Der Krieg in Syrien hat unbeschreibliches Leid verursacht: eine Million Todesopfer, sechs Millionen Flüchtlinge und massive Zerstörung im ganzen Land, darunter ganze Städte und Dörfer sowie ein einzigartiges und unwiederbringliches kulturelles und religiöses Erbe. Das Assad-Regime – sowohl der Vater als auch der Sohn – regierte das Land fast ein halbes Jahrhundert lang mit eiserner Hand. Zwischen Angst und Hoffnung Christliche Gemeinden in Syrien Am 8. Dezember fiel das Assad-Regime. Ein Gefühl von Vertrauen und Freiheit breitet sich nun im ganzen Land aus, nachdem es jahrelang Unterdrückung und Fremdbestimmung ausgesetzt war. Die Öffnung der berüchtigten Foltergefängnisse erlaubte der Welt einen kleinen Einblick in das immense Leid, das die syrische Bevölkerung über so viele Jahre hinweg ertragen mussten. Ein Syrer sagte angesichts dieser Bilder: »In Wirklichkeit waren wir alle jahrelang Gefangene in einem riesigen Gefängnis.« Die Kräfte, die innerhalb von nur elf Tagen die Macht im Land übernommen haben, bestehen aus verschiedenen syrischen Oppositionsgruppen, die jahrelang gegen Assad gekämpft hatten. Veränderte geopolitische Entwicklungen – wie die Zerschlagung der Assad-verbündeten Hisbollah im Libanon durch Israel – haben Assads Sturz ermöglicht. Zahlreiche Artikel und Interviews in den weltweiten Medien haben analysiert, was in Syrien geschehen ist. Ich möchte mich hier darauf konzentrieren, wie sich die Menschen fühlen und welche großen Fragen sich die Syrerinnen und Syrer angesichts dieser tiefgreifenden Veränderungen über ihre Zukunft stellen. Zukünftige Richtung Die wichtigste Frage ist, ob dieser Machtwechsel das Land zum Besseren führen wird. Mit anderen Worten: Wird die Übergangsregierung das Land in Richtung Demokratie, Freiheit, Wohlstand und Offenheit gegenüber der Welt sowie Achtung der Menschen- und Frauenrechte führen können? Diese Frage ist berechtigt, denn die derzeitigen Machthaber haben eine eher extremistische Vergangenheit, und viele ihrer engen Vertrauten waren einst als Dschihadisten bekannt. Das von den USA auf Ahmed al-Sharaa, der derzeitige syrische Präsident, im Jahr 2017 festgelegte Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen Dollar ist seit Dezember 2024 zwar ausgesetzt, aber nicht aufgehoben. Nicht nur der Präsident und sein enger Kreis, die Syrien erobert haben, geben Anlass zur Sorge. Auch die Art und Weise, wie die neue Macht ausgeübt wird – nämlich exklusiv und intolerant gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen. Fast eine Million Angestellte wurden entlassen, nur weil sie als Verbündete des früheren Regimes galten. Anfang März 2025 kam es an der syrischen Küste, in Latakia, Banias, Tartus und anderen Orten, zu einem massiven Gewaltausbruch gegen die Alewiten, eine religiöse Minderheit, TEXT: Firas Lutfi ofm | FOTOS: Associazione Pro Terra Sancta der auch die Herrscherfamilie Assad angehört hatte. Hunderte Alewiten wurden von islamistischen Kämpfern getötet. Dies alles zeigt, wie groß die konfessionellen und politischen Span- nungen noch immer sind. Dies erschwert den Aufbau einer Zukunft des friedlichen Zusammenlebens und der bürgerlichen Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gruppierungen. Christen in Syrien Unabhängig von der politischen Lage und den internen sowie externen Akteuren sind Christen ein integraler Bestandteil der syrischen Gesellschaft. Sie sind weder Fremde noch Gäste, sondern seit 2.000 Jahren in Syrien verwurzelt und aktiv. Dennoch verbergen die Christen – und nicht nur sie – ihre ernsten Sorgen nicht. Sie wollen nicht als Minderheit behandelt werden. Allein der Begriff »Minderheit« spiegelt eine 24
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