, dass besonders auf die Armen, Kranken und Ausgegrenzten geachtet werden soll. Die Millenniumsziele, die auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Ärmsten abzielen, rufen Christinnen und Christen dazu auf, aktiv an der Gestaltung einer solidarischeren Welt mitzuwirken. Dies bedeutet nicht nur, materielle Hilfe zu leisten, sondern auch Strukturen zu unterstützen, die langfristig soziale Gerechtigkeit und Teilhabe ermöglichen. Dies ist auch eine Frage der globalen Verantwortung. In einer zunehmend vernetzten Welt sind die Probleme – sei es Klimawandel, Armut oder Ungleichheiten – nicht mehr auf einzelne Länder beschränkt. Die gemeinsame Anstrengung, wie sie in den Nachhaltigkeitszielen zum Ausdruck kommt, erinnert daran, dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind. Für Christinnen und Christen, die durch ihren Glauben dem Gemeinwohl und dem Dienst am Nächsten verpflichtet sind, bedeutet dies, sich über nationale Grenzen hinaus dafür einzusetzen, dass alle Menschen gut leben können und die Ausbeutung des Südens durch die Lebensweise des Nordens ein Ende findet. Das ist Ausdruck des Glaubens an eine von Gottes Liebe durchdrungene Gemeinschaft aller Menschen. Die Vision der Millenniumsziele und der Nachhaltigkeitsziele der UNO richtet sich nicht nur an die Politik, die sie in ihrem politischen Handeln auf verschiedene Art in den Kommunen, Ländern, im Bund und in der Europäischen Union umsetzen soll. Sie ist auch ein Aufruf an uns Christinnen und Christen, uns unserer christlichen Weltanschauung zu erinnern und in ihrem Sinne in Familie, Freundeskreis und Umfeld aktiv zu werden. Der Autor Thomas M. Schimmel war fast 20 Jahre für den Franziskanerorden tätig und lehrt heute Politikwissenschaft an der Hochschule Meißen. 8 | 9
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