Franziskaner Mission 2 | 2025

2025 Türen öffnen Heiliges Jahr

FRANZISKANER MISSION erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Telefon 089-211 26 110 oder muenchen@franziskanermission.de. »Franziskaner Mission« erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth – Germania. HERAUSGEBER Franziskaner Mission REDAKTIONSLEITUNG Augustinus Diekmann ofm REDAKTION Dr. Cornelius Bohl ofm, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Heinrich Gockel ofm, Márcia Santos Sant'Ana, René Walke ofm, Pia Wohlgemuth GESTALTUNG sec GmbH, Osnabrück‚ DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn Impressum FRANZISKANER MISSION St.-Anna-Straße 19, 80538 München Telefon: 089-211 26 110 Fax: 089-211 26 109 muenchen@franziskanermission.de www.mission.franziskaner.de Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf folgendes Konto: LIGA BANK IBAN DE48 7509 0300 0002 2122 18 BIC GENODEF1M05 Ihre Spendengelder fließen in unsere Hilfsprojekte und nicht in die Produktionskosten dieser Zeitschrift. 2

Liebe Leserin, lieber Leser! Die Szene kommt mir immer wieder in den Sinn. Während meiner Studienzeit in Rom habe ich in einer internationalen Fraternität gelebt. Ein sehr sympathischer Mitbruder aus Kuba hatte die mir weniger sympathische Angewohnheit, ständig die Tür unseres Gemeinschaftsraums offen stehen zu lassen. »Mach doch endlich mal die Tür zu!«, rief ich ihm einmal leicht genervt nach. »Türen sind schließlich dazu da, dass man sie zumacht!« Da war mein deutscher Ordnungssinn mit mir durchgegangen. Ich sehe noch heute, wie er abrupt stehenblieb und mich einigermaßen entgeistert ansah: »Was? Türen sind da, dass man sie zumacht? Nein, Türen sind da, damit man sie aufmacht!« Manchmal bin ich tatsächlich heilfroh, wenn ich auch einmal die Tür hinter mir zumachen kann. Bei Durchzug, wenn alle Türen offen stehen, kann man sich leicht erkälten. In Konzentrationslagern wurden Menschen systematisch kaputt gemacht, indem man ihnen jede Privatsphäre nahm. Aber das andere ist ebenso schlimm: Jemand knallt mir die Tür vor der Nase zu. Ich werde ausgeschlossen. Oder habe mich selbst eingeschlossen. »Du bist ohnmächtig. Du hast keinen Schlüssel und deine Tür hat innen kein Schloss. Wenn nicht einer kommt und aufmacht, bleibst du gebunden und arm im Elend«, schreibt Alfred Delp 1944 mit gefesselten Händen im Gefängnis Berlin-Tegel. Offene Türen sind darum meistens Bilder der Hoffnung, angefangen von dem Fuß, den man in eine Tür bekommt, über einen »Tag der offenen Tür« bis hin zur Öffnung der Heiligen Pforte in einem Heiligen Jahr. »Porta patet et cor magis« steht über dem Eingang vieler Zisterzienserabteien: »Die Tür steht offen – und das Herz noch mehr.« Wie schön, wenn ein Mensch zum anderen ehrlich sagt: Meine Tür steht immer offen für dich! Auch Jesus öffnet Türen. Mit seiner Geburt öffnet sich das mit Schloss und Riegel verbarrikadierte Tor des Himmels, davon singen wir im Advent und an Weihnachten. »Ich bin die Tür«, sagt er von sich selbst (Joh 10,9). Er isst mit Sündern und holt Menschen, die religiös und gesellschaftlich ausgeschlossen werden, herein in die Gemeinschaft mit Gott. Wo er auf verschlossene Türen trifft, lädt er sich auch schon einmal selbst ein wie beim Zollner Zachäus oder tritt nach seiner Auferstehung durch verschlossene Türen in den Kreis der Jünger. Wir sind eingeladen, ihm die »Tür des Herzens« zu öffnen und ihn in unser Leben einzulassen: »Ich stehe vor der Tür und klopfe an!« (Offb 3,20). Der verstorbene Papst Franziskus hat das gewohnte Bild umgedreht: Jesus klopft nicht von außen, sondern von innen an die Tür der Kirche, damit wir ihn hinauslassen in die Welt … Christen sind Türöffner. Es wird nicht immer gelingen, jede Tür sperrangelweit aufzureißen. Manchmal genügt es schon, eine Tür wenigstens einen Spalt weit zu öffnen, damit etwas frische Luft hereinkommt oder ein bisschen Licht ins Dunkel fällt. Blättern sie einfach einmal in dieser neuen Nummer unserer Zeitschrift »Franziskaner Mission« wie im Prospekt eines spirituellen Schlüsseldienstes zum Heiligen Jahr. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung TITEL Das Titelbild zeigt den kroatischen Franziskanermissionar Miroslav Babić in Subukia, Kenia. Zu sehen sind Kinder mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, die am Toreingang der Einrichtung »Small Home« stehen. Ein Ort, in dem sie Integration und Inklusion erfahren dürfen. Das entspricht auch der christlichen Berufung, bedürftige Menschen immer im Blick zu haben und für sie da zu sein. Franziskanerinnen und Franziskaner in unseren Missionsgebieten öffnen Türen für Entrechtete und Ausgestoßene – nicht nur im Heiligen Jahr. 3

Inhalt 6 Pilger der Hoffnung Die Geschichte der Heiligen Jahre Dr. Stefan Federbusch ofm 8 Pilger und Gast auf Erden Frieden in die Welt tragen Dr. Niklaus Kuster ofmcap 10 Wie die Sonnenblume Hin zu Licht und Hoffnung Dr. Melanie Wolfers 12 Der lange Weg nach innen Eine spirituelle Reise von Pilgern im Heiligen Jahr Ivaldo Evangelista Mendonça ofm 14 Unsere Liebe Frau von Kibeho Neue Franziskanerkustodie in Burundi und Ruanda Daicolas Nsabimana ofm 16 (Un)heilige Pforten »Migranten – Missionare der Hoffnung« Frank Hartmann ofm 20 Freude und Hoffnung – trotz allem Franziskanische Förderschule in Santa Cruz, Bolivien Reinhold Brumberger ofm und Miguel Chuviru ofm 22 »Der Himmel spielt mit« Reisen in eine andere Welt Dr. Ute Glock 24 Zwischen Angst und Hoffnung Christliche Gemeinden in Syrien Firas Lutfi ofm 26 Gemeinschaft des Friedens Franziskanische Jugendbewegung in Westbrasilien Emanuelle Alves Teixeira 28 Spirituelle Kraft Lebenshilfe im Rehabilitationszentrum Monte Tabor Antonio Leandro da Silva ofm 30 Zwischen Misstrauen und Hoffnung Vietnamesische Franziskaner in Kambodscha Chi Thien Vu ofm 32 Lächeln öffnet Türen Zahnbehandlungen als Brücke zur Gemeinde Romualdo Araújo Valério 34 Kurznachrichten 35 Projekt 8 14 10 6

Personalia KLAUS FINKAM OFM Von Ende April bis Mitte Juni 2025 befand sich der Franziskaner und Brasilienmissionar Klaus Finkam auf Heimaturlaub in Deutschland. Während seines Aufenthalts besuchte er Familie, Freunde sowie Partnergruppen und Gemeinden, mit denen er in engem Austausch steht. Nach seiner Rückkehr nach Teresina in Nordostbrasilien nahm Bruder Klaus seine Aufgaben als Guardian des Franziskanerklosters São Raimundo Nonato wieder auf. Neben seiner klösterlichen Tätigkeit engagiert er sich dort weiterhin als Arzt – sowohl für seine Mitbrüder als auch für die lokale Bevölkerung. Zusätzlich bietet er Fastenkurse im Bereich der Alternativmedizin an, die großen Zuspruch finden. JOSEPH WAITHAKA OFM Am Afrika-Sonntag, am 18. Mai 2025, sprach Franziskaner Joseph Waithaka in allen Gottesdiensten in St. Franziskus Dortmund über ein bestimmtes Projekt: das »Small Home«, das »kleine Zuhause« für gesundheitlich beeinträchtigte Jugendliche in Subukia (Kenia). Zurzeit ist Joseph Waithaka Student der Theologie in Kattowitz (Polen). Er stammt gebürtig aus der Landgemeinde St. Francis of Assisi in Subukia und kennt das »Small Home« von frühester Jugend. Die Dortmunder Franziskus-Pfarrei unterstützt dieses Projekt, initiiert vom kroatischen Franziskaner Miroslav Babić, seit vielen Jahren. MARTIN SAPPL OFM Pater Martin Sappl ofm ist Pfarrer der Franziskanerpfarrei El Hospicio in Cochabamba, im Hochland Boliviens. Im Augenblich ist er auf Heimaturlaub im Kloster Sankt Anna in München. Der gebürtige Bad Tölzer nutzt die Zeit, um sich zu erholen, Freunde und Familie zu besuchen und Arztbesuche wahrzunehmen. Er ist schon wieder voller Tatendrang und freut sich auf seine Aufgaben in Bolivien. Seine große Pfarrei im Zentrum von Cochabamba hat viele engagierte Laien und ein lebendiges, vielfältiges Gemeindeleben. 24 30 26 28

Wir Menschen gestalten unsere Zeit-Räume. Auch innerkirchlich strukturieren Jubiläen die Zeit und geben ihr ein religiöses Gepräge. Ein kleiner Einblick in die historische Entwicklung der Heiligen Jahre. Pilger der Hoffnung Die Geschichte der Heiligen Jahre »Heiliges Jahr« – das klingt fromm und gottesfürchtig … und ein wenig einseitig, wenn es nur unter binnenkirchlicher Perspektive wahrgenommen wird. Spannender ist es, Kirchengeschichte unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Der kriminalistische Blick stellt beispielsweise fest, dass es selbst bei Päpsten Korruption und Vetternwirtschaft gegeben hat. Zwar war Borgia-Papst Alexander VI. der erste, der 1500 eine »Heilige Pforte« im Petersdom eröffnete, doch floss das Opfergeld aus den neben dem Portal aufgestellten Truhen zum Teil in die Taschen seines Sohnes Cesare. Clemens VII. verbot daher 25 Jahre später, überhaupt Opfergeld zu kassieren. Dem ökonomischen Blick wird nicht entgehen, dass große Jubiläen mit Hunderttausenden von Pilgern, später gar Millionen von Besuchern, immer auch ein Wirtschaftsfaktor sind. Der kritische theologische Blick wird bemerken, dass päpstliche Entscheidungen stets kirchenpolitische Implikationen haben. Heilige Jahre dienten neben der geistlichen Erneuerung durchaus als machtpolitische Repräsentanz der Kirche, der Abwehr protestantischen Einflusses, zur Stabilisierung insbesondere nach dem Trienter Konzil, der Unterdrückung modernistischer Strömungen und manchem mehr. Heilige Jahre waren im Laufe ihrer Geschichte eine Mischung aus Protz und Prunk, Jubel und Dank, Sühne und Buße. Heiliges Jahr 2025 Heilige Jahre waren Gelegenheiten zu besonderen Akzenten: Im Jahr 2000 legte Johannes Paul II. ein Schuldbekenntnis für die Kirche ab, im Jahr 1975 hob Paul VI. die Exkommunikation der byzantinischen Kirche auf, im Jahr 1950 verkündete Pius XII. das Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel. Es blieb jedoch nicht bei den regulären bislang 26 Heiligen Jahren. Zu besonderen Anlässen wurden außerordentliche Heilige Jahre ausgerufen, so im Jahr 2015 von Franziskus anlässlich des 50. Jahrestags des Endes des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es war in besonderer Weise der Barmherzigkeit gewidmet und zeichnete sich dadurch aus, dass weltweit »Pforten der Barmherzigkeit« in Kathedralkirchen, Heiligtümern, Krankenhäusern und Gefängnissen geöffnet wurden. Der Papst beauftragte »Missionare der Barmherzigkeit«, denen er die dem Heiligen Vater vorbehaltene Vollmacht zur Sündenvergebung anvertraute. 1983 hatte Johannes Paul II. ein Heiliges Jahr zu Ehren des 1.550 Jahrestags des Todes und der Auferstehung Jesu ausgerufen, Pius XI. feierte 1933 ein Heiliges Jahr zur Erinnerung an 1.900 Jahre seit dem Erlösungstod Jesu. 1854 verkündete Pius IX. das Dogma der Unbefleckten Empfängnis ebenfalls im Rahmen eines außerordentlichen Heiligen Jahres, von denen es insgesamt 86 gab. Sie wurden weltweit oder in den Ortskirchen gefeiert und dauerten manchmal nur wenige Tage. Wie oft zu feiern? Bereits die Einführung des ersten Heiligen Jahres durch Bonifaz VIII. im Jahr 1300 fiel nicht einfach vom Himmel. Die Pilgerreise nach Rom ersetzte die Buß- und Wallfahrtsidee der gescheiterten Kreuzzüge. In der Kirchengeschichte ist das Heilige Jahr also ein relativ neues Phänomen. Ursprünglich war es für alle 100 Jahre vorgesehen. Clemens VI. ordnete die Wiederkehr eines Heiligen Jahres nach jeweils 50 Jahren an. Das Heilige Jahr 1350 musste jedoch ohne TEXT: Dr. Stefan Federbusch ofm | FOTO: KNA / Osservatore Romano 6

Der Autor Stefan Federbusch ist Provinzialvikar der Deutschen Franziskanerprovinz in München. Er engagiert sich unter anderem für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Papst Franziskus öffnete die Heilige Pforte im Petersdom. ihn stattfinden, denn er saß im französischen Avignon im Exil fest. Urban VI. setzte die Zeitspanne im Jahre 1389 gar auf 33 Jahre herab in Anlehnung an die Lebensjahre Jesu. In rascher Folge wurden dann 1390, 1400, 1413 und 1423 Heilige Jahre gefeiert. Um 1400 herrschte eine ähnlich aufgeladene religiöse Spannung wie zur Jahrhundertwende zuvor. Aus Südfrankreich kamen rund 120.000 Büßer und religiöse Fanatiker. Nach der Farbe ihrer Kutte wurden sie »Bianchi – Zug der Weißen« genannt. Nikolaus V. erhöhte 1450 die Zahl der Pilger nach Rom deutlich durch die Heiligsprechung des großen franziskanischen Predigers Bernhardin von Siena. Paul II. setzte im Jahr 1470 unabänderlich fest, dass Heilige Jahre ab 1475 alle 25 Jahre zu begehen seien, damit jede Generation die Möglichkeit habe, ein solches zu erleben. Angesichts politischer Umstände konnten einige Heilige Jahre gar nicht oder nur mit Einschränkungen begangen werden. Von 1825 bis 1900 blieb die Heilige Pforte geschlossen. Auch ist es 2025 nicht das erste Mal, dass ein Heiliges Jahr von einem anderen Papst beendet wird, als es eröffnet wurde. Im Jahr 1700 verstarb Innozenz XII., sodass das Heilige Jahr von Clemens XI. weitergeführt wurde. Der Ritus der Eröffnung ist seit dem achten Heiligen Jahr 1500 derselbe: Der Papst öffnet die Heilige Pforte des Petersdoms mit einem dreifachen Hammerschlag und spricht einen Segen. Er ist dann der erste, der sie durchschreitet. Die Heilige Pforte wird am Ende des Jubiläumsjahres bis zum nächsten wieder verschlossen. Das Jubeljahr Das »Heilige Jahr« geht zumindest indirekt auf das biblische Erlassjahr zurück. Alle 50 Jahre sollte es einen Schuldenerlass und Besitzausgleich für alle Israeliten geben (vgl. Levitikus 25,8-55). Zur Eröffnung wurde das Schofar geblasen, ein Instrument hergestellt aus Widderhörnern. Diese werden im Hebräischen »jobel« genannt; daher die Bezeichnung »Jobeljahr« beziehungsweise »Jubeljahr« und unser Fremdwort »Jubiläum«. Die Redewendung »alle Jubeljahre« verweist auf die Seltenheit eines solchen Jubiläumsjahres. Während im alten Israel der Erlass der Schulden und die Freilassung der Sklaven im Mittelpunkt standen, ist es in der katholischen Kirche der Ablass, der Nachlass zeitlicher Sündenstrafen. Ein vollkommener Ablass wurde gewonnen, wenn die Pilger in Rom die Sakramente der Buße und der Eucharistie empfingen und die Heiligen Pforten der Patriarchalbasiliken Sankt Peter, Santa Maria Maggiore, Sankt Johannes im Lateran und Sankt Paul vor den Mauern durchschritten. Mit dem Ablassgedanken tun wir uns heute schwer und es ist auch theologisch umstritten, ob an ihm festgehalten werden sollte. Das »Heilige« verweist auf das Heil Gottes, auf seine Liebe, Güte und Barmherzigkeit, deren Erlangung heute anders gesehen wird als in früheren Zeiten. Was bleibt, ist die Erneuerung im Glauben. Ein Heiliges Jahr ermutigt, auch in schwierigen Zeiten, als »Pilger der Hoffnung« unterwegs zu sein. Bei unserem Provinzkapitel in Vierzehnheiligen in Oberfranken gab es in der Einstiegs- und Abschlussliturgie eine »Heilige Pforte« in Form eines TAUKreuzes, auf dem die Begriffe Hoffnung, Zuversicht und Zukunft standen. Ein sprechendes symbolisches Zeichen. Durch diese Segens-Pforte haben wir mehrmals täglich unseren Tagungssaal betreten und sind am Ende durch sie wieder in die Welt gesandt worden. Das mediale Interesse rund um eine Papstwahl zeigt, dass trotz aller Kritik immer noch eine Faszination von der Inszenierungsfähigkeit von katholischer Kirche ausgeht. Zudem boomt das Pilgerwesen. Menschen sind unterwegs, um zu sich selber zu finden … und manche auch auf der Suche nach Gott und der Erneuerung ihres Glaubens. Menschen feiern, um die Zeit zu strukturieren und ihr Leben zu gestalten. Alle drei Faktoren sprechen dafür, dass es auch in Zukunft Heilige Jahre geben wird. 7

»Der Weg ist das Ziel«, sagen Pilgernde heute oft und gern. Stimmt dieses Motto? Gewiss bereitet es Freude, unterwegs zu sein, wenn der Weg schön ist und die Weggemeinschaft trägt. Jeder Pilgertag fordert und erfüllt mit seiner Wegstrecke. Dennoch liegt das Ziel nicht einfach im Unterwegssein. Pilgerwege sind immer auf ein Ziel ausgerichtet. Pilger und Gast auf Erden Frieden in die Welt tragen Compostela, das »Sternenfeld« in Galizien, ist seit 1.200 Jahren Zielpunkt für ein Netz von Wegen, die aus ganz Europa an das vermeintliche Grab des Apostels Jakobus führen. Um dieses ferne Ziel zu erreichen, haben sich Generationen von Pilgernden für Monate aus Berufs- und Familienleben gelöst, Abenteuer und Gefahren auf sich genommen, unterwegs eine Schicksalsgemeinschaft geschlossen und Strapazen ausgehalten. Ohne das ersehnte Ziel hätte die Kraft unterwegs nachgelassen und der Mut zum Durchhalten gefehlt. Ein zielloser Weg würde als Ziel nie ausreichen – und tut es auch für jene »Vagabunden« nicht, die der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Baumann von Pilgernden unterscheidet: Menschen, die unterwegs sind, ohne zu wissen, wo sie landen werden, ankommen können und neu Fuß fassen im Leben. Auch für Entwurzelte, Flüchtlinge und Migrierende aller Art ist der Weg nicht das Ziel, sondern Schicksal und Zumutung, und vom ungewissen Ziel sprechen ihre Träume. Ein Weg nach innen Franz von Assisi kennt verschiedene Arten des Unterwegsseins. Als junger Kaufmann reist er mit seinem Vater nach Frankreich, um modische Stoffe zu kaufen. Die Geschäftsreisen weiten seine Horizonte. Fasziniert von der Kultur der Provence, lernt er die Sprache und Poesie der Troubadours lieben. Ziel solcher Reisen sind Geschäfte, und für die Mühen entschädigen Vergnügungen, die sich reiche Kaufleute leisten können – heutigen Luxustouristen vergleichbar. Religiös motiviert sind Wallfahrten, die den jungen Kaufmann von Assisi nach Rom führen. Allerdings garantiert keine Wallfahrt echte Gotteserfahrung, wie Franz später bekennt: Er hätte in all diesen Jahren gelebt, als ob es Gott nicht gäbe. Ritterträume lassen den Modefachmann mit 20 Jahren auf einen Kriegszug gegen die Nachbarschaft Perugia ziehen, der prompt zum Debakel wird. Ein ehrgeizig begonnener Weg stürzt in den Abgrund und endet im Kerker. Erst nach zwei Jahren wiederhergestellt, erweist sich ein zweites militärisches Unternehmen als Flucht vor sich selbst. TEXT UND FOTO: Dr. Niklaus Kuster ofmcap

Franz bricht seine zweite militärische Expedition schon nach einem Tag ab, kehrt in seine Alltagswelt zurück und macht sich auf einen inneren Suchweg. Dieser führt an drei Orte im Umfeld Assisis, die je einen Durchbruch ermöglichen: Im verlassenen Klösterchen San Masseo findet der junge Kaufmann eine stille Krypta, die ihn zu sich selbst führt. Im Aussätzigenhospiz San Lazzaro findet er zu einer Menschenliebe, die ihm »das Herz weckt«. In der desolaten Landkirche San Damiano erwartet ihn ein überraschend naher, menschlicher und armer Christus. Ein anderes Gottesbild Die Stadt Assisi baut dem göttlichen Weltenherrscher eine Kathedrale. Ihr Portal zeigt ihn statisch über der Schöpfung thronend. Das machtvolle Gottesbild passt in eine Stadt, die sich über das Landvolk erhebt und Arme ausgrenzt, deren Bürger in Immobilien investieren, sich möglichst gut aufstellen und um einflussreiche Positionen kämpfen. Die Wege führen auf engem Raum nach oben und streben nach Karriere. Franz entdeckt eine ganz andere Gegenwart Gottes: Menschlich umarmt ihn der arme Christus von San Damiano auf einer Ikone in einer zerfallenen Landkirche. Nicht im Stadtzentrum, sondern draußen vor den Toren, nicht thronend, sondern ein Gefährte mit Gefährtinnen! Gottes Sohn, der sich auf unsere Welt eingelassen hat: nicht ziellos, nicht einfach, um mit uns Menschen unterwegs zu sein, sondern um uns zur Leibesfülle zu führen. Das Ziel: Leben wie Jesus Dabei wird das göttliche Kind »am Weg geboren«, wie Franz im Weihnachtspsalm ergriffen dichtet. Nach Jahren als Zimmermann in Nazaret bricht Jesus auf, um Gottes neue Zuwendung zur Welt – »das Reich Gottes« – in vielen Begegnungen spürbar zu machen. Er richtet Bedrückte auf, befreit Zwanghafte, heilt Kranke und führt Aussätzige ins Leben zurück. Er deutet den Weg Gottes mit seinem Volk neu, setzt prophetische Zeichen und sendet seine Jünger aus, um »Frieden in die Häuser und Dörfer zu bringen«. Der Autor Niklaus Kuster ist Mitglied der Schweizer Kapuzinerprovinz, promovierter Theologe und Franziskusforscher. Er lehrt Spiritualität an der Universität Luzern sowie an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen in Münster, Chur und Madrid. Niklaus Kuster (zweiter v. r.) ist selbst oft zu Fuß unterwegs – hier pilgernd in der Negev-Wüste auf dem 1.000 Kilometer langen interreligiösen Pilgerweg durch Israel und Palästina. Begleitet wurde er von christlichen, jüdischen, islamischen und buddhistischen Gefährtinnen und Gefährten. Gehend und wandernd lässt sich das Lebensideal des umbrischen Heiligen besser nachempfinden. Drei leidenschaftliche Jahre unterwegs sprechen immer wieder von einem letzten Ziel: ein großes Fest Gottes, ein Feiern ohne Ende, eine Gemeinschaft in der neuen Welt, von der niemand ausgeschlossen sein soll. Als Jesus mit etwas über 30 Jahren von den Mächtigen aus dem Weg geschafft wird, erinnert er seine Freunde beim letzten Mahl an das verheißene Fest: Er trinke keinen Wein mehr, bis sie wieder vereint seien im Hause des Vaters. Franziskus denkt weltweit Ergriffen vom Weg des Gottessohnes mit uns Menschen steigt Franz aus, verlässt das familiäre Handelshaus mit seinen Immobilien, lässt das Gerangel um Positionen in der städtischen Gesellschaft hinter sich und wendet sich ab von Assisis städtischem Gottesbild. Nach Jahren der Sinnsuche erkennt der Kaufmann seine neue Aufgabe in der Sendung der Jünger Jesu: den Frieden in die Welt zu tragen, Konflikte zu entschärfen, soziale Trennungen zu überbrücken, Ausgegrenzte in die Gemeinschaft zurückzubringen und prophetische Zeichen zu setzen, die aufleuchten lassen, wie die Evangelien sich die Welt menschlich und gottverbunden vorstellen. Als Franz sieben Gefährten hat, teilt er sie in vier Gruppen auf. Je zwei Brüder ziehen nach Norden, Osten, Westen und Süden, damit sich der Auftrag des Auferstandenen erfülle und das Evangelium bis an die Grenzen der Erde verkündet werde. »Finisterre« liegt für Franz nicht nur an der spanischen Atlantikküste, sondern auch »jenseits der Meere«: im islamischen Afrika, in den Weiten Asiens und im Norden Schottlands – Fernziele, welche seine Brüder bereits vor dem Jahr 1250 erreichen. Interessanterweise übernimmt Klara von Assisi das Pilgermotiv von Franz in ihre eigene Regel: »Pilgerinnen und Gäste auf Erden« sind auch ihre sesshaften Schwestern: innerlich unterwegs in eine Heimat, die jenseits dieser Schöpfung liegt. 8 | 9

Die Sonnenblume wendet noch in der Nacht ihren Kopf in jene Richtung, wo die Sonne aufgeht. Die Kraft der Sonnenblume beeindruckt mich – und zwar so sehr, dass sie sogar titelgebend wurde für mein Buch: »Zuversicht. Die Kraft, die an das Morgen glaubt«. Denn ähnlich wie die Sonnenblume wendet sich die Hoffnung noch in der Nacht in jene Richtung, wo die Sonne aufgeht. Hoffen wir, dann wenden wir uns dem Licht einer wünschenswerten Zukunft zu. Und dieses Licht erhellt bereits heute die Gegenwart. Es treibt an, so zu leben, dass wir dem Erhofften einen Weg bahnen. Wie die Sonnenblume Hin zu Licht und Hoffnung Es ist bemerkenswert, dass die Bibel in der Hoffnung ein Kennzeichen und Unterschiedsmerkmal des christlichen Glaubens sieht. Was meint christliche Hoffnung? Und wie verändert sie den Umgang mit Krisen? Ein neuer Morgen Der christlichen Hoffnung wird oft unterstellt, dass sie wie ein Beruhigungsmittel eingesetzt wird, um Angst oder Kummer zu betäuben oder um die Hände in den Schoß zu legen. Und in der Tat: Sie kann auf diese Weise missbraucht werden, und die Geschichte hält genügend Beispiele dafür parat. Doch recht verstanden setzt die christliche Hoffnung den entgegengesetzten Impuls frei! Drei Hinweise dazu: TEXT: Dr. Melanie Wolfers | FOTO: Евгений Архипов / stock.adobe.com Als erstes zeigt ein Blick in die Bibel, dass die christliche Hoffnung kein billiges Trostpflaster auf die Wunden der Welt klebt. Vielmehr hat sie den Schmerz des Lebens und die Ohnmacht des Sterbens ungeschminkt vor Augen. Ja, selbst die letzten Worte Jesu sind ein markerschütternder Schrei zum Himmel, wenn er in der Dunkelheit seines Sterbens ruft: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Zugleich drückt die Bibel in verschiedenen Bildern die Hoffnung der Auferstehung, auf ein »Leben in Fülle«, »ein Leben in Gott«, aus. Wie diese Wirklichkeit aussieht, weiß niemand, und alle Bilder bleiben vage Versuche, diese Hoffnung auszudrücken. Doch dass unser endliches Leben mit seiner Schönheit und seinem Schrecken im Unendlichen geborgen ist – darin 10

Das Buch ist über die Website der Autorin zu bestellen: www.melaniewolfers.de Die Autorin Melanie Wolfers trat 2004 in den Orden der Salvatorianerinnen ein. Sie ist Philosophin, Theologin, Bestsellerautorin und betreibt den Podcast »Ganz schön mutig – dein Podcast für ein erfülltes Leben«. kommen die biblischen Bilder überein. Und darin findet der christliche Glaube seine Mitte. Eine solche Hoffnung wirkt wie ein Licht, das hilft, sich der ängstigenden Dunkelheit zu stellen, und das einen neuen Morgen verspricht. Drittens: Die Hoffnung auf Auferstehung bietet keinen Weg an, Not und Ausweglosigkeit, Leiden und Sterben theoretisch zu verstehen. Sie kann aber einen Weg eröffnen, diese zu bestehen – und das vor allem in solidarischer Sorge um diejenigen, die um ihr Leben betrogen werden und vom Leid am meisten betroffen sind. Denn aus christlicher Perspektive ist Solidarität der menschliche Ausdruck des Glaubens. Darauf macht Jesus mit seiner überraschenden Erzählung aufmerksam, worauf es am Lebensende ankommt: Es wir nicht gefragt, welche Glaubenssätze man im Kopf, sondern ob man für andere ein Herz hatte (vgl. Matthäus 25, 31-46). Es wird nicht gefragt, zu welcher Religion oder Kultur man gehört, sondern ob man sich als Mitglied der einen universalen Menschheitsfamilie verstanden und entsprechend gelebt hat. Die christliche Hoffnung geht mit der Weigerung einher, Leid und Unrecht als schicksalhaftes »So ist es eben und so war es immer« hinzunehmen. Sie wirkt wie ein Anti-Resignativum, das vor Bequemlichkeit oder falscher Gelassenheit bewahrt. Zur Hoffnung wenden Als Christin oder Ordensfrau werde ich manchmal gefragt, ob mir mein Glaube hilft, mit Krankheit und Sterben, mit Leid und Unrecht gelassener umzugehen. Im Hoffen auf Gott eröffnet sich ein Horizont, in dem auch Sinnlosigkeit und Tod ihren Platz finden. Ich muss schmerzhafte und absurde Erfahrungen nicht bis aufs letzte verstehen oder bewältigen. Und ich muss auch nicht alle Krisen meistern! Vielmehr dürfen Situationen und Erfahrungen fremd und schmerzhaft bleiben – dank der Hoffnung; »Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.« (Rainer Maria Rilke) Eine solcher Glaube hilft, durch Dunkles hindurchzugehen und auf einen neuen Morgen zu hoffen. Zuversicht und Hoffnung fallen uns nicht in den Schoß. Sie sind eine Haltung, die wir einnehmen und einüben können. Und dies fordert unsere besten Kräfte! Zugleich ist es auch ein Geschenk, wenn man in schweren Zeiten Tag für Tag Vertrauen und Zuversicht in sich vorfindet. Wenn man sich in der Ohnmacht »irgendwie« gehalten erfährt, und wenn sich nach einer langen Nacht ein heller Streifen am Horizont zeigt. Im Prozess der Zuversicht ist also unser Tun gefordert und unsere Bereitschaft, geschehen zu lassen. Eine aktive Einstellung dem Leben gegenüber und eine kontemplative, empfangsbereite Haltung. Darin liegt eine Grundregel für ein von Hoffnung und Zuversicht getragenes Leben: Dass ich alles tue, was in meiner Macht liegt, und offen bin für Rettendes. Dass ich wie die Sonnenblume noch im Dunklen aktiv den Kopf in jene Richtung wende, wo die Sonne aufgeht, und mich dem Geheimnis von Nacht und Tag überlasse. 11

Seit dem Eröffnungsgottesdienst des Jubiläums am 24. Dezember 2024, bei dem die Heilige Pforte im Petersdom feierlich geöffnet wurde, ist Rom der Ort der Ankunft und des Empfangs für die erwarteten Millionen von Gläubigen. Angeregt durch das Motto »Pilger der Hoffnung« durchschreiten sie die verschiedenen Türen der Jubiläumskirchen und nehmen so die Einladung von Papst Franziskus an und lassen die Kraft der Hoffnung ihre Gegenwart erfüllen. Der lange Weg nach innen Eine spirituelle Reise von Pilgern im Heiligen Jahr In der Antike bezeichnete der Begriff »peregrinus« nicht bloß den Reisenden, sondern jenen, der sich fernab seiner Heimat bewegte – ein Fremder in einem fremden Land. Diese Erfahrung des Fremdseins war keine Schwäche, sondern ein Moment der Wandlung. Im Heiligen Jahr 2025 bekommt sie eine neue Bedeutung. Millionen Gläubige aus aller Welt werden nach Rom pilgern, zum Beispiel aus Brasilien, den Philippinen, dem Kongo. Was treibt sie an, tausende Kilometer zu überwinden? Für viele steht die Sehnsucht nach einer tiefen, unmittelbaren Gotteserfahrung im Mittelpunkt. Pilgern heißt, den Glauben mit dem eigenen Körper zu leben – in einer Zeit, in der spirituelle Erfahrungen oft digital vermittelt werden. Wer den Weg der Heiligen beschreitet, durch die Heilige Pforte tritt oder Orte des Glaubens berührt, erlebt Spiritualität mit allen Sinnen. Gerade für Christen aus Ländern, in denen das Christentum zur Minderheitsreligion gehört, ist die Reise nach Rom mehr als ein Akt des Glaubens. Sie ist ein Bekenntnis zur Gemeinschaft der Weltkirche. Inmitten sozialer Spannungen oder politischer Instabilität vermittelt das Pilgern ein intensives Gefühl der Zugehörigkeit. Es stärkt die Identität und nährt die Hoffnung – besonders dort, wo Glaube kein selbstverständlicher Teil des Alltags ist. Für viele wird die Reise zu einem Aufbruch und zu einem leisen Zeichen des Wandels. Wegerfahrung Pilgern heißt nicht nur, weite Wege zu gehen, sondern auch, innere Hürden zu überwinden. Wer sich aus fernen Ländern auf den Weg nach Rom macht, überquert nicht nur Ozeane, Gebirge oder Wüsten. Oft sind es die unsichtbaren Grenzen in uns selbst, die schwerer wiegen als jede geographische Entfernung. Eine der größten Herausforderungen ist die Überwindung von Bequemlichkeit und Routine. Eine Pilgerreise bedeutet, die gewohnte Komfortzone zu verlassen: das Zuhause, die Sicherheit, das Vertraute. Besonders für Menschen aus Kulturen mit starker familiärer Bindung ist es ein tiefer Einschnitt, das gewohnte soziale Umfeld zu verlassen – selbst nur für eine begrenzte Zeit. Doch nicht nur äußere Sicherheiten werden hinter sich gelassen. Auch innere Überzeugungen geraten auf den Prüfstand. In Rom treffen Pilgerinnen und Pilger auf Glaubensgeschwister aus aller Welt – mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Frömmigkeitsstilen. Wer hier offen aufeinander zugeht, entdeckt: Einheit im Glauben lebt von Vielfalt. Der andere wird nicht mehr als Fremder wahrgenommen, sondern als Teil derselben spirituellen Familie. Was es dafür braucht, ist ein Perspektivwechsel, also weg von Abgrenzung, hin zu echter Gemeinschaft. Die größte Prüfung aber liegt oft tiefer. Es ist die Begegnung mit dem eigenen Ich. Wer sich auf eine echte Pilgerschaft einlässt, trifft unterwegs vor allem auf sich selbst, mit seinen Stärken, Zweifeln, Ängsten. Und wird eingeladen, etwas loszulassen: die Kontrolle, das Ego, den ständigen Blick auf das eigene Wohl. Denn der Weg fordert. Die Hitze, die Müdigkeit, das Warten, das Improvisieren mit dem Ungewohnten – all das ist nicht bloß Begleiterscheinung, sondern Teil eines inneren Wandlungsprozesses. Eine Art symbolischer »Tod des Ichs« – nicht als Verlust, sondern als Öffnung. Für das Du. Für die Gemeinschaft. Für das Göttliche. In den Worten Jesu: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12,24). Dieses Wort, das sein eigenes Pascha-Mysterium vorwegnimmt, deutet die tiefere Dimension der Pilgerschaft an: als einen geistlichen Weg der Entäußerung – hin zu einer Erneuerung, die Frucht bringt. TEXT UND FOTOS: Ivaldo Evangelista Mendonça ofm Der Autor Ivaldo Evangelista Mendonça ofm mit einer brasilianischen Pilgergruppe zum Heiligen Jahr 2025 auf dem Petersplatz in Rom 12

Ein Ziel vor Augen Am Anfang jeder Pilgerreise steht ein Entschluss: der Moment des Aufbruchs. Was der Jubiläumstext, die Verkündigungsbulle zum Heiligen Jahr 2025, beschreibt, hat biblische Wurzeln, wie bei Abraham, der seine Heimat verließ, ohne zu wissen, was ihn erwartet. Für viele Gläubige ist dieser erste Schritt mit großen Opfern verbunden: jahrelanges Sparen, mühselige Visa-Anträge, aufwendige Reisevorbereitungen. Doch der eigentliche Ausgangspunkt liegt tiefer – im Inneren des Menschen. Oft ist es eine Zeit der Unruhe oder der spirituellen Suche, in der die Entscheidung zur Pilgerschaft fällt. Manche befinden sich in einer Lebenskrise, andere sehnen sich nach Orientierung oder einem neuen Zugang zum Glauben. Die Motivation ist selten äußerlicher Natur – im Gegenteil: Wer pilgert, verzichtet bewusst auf Der Autor Ivaldo Evangelista Mendonça gehört zur Franziskanerprovinz »Unserer Lieben Frau von der Himmelfahrt« in Nordostbrasilien. Zurzeit absolviert er ein weiterführendes Studium in Rom. Übersetzung aus dem Portugiesischen: Márcia Santos Sant’Ana Gläubige kurz von ihrem Ziel in Rom: das Durchschreiten der Heiligen Pforte zum Jubiläumsjahr 2025 Komfort, auf klassische Erholung, auf Urlaubsfreuden. Der Weg nach Rom ist mehr als ein Reiseziel. Er ist ein Zeichen innerer Bewegung. Auch das Ziel ist weit mehr als die Heilige Pforte im Petersdom. Wer sich auf den Weg macht, sucht Transformation – und kehrt verwandelt zurück. Wie die Weisen aus dem Morgenland, die »auf einem anderen Weg« zurück in ihre Heimat gehen, bringt auch der Pilger nicht nur Andenken mit, sondern eine neue Sichtweise, einen gefestigten Glauben, eine gestärkte Hoffnung. Diese persönliche Wandlung bleibt selten privat. Viele Pilger wirken als Zeugen in ihren Familien, Gemeinden, Gemeinschaften. Sie bringen nicht nur Eindrücke mit, sondern eine lebendige Erfahrung des Glaubens. So entstehen Brücken: zwischen entfernten Orten und dem Zentrum der Kirche, zwischen Menschen und Gott. Kirche im Aufbruch Das Heilige Jahr 2025 steht unter dem Motto »Pilger der Hoffnung« und damit ganz im Sinne der Vision von Papst Franziskus: eine Kirche, die nicht stillsteht, sondern hinausgeht. Pilgern wird so zum Bild für eine Kirche, die sich auf den Weg macht, Grenzen überwindet und den Menschen nahe ist – vor allem den Leidenden. Für Gläubige aus Ländern, in denen das Christentum eine Minderheitsreligion ist, ist diese Botschaft besonders bedeutend. Oft gelten diese Regionen als Ziel missionarischer Aktivitäten. Doch beim Jubiläum ist es umgekehrt: Christen von den Rändern der Welt machen sich auf den Weg nach Rom – mit der Kraft ihres Glaubens, der Vielfalt ihrer Kulturen und dem Zeugnis ihres Alltags. So entsteht ein Geben und Nehmen: Nicht nur das Zentrum sendet aus, auch die Peripherie bereichert das Zentrum. Diese gegenseitige Bewegung ist Ausdruck einer synodalen Kirche – einer weltweiten Gemeinschaft, die gemeinsam unterwegs ist und sich in der Hoffnung stärkt. Der Beginn dieser Wallfahrt liegt in einem einfachen, aber mutigen Entschluss: dem Aufbruch. Es folgt die äußere Reise und schließlich das innere Ziel: die Verwandlung des Herzens. Denn das wahre Wunder des Jubiläums ist nicht der Weg nach Rom, sondern der Weg zu neuer Hoffnung. Wie es Jesus im Evangelium sagt: »Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgetan werden« (Mt 7,7). Der Pilger ist derjenige, der mit Demut bittet, mit Beharrlichkeit sucht und mit Vertrauen an die Türen der göttlichen Barmherzigkeit klopft. 13

Die neue autonome Kustodie der Franziskaner für Burundi und Ruanda wurde am 1. Juli 2024 in Ruandas Hauptstadt Kigali gegründet. Sie trägt den Namen »Unsere Liebe Frau von Kibeho«. Der Name basiert auf Marienerscheinungen, die in den 1980er Jahren drei Schülerinnen in Kibeho, im Südwesten Ruandas, erlebten und die 2001 offiziell von der Kirche als authentisch anerkannt wurden. Unsere Liebe Frau von Kibeho Neue Franziskanerkustodie in Burundi und Ruanda Bis zur Neugründung waren Burundi und Ruanda Teil der Ostafrikanischen Franziskanerprovinz, zu der heute die Länder Kenia, Malawi, Sambia, Tansania und Uganda gehören. Das Leitungsteam der neuen Kustodie bilden die Brüder Théoneste Twahirwa (Kustos), Herménégilde Birushe (Vikar), Innocent Harelimana, Nicodème Kibuzehose und Alexis Niyongabo. In der Kustodie leben 42 Brüder in acht Gemeinschaften, die acht Pfarreien – drei in Burundi und fünf in Ruanda – betreuen. 55 junge Franziskaner sind in verschiedenen Phasen der Ausbildung in Kenia, Sambia, Tansania und Uganda. Wir danken Gott für dieses Zeichen der Vitalität unserer franziskanischen Präsenz in dieser Region, besonders jetzt in der Zeit von Spannungen, Kriegen und Konflikten. Mit unseren pastoralen und sozialen Aufgaben möchten wir zum Frieden und zu einer sicheren Zukunft im Gebiet der Großen Seen, die hauptsächlich von Landwirtschaft geprägt ist, beitragen. Beide Länder haben eine junge Bevölkerung, die uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Leider ist die Grenze zwischen Burundi und Ruanda aufgrund ungelöster politischer Spannungen zurzeit geschlossen. In der Vergangenheit gab es gute soziale, kulturelle und politische Beziehungen, die seit etwa zehn Jahren nicht mehr bestehen. Der Hintergrund: Burundi beschuldigt den Nachbarn Ruanda, politisch verdächtige Rebellen zu beherbergen, die Burundi jederzeit angreifen könnten. Deswegen ist das Reisen zwischen beiden Ländern komplizierter geworden und nur auf Umwegen möglich. Trotz dieser Schwierigkeiten ist die Geburt unserer neuen Kustodie Anlass zur Hoffnung auf ein prophetisches Zeichen der Einheit, geleitet vom Charisma des heiligen Franziskus von Assisi. Im Folgenden werden einige Aktivitäten in der gegenwärtigen Situation vorgestellt. Leben unter Armen Die Pfarrei St. Clare in Nyarunyinya, Diözese Gikongoro in Ruanda, wurde im Juli 2017 von einem Diözesanpriester gegründet. Im August 2023 übergab Bischof Célestin Hakizimana uns Franziskanern die Pfarrei. Sie liegt in einer Bergregion und ist von sichtbarer Armut geprägt. Nach unserer Ankunft versuchten wir, unter den Menschen zu leben und ihr Schicksal zu teilen. Neben katholischen Gläubigen gibt es hier viele Christen anderer Konfessionen. Normalerweise besuchen wir jedes Haus und erleben dabei unmittelbar die Sorgen der Familien. Wir können zwar nicht alle Nöte beseitigen, aber wir versuchen, nach unseren Möglichkeiten zu helfen. So konnten wir mit Unterstützung kanadischer Franziskaner für acht äußerst arme Familien einfache Häuser – mit zwei Schlafzimmern und einem Wohnzimmer inklusiv Abstellraum – aus lokalen Materialien bauen. Geschlossene Häuser Auf Anordnung der Regierung Ruandas mussten in letzter Zeit circa 8.000 Kirchen und Moscheen geschlossen werden, da sie nicht den spezifischen baulichen Anforderungen für Gottesdiensträume entsprechen. Auch zwei Außenstationen unserer Pfarrei St. Franziskus von Assisi in Mbazi sind davon betroffen. Die Entscheidung der Regierung stellt Gläubige wie Seelsorger vor große Herausforderungen. Denn die pastoralen Aufgaben wurden ohne Gottesdienst- und Gemeinderäume äußerst schwierig. TEXT UND FOTOS: Daicolas Nsabimana ofm Neugewählte Leitung der im Jahr 2024 gegründeten Franziskanerkustodie »Unsere Liebe Frau von Kibeho« in Burundi und Ruanda

Viele Gemeindemitglieder leiden nun, da sie wegen größerer Entfernungen nicht mehr an gemeinsamen Gottesdiensten teilnehmen und den Kontakt zur Gemeinde pflegen können. Sie vermissen die regelmäßigen Gottesdienste und die Sakramente, die für ihr geistliches Leben wichtig sind. Trotzdem versuchen wir, unsere Christinnen und Christen in abgelegenen Dörfern in ihren Häusern zu besuchen – besonders die Kranken, um ihnen die Sakramente zu spenden. Umweltschutz Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung: Diese drei Anliegen und der Dienst an Ausgegrenzten standen am 22. März 2025 ganz oben auf der Tagesordnung, als sich zum ersten Mal die franziskanische Familie Ruandas im St. Francis-Reconciliation-Center in Kivumu traf. Franziskaner, Klarissen, franziskanische Laien (SFO) und neun Schwesterngemeinschaften verpflichteten sich zur Förderung franziskanischer Werte im Leben ihrer Gemeinschaften und Gemeinden. Ein gewähltes Gremium wird in Zukunft die gemeinsamen Bemühungen koordinieren und die Einheit aller franziskanischen Zweige fördern durch Initiativen, die die Werte des heiligen Franziskus von Assisi widerspiegeln. Regelmäßige Treffen der Oberinnen und Oberen, gemeinsame Schulungen, einschließlich der Ausbildung von Ausbildern, und ein kontinuierlicher Rundbrief sollen die Kommunikation und Zusammenarbeit stärken. Armutsbekämpfung In Burundi werden die Franziskaner von der Bevölkerung und der Regierung wegen der gelebten franziskanischen Werte sehr geschätzt. Die Brüder sind mit Bildungsveranstaltungen aktiv in der Pfarrarbeit, sie bieten eine Jugendpastoral sowie Aktionen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung an. Sie leben nah bei den Menschen und fördern Kleinprojekte zur Armutsbekämpfung. Dazu gehört es, zum Beispiel in der Landwirtschaft die Haltung kleiner Nutztiere zu fördern und weitere kleine Aktivitäten anzuregen. All dies hilft, die Lebensqualität zu verbessern. Eine Gruppe gesundheitlich Beeinträchtigter wird von den Franziskanern beim Weben und Sticken unterstützt; eine Gruppe Gehörloser, die unsere Gottesdiente besuchen, findet mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ein offenes Ohr bei uns. Als kürzlich ein Gefängnis niedergebrannt war, konnten die Franziskaner mit Lebensmitteln und Kleidung helfen. Auch einige Kranke, die ihre Krankenhausrechnungen nicht bezahlen konnten, fanden Hilfe. Schließlich wird auch die Gruppe Jugendlicher, die sich für den Umweltschutz einsetzt, unterstützt. Wir danken allen Wohltäterinnen und Wohltätern, die uns und den Menschen in Not helfen. Alle Unterstützung hilft uns, weiterhin in Burundi und Ruanda als Pilger der Hoffnung den uns anvertrauten Menschen Hoffnung und Mut machen zu können. Der Autor Daicolas Nsabimana ist Sekretär der neuen Kustodie der Franziskaner in Burundi und Ruanda. Außerdem koordiniert er den franziskanischen Dienst für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm RUANDA BURUNDI UGANDA D. R. KONGO TANSANIA Burundi Ruanda Einwohner 13,7 Mill 14,1 Mill Fläche 27.834 km² 26.338 km² Katholiken 62 % 53 % Protestanten 5 % 38 % Muslime 10 % 5 % Afrikanische Religionen 23 % 4 % In Magarama (Burundi) freuen sich die Bewohner, wenn der Franziskaner Herménégilde Birushe Haus und Umgebung segnet. 14 | 15

In Zeiten, in denen Populisten lautstark Stimmung gegen Migrierende machen, sie kriminalisieren und Vorurteile schüren, setzte Papst Franziskus im Heiligen Jahr ein Zeichen. Er nahm den diesjährigen 111. Welttag der Migranten und Geflüchteten in das Programm des Jubiläumsjahres auf. Unter dem Leitwort »Migranten – Missionare der Hoffnung« werden sie am 4. und 5. Oktober 2025, also rund um das Fest des heiligen Franziskus, im Mittelpunkt stehen. (Un)heilige Pforten »Migranten – Missionare der Hoffnung« Dabei bleibt offen, wie viele von den rund 45 Millionen Pilgerinnen und Pilgern, die im Laufe des Heiligen Jahres in Rom erwartet werden, selbst ihre Geschichte vom Loslassen, von lebensbedrohlichen Ereignissen auf dem Weg und vom Fremdsein in neuer Heimat erzählen könnten. Laut einer Umschreibung der Vereinten Nationen gilt als Migrant, wer länger als ein Jahr außerhalb seines Geburtsortes lebt. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand freiwillig oder erzwungen das Weite suchte, ob die Person im Heimatland blieb oder ins Ausland verschlagen wurde. Ein eingrenzendes und gleichzeitig ausgrenzendes »Wir« der sogenannten Einheimischen und das »Ihr« der Dazugekommenen ist daher pure Konstruktion. »Pilger und Fremdlinge auf dieser Erde« (1 Petr 2,11): Die Heilige Schrift nennt sie in einem Atemzug. Auch Franziskus begreift sich und seine Bruderschaft so (6. Kapitel seiner Bestätigten Regel). Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare nennt diese Menschen in ihrem Buch »Stranieri residenti«, »ansässige Fremde«. Mir gefällt die Formulierung. Sie ist nicht so stigmatisierend und negativ besetzt wie »Migrant«. Darin finde ich mich wieder. An meine bisherigen Lebensorte, dort, wo ich für begrenzte Zeit ansässig wurde, kam auch ich als Fremder an. Allerdings können eine Wallfahrt (von »wallen« = »unterwegs sein«) nach Rom und das Unterwegssein Migrierender kaum unterschiedlicher sein. Während wirtschaftlich gut situierte Pilgernde für kurze Zeit ihre Komfortzone verlassen, sich in den Zug oder das Flugzeug setzen, am Zielort im DreiSterne-Hotel einchecken, ist Migration eine Wallfahrt der ganz anderen Art. »Migrieren« ist kein Abenteuerurlaub, nach dem ich einige Wochen später wieder zuhause in meinem Lieblingssessel sitze. Haus und Habe sind verkauft, Schulden wurden aufgenommen, um die meistens erzwungene »Reise« (das klingt so harmlos) zu finanzieren. Migrierende haben ihre oft schlimmen Geschichten im Gepäck, sind manchmal Jahre als Entwurzelte unterwegs und gehen einer äußerst unsicheren Zukunft entgegen. Event in Rom Das Jubiläumsjahr ist für viele vermutlich ein Event, bei dem man gerne dabei gewesen sein möchte. Für andere mag die Reise in die Ewige Stadt eine Glaubenserfahrung sein – verbunden mit dem Ziel, einen Ablass, den Erlass der zeitlichen Sündenstrafen, zu erlangen. Das ist eine Art Zinsentilgung auf dem Schuldkonto. Von Martin Luther heftig kritisiert, runzelt auch manch katholischer Zeitgenosse bei diesem theologischen Gedankengang die Stirn. Die Gewinnung des Ablasses ist an mehrere Voraussetzungen geknüpft. Dazu gehört der Empfang des Sakramentes der Versöhnung, die Teilnahme an einer Eucharistiefeier und das Sprechen des Glaubensbekenntnisses. TEXT: Frank Hartmann ofm | FOTOS: davidpeinado /stock.adobe.com; Vatican Media/Romano Siciliani / KNA Durch die Grenzbefestigung zwischen Mexiko und den USA hindurch reichen Menschen sich die Hände. 16

Wesentlich ist das Durchschreiten der Heiligen Pforte im Petersdom oder weiterer Basiliken in Rom oder den in allen Diözesen dieser Welt eingerichteten »Heiligen Pforten.« Schon im Jahr 1400 heißt es dazu in einem offenen Brief aus Rom: »Wer dreimal durch diese Pforte schreitet, dem werden die Schuld und Sündenstrafen nachgelassen. Es ist ein Wunder, das die Menschen erleben … Wenn du also in das Paradies gelangen willst, dann gelingt das.« Die erwähnte Pforte ist die der Lateranbasilika, der damaligen Residenz der Päpste. Das Paradies: Ein Schritt genügt und ich bin drin. So einfach ist das. Bisher ist nicht bekannt, dass jemand abgewiesen wurde. Ganz anders gestalten sich die »Heiligen Pforten« für unzählige Frauen und Männer, Familien, allein reisende Minderjährige etwa aus dem Sudan, dem Kongo, der Ukraine, Venezuela oder Haiti. Es sind eher »Unheilige Pforten«. Es sind die Grenzen der Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union. Anders als in Rom ist das Durchschreiten dieser Pforten wesentlich schwieriger bis vollkommen unmöglich. Denn immer häufiger werden Grenzen vieler Zielländer von Politiktreibenden und Meinungsmachern wie »Heilige Pforten« behandelt. Im Gegensatz zum offenen Portal in Rom sollen diese aber möglichst geschlossen und gut bewacht sein. Hohe Metallzäune, Stacheldraht, Kameras und Grenzpatrouillen verhindern das Durchschreiten vieler Schutzsuchender. Auswandern ist ein Menschenrecht, Einwandern scheinbar nicht. Die dahinterliegenden »Paradiese« sind nicht der große Traum der Ausgewanderten. So naiv macht sich kaum jemand auf den Weg. In Deutschland, Italien, in den USA und anderswo hoffen Menschen auf Anerkennung ihrer Rechte, auf ein menschenwürdiges Leben in Freiheit und Sicherheit. Kreuzwege »Diese ganzen Strapazen nehmen wir aus Liebe zu unseren Kindern auf uns«, sagt Miguel. Mit seiner Frau Giselle und ihren beiden Töchtern Elisa und Yoana, drei und fünf Jahre alt, waren sie bei uns zu Gast in der »Casa del migrante«. Dies ist eine Unterkunft des »Franziskanischen Netzwerks mit Migranten« in Guatemala. Was er »Strapazen« nennt, das sind lebensgefährliche Wegstrecken im LKW-Container, auf Güterwaggons. Das sind tagelange Fußmärsche. Bei Temperaturen um die 40 Grad Celsius hat seine Familie den DariénDschungel durchquert und war dabei ständig der Gefahr ausgesetzt, überfallen, erpresst, schlimmstenfalls sexuell missbraucht und getötet zu werden. Wer diese »Strapazen« überwunden hat, dem sind doch hoffentlich für den Rest seines Lebens sämtliche »Sündenstrafen« getilgt. Kurze Rückblende. Weihnachten 2024 haben Millionen auf dem Bildschirm die Eröffnung des Jubiläumsjahres mit der Öffnung der Heiligen Pforte verfolgt. Papst Franziskus ließ sich im Rollstuhl dicht an die Pforte fahren. Er klopfte an diese und wie von Geisterhand bewegt öffnete sie sich nach innen. Nachdem er mit seinem liturgischen Gefolge in den Petersdom eingezogen ist, folgte eine bewegende Szene: Eine Gruppe von rund 50 Frauen und Männern aus allen Kontinenten ging durch die Heilige Pforte. Stellvertretend für die Weltkirche, stellvertretend für jede Migrantin und jeden Migranten waren auch sie »drin«. Ihnen wurde nicht großzügig von anderen »ansässigen Fremden« wie etwa Papst Franziskus, der aus Argentinien stammte, Gastfreundschaft gewährt. Sondern sie gehören als Schwestern und Brüder selbstverständlich dazu. Zwei Tage darauf öffnete Papst Franziskus eine weitere Heilige Pforte, diesmal in einer Justizvollzugsanstalt in Rom. Was für ein starkes Zeichen! Gleich- zeitig höre ich Menschen mit Migrationsgeschichte rufen: Lasst uns heraus aus dem Gefängnis eurer Vorurteile! Hört auf, uns als »Illegale und Kriminelle« zu ver- unglimpfen! Wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt. Wir wollen unseren Familien und uns selbst menschenwürdiges Leben ermöglichen. Wir sind bereit, Arbeiten zu übernehmen, die bei euch keiner macht. Wir bereichern euch mit unserer Kultur, auch mit unserer Art zu glauben. Gegenwart des Glaubens »Migranten – Missionare der Hoffnung«. Einer, der dies unterstreicht, ist Bischof Mark Seitz. Er lebt in El Paso, Texas/USA, direkt an der Grenze zu Mexiko. Trotz aller Schwierigkeiten und Risiken, die unsere Brüder und Schwestern Migranten auf sich nehmen, so der engagierte Seelsorger in einer Videokonferenz, habe er noch nie Menschen mit mehr Hoffnung gesehen als diese. Von ihnen könne man lernen, unterwegs zu sein wie Pilger und offen für Neues. Er sei überzeugt: Wer mit Migranten zu tun habe, gehe gestärkt daraus hervor, in der Hoffnung und im Glauben. Der habe mehr empfangen als gegeben. Denn sie tragen den Reichtum ihres Glaubens mit sich. Für den Bischof sind sie die »Gegenwart des Glaubens«. Der Autor Frank Hartmann gehört der Deutschen Franziskanerprovinz an und lebt seit 2022 in Guatemala. Er ist Mitarbeiter in der Migrantenherberge »San Hermano Pedro« in Mezquital und stellvertretender Leiter der Kommission Seelsorge an Migrierenden der Ordensleutekonferenz. Quelle: www.dbk.de/themen/heiliges-jahr-2025/glossar Papst Franziskus öffnete die Heilige Pforte in der Kapelle im Gefängnis Rebibbia am 26. Dezember 2024 in Rom, Italien. 17

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=