War es nur eine Ironie des Schicksals oder, etwas frommer gesagt, ein witziger Einfall Gottes? Ausgerechnet der Sohn eines international vernetzten Tuchhändlers, der mit schönen Stoffen und teurer Mode Unmengen Geld verdient, stirbt nackt auf der bloßen Erde. Hat der arme Kerl denn nichts anzuziehen? O doch! Franz von Assisi und die Kleider Von einem, der sich auszog, um das Christsein zu lernen Als Jugendlicher konnte sein Outfit nicht extravagant genug sein, »in seiner Sucht, aufzufallen, war er so eitel, dass er einmal am gleichen Kleid einen überaus teuren Stoff mit einem ganz wertlosen zusammennähen ließ« (Gef 2). Aber er zieht sich scheinbar gerne aus und um. Auf den modischen Fummel des Heranwachsenden folgt der militärische Kampfanzug, an dem er aber nach einem Jahr Kriegsgefangenschaft in einem dunklen Loch in der Nachbarstadt Perugia schnell die Freude verliert. Dann was ganz anderes: Warum nicht einmal ausprobieren, wie sich das Leben anfühlt in den Lumpen eines Obdachlosen? Daheim, wo ihn jeder kennt, ist ihm das anfangs dann doch leicht peinlich, darum übt er diesen Kostümwechsel zunächst während einer Wallfahrt im fernen Rom (Gef 10). Aber es scheint ihm zu gefallen, denn, so sein erster Biograf, »oft zog er seine Kleider aus und tauschte sie mit den Armen« (2C 8). Kleider sind wichtig für ihn, aber sein Herz hängt nicht daran, es schlägt für Menschen: Wenn ihn auf der Straße ein Armer anbettelt und er gerade kein Geld bei sich trägt, überlässt er ihm schon mal »den Hut oder den Ledergürtel« oder auch das Hemd (Gef 8), und einem »armen, halbnackten Ritter« schenkt er die »eigenen, fein angefertigten Gewänder« (2C 5). Noch ist das alles ein bisschen wie ein Spiel – wobei wir wohl selten ernster bei der Sache sind, als wenn wir spielen. Dann aber überschlagen sich die Ereignisse, Franziskus begegnet den Aussätzigen, in der verfallenen Kapelle von San Damiano spricht ihn der gekreuzigte Christus an, es kommt zum Point of no Return: Mitten in Assisi, vor dem Bischof und neugierigen Zuschauern, zieht er sich splitterfasernackt aus und wirft seinem Vater, dem lokalen Textilmogul, die Kleider vor die Füße. Nun ist das Tischtuch endgültig zerschnitten, mit seiner Welt will er nichts mehr zu tun haben, jetzt hat er nur noch den Vater im Himmel. Vertrauen auf Gott Kleider machen Leute. Und wenn einer ohne jegliche Kleidung dasteht, macht das auch etwas mit den Leuten – und mit ihm selbst! Zwar hat der hüllenlose menschliche Körper in der Öffentlichkeit inzwischen viel an Provokation verloren, dennoch aber eignet sich Nacktheit immer noch als öffentlichkeitswirksamer Hingucker bei Protest und Demonstrationen, das nutzen nicht nur die ukrainischen Aktivistinnen von Femen oder Tierschützer, die »lieber nackt als im Pelz« auftreten. Zugleich steht das Nacktsein für die Erfahrung völliger Hilflosigkeit, der nackte Säugling kann nur überleben mit fremder Hilfe. Erzwungenes Nacktsein ist tiefste Erniedrigung, die Bilder aus dem AbuGhuraib-Gefängnis in Bagdad lösten internationale Schockwellen aus. Und doch umweht den nackten Adam die Sehnsucht nach dem paradiesischen Anfang, als noch alles gut war. Der nackte Franziskus vor dem Bischofspalast hat etwas von alledem: Als er sich auszieht, zieht er demonstrativ aus der Welt seines Vaters aus, protestiert gegen ein menschenverachtendes frühkapitalistisches Wirtschaftssystem, verzichtet auf Sicherungen und Privilegien und wagt in seiner Ohnmacht den existenziellen Sprung in das Vertrauen auf Gott. Es ist ein neuer Anfang! Dann gibt es noch die klassische theologische Deutung: »Siehe, jetzt ist es so weit, dass er nackt mit dem Nackten ringt«, schreibt sein erster Biograf (1C 15). Je weniger Kleidung der Kämpfer trägt, umso weniger Angriffsflächen bietet er seinem Gegner. »Nudus nudum Christum sequi«, nackt dem nackten Christus folgen, diese Vorstellung prägt seit dem Kirchenvater Hieronymus asketisches Leben. Wolle statt Seide Auch wenn Franziskus dann nackt stirbt, zwischendurch zieht er wieder etwas an. Ein Freund in Gubbio schenkt ihm »ein ärmliches Kleid« (1C 16). Zunächst trägt er »das Kleid eines Einsiedlers« (Gef 25) und gibt damit zu erkennen, dass er kein herumstreunender Bettler ist, sondern bewusst eine geistliche Lebensentscheidung getroffen hat. Der letzte einschneidende Kleiderwechsel erfolgt, als er in Portiunkula das Evangelium von der Aussendung der Jünger hört: »Allsogleich löst er die Schuhe von den Füßen und, zufrieden mit einem einzigen Rock, vertauscht er den Ledergürtel mit einem Strick. Darauf richtet er sich den Rock in Form des Kreuzes zurecht, damit er in ihm alle teuflischen TEXT: Cornelius Bohl ofm | ABBILDUNG: gemeinfrei / commons. Wikimedia.org 8
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