Franziskaner Mission 3 | 2025

Nacktsein in der Schöpfung In der zweiten Schöpfungserzählung (Gen 2,4-25) möchte Gott für den Menschen eine ebenbürtige Hilfe erschaffen. Nachdem die Tiere diese Hilfe nicht sein können, baut Gott aus der Rippe des Menschen eine Frau und führt sie dem Menschen zu, der sie als Hilfe erkennt und annimmt. Zu diesem Zeitpunkt sind der Mensch und seine Frau nackt (Gen 2,25) – sie heißen noch nicht Adam und Eva. Es ist vermutlich so, dass »nackt« (‘ārôm) an dieser Stelle auch »unbekleidet« bedeutet. Dies spielt aber nur eine untergeordnete Rolle, da es nicht die Intention des biblischen Textes ist, hier Assoziationen an unbekleidete Menschen und schon gar nicht an deren geschlechtliche Unschuld zu wecken. Denn es geht hier nicht um die Kulturgeschichte des Menschen, sondern vielmehr um Aussagen über sein Wesen. Es ist bemerkenswert, dass im biblischen Text noch hinzugefügt wird, dass sich beide trotz ihrer Nacktheit nicht voreinander schämen. Der Grund für diese Information zeigt sich in der nachfolgenden Erzählung (Gen 3), die in der Tradition häufig als Erzählung vom Sündenfall bezeichnet wird und die Erbsündenlehre stark beeinflusst hat. Es kommt, wie es kommen muss: Der Mensch und seine Frau verstoßen gegen das (bis dahin einzige) Gebot beziehungsweise Verbot Gottes: »Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn am Tag, da du davon isst, wirst du sterben.« (Gen 2,16-17) Eine Schlange macht die Frau aber auf die köstlichen Früchte aufmerksam. Sie lässt sich von der Schlange überzeugen und isst trotz des Verbots eine Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Danach gibt sie ihrem Mann davon, und auch er isst. Im gleichen Augenblick gehen den beiden die Augen auf und sie erkennen, dass sie nackt sind. Plötzlich scheint es sie zu stören und sie schämen sich, ansonsten würden sie sich wahrscheinlich keine Feigenblätter zu einem Schurz aneinanderheften. Der Autor Johannes Roth, Doktor der Theologie und Diplom-Pädagoge, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Exegese des Alten Testaments an der PhilosophischTheologischen Hochschule Sankt Georgen, Seelsorger und Vize-Kommissar des Heiligen Landes der Deutschen Franziskanerprovinz. Er lebt im Konvent in Düsseldorf. Und dann kommt auch Gott wieder zurück auf die Bühne: Sie hören ihn, wie er im Garten umherläuft. Er ruft nach dem Menschen und fragt ihn, wo er sei. Der Mensch antwortet, dass er sich aus Furcht versteckt habe, weil er nackt sei. Darauf fragt Gott ihn, woher er denn wisse, dass er nackt sei, und verbindet es sofort mit der Frage, ob er das Gebot übertreten habe. Gott zeigt sich in dieser Erzählung als fürsorglicher Gott trotz des Verstoßes des Menschen und seiner Frau gegen das Gebot. Denn er fragt nach dem Menschen und sucht ihn, und am Ende der Erzählung macht er sogar Gewänder aus Fell für sie, damit sie nicht mehr nackt sind. Trotzdem wird er sie dafür auch bestrafen. Unterschiede im Nacktsein Der Inhalt der beiden Erzählungen in Gen 2 und 3 lässt schon erkennen, dass es Unterschiede zwischen dem Nacktsein am Ende von Gen 2 und dem in der Erzählung mit der Schlange in Gen 3 gibt – und zwar nicht nur, weil zwei verschiedene hebräische Wörter verwendet werden: in Gen 2,25 ‘ārôm und in Gen 3,7 ‘êrom. Hinzukommt auf der inhaltlichen Ebene der Aspekt der Scham und die gewonnene Erkenntnis von Gut und Böse durch das Essen der Frucht. Beides hängt auch miteinander zusammen. Durch den Verstoß gegen das Gebot Gottes haben der Mensch und seine Frau eine Distanz zwischen sich und Gott geschaffen. Dies erklärt auch die Frage Gottes an den Menschen. Gott hat mit seinem Gebot dem menschlichen Streben nach Lebensfülle und Erkenntnis von Gut und Böse eine Grenze gesetzt. Den Menschen ist von Gott bereits vieles gegönnt, aber sie sehen nur das Wenige, das ihnen nicht gegönnt ist. Sie wollen alles. Gerade die Erkenntnis von Gut und Böse definiert im Alten Testament den Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen. Der Mensch und seine Frau verlieren hier also ihre kindliche Unschuld, Schamlosigkeit und Naivität. Sie sehen sich nun selbst, wie sie sind, nämlich nackt und entblößt. Dieses Gefühl der Scham lässt sich nicht so einfach vor Gott verdecken, auch nicht mit einem Schurz aus Feigenblättern. Dann schon eher mit den Gewändern, die sie von Gott erhalten. Der Mensch fühlt sich von Gott ertappt und beantwortet die Frage von Gott im Grunde nicht, denn er nennt nicht seinen Aufenthaltsort, sondern das Motiv für seine Tat. Der Mensch und die Frau schämen sich und wollen ihren eigenen Anteil an der Realität nicht zugeben, stattdessen schieben sie ihn immer weiter: der Mensch an die Frau und die Frau an die Schlange. Jeder Mensch ist aber für sein eigenes Tun vor Gott verantwortlich. Es ist nun etwas anders geworden zwischen den Menschen und Gott: Die Furcht ist zwischen sie getreten. Aber nicht nur das – denn statt weise zu werden (‘ārum) und zu erkennen, fühlen sie sich nackt (‘êrom) und entblößt. Der Text spielt mit diesen beiden Bedeutungen, und das Wortspiel in der hebräischen Sprache geht in unserer Übersetzung leider verloren. Die Menschen wollten wie Gott dastehen, können aber nun noch nicht einmal zu sich selbst und ihrem Verhalten stehen, sondern verweisen auf andere und zeigen mit dem Finger auf sie. Damit stellen sie nicht nur die anderen bloß, sondern auch sich selbst. Es lässt sich als Fazit festhalten: Werden in Gen 2 die gelungenen Beziehungen beschrieben, sind es in Gen 3 die gestörten, sowohl zwischen Gott und den Menschen als auch zwischen den Menschen untereinander. Beides gehört zu unserer Realität und unserem Mensch-Sein wie zwei Seiten einer Medaille und sollte deshalb auch zusammen gelesen werden. 7

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