Seit dem Eröffnungsgottesdienst des Jubiläums am 24. Dezember 2024, bei dem die Heilige Pforte im Petersdom feierlich geöffnet wurde, ist Rom der Ort der Ankunft und des Empfangs für die erwarteten Millionen von Gläubigen. Angeregt durch das Motto »Pilger der Hoffnung« durchschreiten sie die verschiedenen Türen der Jubiläumskirchen und nehmen so die Einladung von Papst Franziskus an und lassen die Kraft der Hoffnung ihre Gegenwart erfüllen. Der lange Weg nach innen Eine spirituelle Reise von Pilgern im Heiligen Jahr In der Antike bezeichnete der Begriff »peregrinus« nicht bloß den Reisenden, sondern jenen, der sich fernab seiner Heimat bewegte – ein Fremder in einem fremden Land. Diese Erfahrung des Fremdseins war keine Schwäche, sondern ein Moment der Wandlung. Im Heiligen Jahr 2025 bekommt sie eine neue Bedeutung. Millionen Gläubige aus aller Welt werden nach Rom pilgern, zum Beispiel aus Brasilien, den Philippinen, dem Kongo. Was treibt sie an, tausende Kilometer zu überwinden? Für viele steht die Sehnsucht nach einer tiefen, unmittelbaren Gotteserfahrung im Mittelpunkt. Pilgern heißt, den Glauben mit dem eigenen Körper zu leben – in einer Zeit, in der spirituelle Erfahrungen oft digital vermittelt werden. Wer den Weg der Heiligen beschreitet, durch die Heilige Pforte tritt oder Orte des Glaubens berührt, erlebt Spiritualität mit allen Sinnen. Gerade für Christen aus Ländern, in denen das Christentum zur Minderheitsreligion gehört, ist die Reise nach Rom mehr als ein Akt des Glaubens. Sie ist ein Bekenntnis zur Gemeinschaft der Weltkirche. Inmitten sozialer Spannungen oder politischer Instabilität vermittelt das Pilgern ein intensives Gefühl der Zugehörigkeit. Es stärkt die Identität und nährt die Hoffnung – besonders dort, wo Glaube kein selbstverständlicher Teil des Alltags ist. Für viele wird die Reise zu einem Aufbruch und zu einem leisen Zeichen des Wandels. Wegerfahrung Pilgern heißt nicht nur, weite Wege zu gehen, sondern auch, innere Hürden zu überwinden. Wer sich aus fernen Ländern auf den Weg nach Rom macht, überquert nicht nur Ozeane, Gebirge oder Wüsten. Oft sind es die unsichtbaren Grenzen in uns selbst, die schwerer wiegen als jede geographische Entfernung. Eine der größten Herausforderungen ist die Überwindung von Bequemlichkeit und Routine. Eine Pilgerreise bedeutet, die gewohnte Komfortzone zu verlassen: das Zuhause, die Sicherheit, das Vertraute. Besonders für Menschen aus Kulturen mit starker familiärer Bindung ist es ein tiefer Einschnitt, das gewohnte soziale Umfeld zu verlassen – selbst nur für eine begrenzte Zeit. Doch nicht nur äußere Sicherheiten werden hinter sich gelassen. Auch innere Überzeugungen geraten auf den Prüfstand. In Rom treffen Pilgerinnen und Pilger auf Glaubensgeschwister aus aller Welt – mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Frömmigkeitsstilen. Wer hier offen aufeinander zugeht, entdeckt: Einheit im Glauben lebt von Vielfalt. Der andere wird nicht mehr als Fremder wahrgenommen, sondern als Teil derselben spirituellen Familie. Was es dafür braucht, ist ein Perspektivwechsel, also weg von Abgrenzung, hin zu echter Gemeinschaft. Die größte Prüfung aber liegt oft tiefer. Es ist die Begegnung mit dem eigenen Ich. Wer sich auf eine echte Pilgerschaft einlässt, trifft unterwegs vor allem auf sich selbst, mit seinen Stärken, Zweifeln, Ängsten. Und wird eingeladen, etwas loszulassen: die Kontrolle, das Ego, den ständigen Blick auf das eigene Wohl. Denn der Weg fordert. Die Hitze, die Müdigkeit, das Warten, das Improvisieren mit dem Ungewohnten – all das ist nicht bloß Begleiterscheinung, sondern Teil eines inneren Wandlungsprozesses. Eine Art symbolischer »Tod des Ichs« – nicht als Verlust, sondern als Öffnung. Für das Du. Für die Gemeinschaft. Für das Göttliche. In den Worten Jesu: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12,24). Dieses Wort, das sein eigenes Pascha-Mysterium vorwegnimmt, deutet die tiefere Dimension der Pilgerschaft an: als einen geistlichen Weg der Entäußerung – hin zu einer Erneuerung, die Frucht bringt. TEXT UND FOTOS: Ivaldo Evangelista Mendonça ofm Der Autor Ivaldo Evangelista Mendonça ofm mit einer brasilianischen Pilgergruppe zum Heiligen Jahr 2025 auf dem Petersplatz in Rom 12
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