Franziskaner Mission 2 | 2025

Nach 40 Jahren Berufstätigkeit als Kinderärztin in Klinik, Praxis und Gesundheitsamt erlebte ich den Ruhestand und das Rentnerdasein eher als Schock und nicht als Urlaubsgefühl und grenzenlose Freiheit. Auf der Suche nach einer neuen Aufgabe führte mich das Schicksal zu der franziskanischen Ordensschwester Letitia Pallhuber in Bolivien, die mich nach einigem Schriftwechsel dazu einlud, sie zu besuchen. »Der Himmel spielt mit« Reisen in eine andere Welt Im Jahr 2004 machte ich mich dann auf in dieses so ganz andere Land, wo ich einer völlig neuen Realität gegenüberstand. Schon die Fahrt durch die Metropole Santa Cruz bot sich mir dar wie ein waghalsiges Abenteuer. »An beiden Seiten der breiten Einfahrtstraße reihte sich Zivilisation an Armut und Primitivität. Kinder verkauften Gekochtes aus Plastikboxen oder Nüsse zu Ketten aufgefädelt. Ein Junge hatte die Augen mit schwarzer Folie überklebt und schlängelte sich durch den wilden Verkehr. Hoffentlich hatte die Folie ein Loch, ansonsten wäre der Junge in höchster Lebensgefahr …«. Endgültiges Ziel der Reise war das Urwalddorf Ascensión, Zentrum der Provinz Guarayos, ungefähr 340 Kilometer nördlich von Santa Cruz. Hier lebten circa 40.000 Menschen indigener Herkunft in himmelschreiender Primitivität. Ihre Hütten hatten weder elektrischen Strom noch sauberes Trinkwasser. Erdlöcher oder behelfsmäßige Plumpsklos ersetzten die Kanalisation. Durch die undichten Palmdächer drang der Regen, durch die Ritzen der simplen Bretterwände pfiff der Wind. Wie oft mussten die Menschen hier die tropische Regenzeit ertragen und den kalten Südwind aushalten. Schwester Letitia hatte seinerzeit in dieser Einöde Schritt für Schritt ein Krankenhaus errichtet, um akute Erkrankungen, Unfälle, Schlangenbisse und Ähnliches medizinisch zu behandeln. Mütter brachten ihre Kinder bislang ohne professionellen Beistand zur Welt, irgendwo in ihren Unterkünften oder gar im Wald. Überleben war Glücksache, etwas anderes kannten die Menschen nicht. Und so erwies sich das Hospital der Franziskanerinnen als Segen, welches Hilfe und Heilung brachte dank des beherzten Einsatzes der ersten Krankenschwestern aus Österreich. Trotz des Vertrauens auf ihre Kultur nahmen die Menschen die Hilfe in der Klinik an. Aber ihre wirtschaftliche Not war deshalb noch lange nicht überwunden. Unwissenheit und Geldmangel führten immer wieder zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen, die möglicherweise hätten vermieden werden können. »Paola ist eine junge Mutter mit vier Kindern. Sie ist entsetzlich mager, sie spricht unartikuliert, zeigt unkoordinierte Bewegungen. Die Nahrungsaufnahme ist schwierig, das Schlucken auch. Ihre Kinder hüpfen munter um sie herum und singen ein fröhliches Lied …«. Das eine schließt das andere nicht aus. Nicht nur bei Paola wird das Fehlen eines tragfähigen Sozialsystems auf drastische Weise sichtbar. Auch die vielen Witwen, Behinderten, Arbeitslosen, chronisch Kranken bleiben sich in ihrer Hoffnungslosigkeit selbst überlassen – wären da nicht die im Dauereinsatz unermüdlich helfenden Ordensschwestern. Angesichts des Notstandes fühlte ich mich plötzlich gefordert, zumindest teilweise für Abhilfe zu sorgen. Mit meinen ersten Spendengeldern wurden intensivmedizinische Apparate angeschafft, um insbesondere in der Geburtshilfe und der Kinderklinik Schlimmes zu verhindern. Die regelmäßige Mitarbeit aber in der Kinderklinik offenbarte rasch ein weiteres schwerwiegenderes Problem. TEXT: Dr. Ute Glock | FOTOS: Franziskaner Mission Gelungene Vernetzung: v.r.n.l. Dr. Ute Glock, Yanira Leida Justiniano Ortiz HTSF, Pia Wohlgemuth von der Franziskaner Mission in Ascensión Besuch bei verschiedenen Dorffamilien (Bild Mitte und rechts) 22 | 23

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