Franziskaner Mission 4 | 2025

2025 Geschenkt? Bedankt!

FRANZISKANER MISSION erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Telefon 089-211 26 110 oder muenchen@franziskanermission.de. »Franziskaner Mission« erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth – Germania. HERAUSGEBER Franziskaner Mission REDAKTIONSLEITUNG Augustinus Diekmann ofm REDAKTION Dr. Cornelius Bohl ofm, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Heinrich Gockel ofm, Márcia Santos Sant'Ana, René Walke ofm, Pia Wohlgemuth GESTALTUNG sec GmbH, Osnabrück‚ DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn Impressum FRANZISKANER MISSION St.-Anna-Straße 19, 80538 München Telefon: 089-211 26 110 Fax: 089-211 26 109 muenchen@franziskanermission.de www.mission.franziskaner.de Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf folgendes Konto: LIGA BANK IBAN DE48 7509 0300 0002 2122 18 BIC GENODEF1M05 Ihre Spendengelder fließen in unsere Hilfsprojekte und nicht in die Produktionskosten dieser Zeitschrift. PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de PEFC/04-31-0934 PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern www.pefc.de P Liebe Spenderin, lieber Spender! Ab Oktober 2025 gilt in der EU ein neuer Sicherheitsstandard für Überweisungen, die Empfängerüberprüfung. Bisher genügte die IBAN, was aber zu Missbrauch führte. Nun wird geprüft, ob der hinterlegte Inhaber eines Kontos mit den Angaben einer Überweisung übereinstimmt. Die Konten der Franziskaner Mission sind Treuhandkonten der Deutschen Franziskanerprovinz KdöR. Deshalb lösen Überweisungen an die Franziskaner Mission entsprechende Rückfragen aus. Das hat seine Richtigkeit. Überweisungen können also bei Nachfrage trotz Rückfrage freigegeben werden. Weitere Informationen finden Sie bei Ihrer Hausbank. 2

Liebe Leserin, lieber Leser! TITEL Das Titelfoto ist diesmal ein Symbolbild. Ein Franziskaner legt ein Tau-Kreuz aus Olivenholz in offene und damit empfangende Hände. So könnte man sich den tieferen Sinn der Franziskaner Mission vorstellen. Mit der konkret gelebten Solidarität in den zahlreichen Projekten weltweit werden auch Werte der Spiritualität eines Franziskus von Assisi weitergeschenkt: Gerechtigkeit, Einfachheit, Geschwisterlichkeit, Friedensliebe, Sorge um Gottes Schöpfung. Daraus erwächst tiefe Dankbarkeit sowohl bei den Beschenkten wie auch bei den Gebenden. Von Francis Bacon stammt das Wort: »Nicht die Glücklichen sind dankbar – es sind die Dankbaren, die glücklich sind.« Selbstoptimierung – für mich ein ambivalenter Begriff. Vieles davon ist unter heute leicht antiquiert klingenden Bezeichnungen schon lange vertraut: sich mühen, einen Vorsatz fassen, an sich arbeiten. Es ist gut, Ziele zu haben und sich nicht einfach hängen zu lassen. Selbstoptimierungszwänge können einen Menschen aber auch zerstören, wenn der Druck, immer und überall der Beste sein zu müssen, den realistischen Blick für die eigenen Möglichkeiten und die eigenen Grenzen verliert. Ich kann mich nicht neu erfinden. Wohl aber kann ich Talente entdecken und entfalten. Sie wurden mir »in die Wiege gelegt«, sagen wir. Auch unser schönes deutsches Wort »Begabung« erinnert daran, dass mir da etwas gegeben wurde. Überhaupt kann ich sehr vieles, was im Leben wichtig ist, nicht »machen«: Vertrauen, Freundschaft, Liebe, Treue oder Versöhnung, das alles wird mir geschenkt. Wer beschenkt wird, fragt schon einmal: »Womit habe ich das verdient?« Wenn es wirklich ein Geschenk war, ist die Antwort einfach: durch nichts! Das ist dir geschenkt. Man sollte denken, jeder wäre froh, wenn er beschenkt wird. Aber es gibt Menschen, die wollen und können sich nicht beschenken lassen: »Womit kann ich das wieder gutmachen?«, fragen sie dann. Es ist nicht leicht, ein Geschenk einfach nur dankbar anzunehmen, ohne sich gleich mit einem möglichst größeren Gegengeschenk revanchieren zu wollen. Der Geber ist in der stärkeren Position. Tatsächlich kann man mit Geschenken Macht ausüben. Es gibt vergiftete Geschenke, die Abhängigkeiten konstruieren. Und es gibt überraschende Geschenke, die mich einfach nur ganz tief froh und dankbar machen. »Wir haben entschieden, dass wir uns zu Weihachten nichts schenken!« Manchmal höre ich das. So ein Entschluss kann sinnvoll sein, um sich einem letztlich leeren, kommerziellen Konsumterror zu entziehen. Wie arm aber würde mein Leben, wenn ich tatsächlich verlernen würde, etwas zu schenken und mich beschenken zu lassen. So merkwürdig es klingt: Gerade frommen Christen fällt das oft besonders schwer. Wir meinen dann, wir müssten wie kleine Kinder besonders brav sein, um uns die Liebe Gottes zu verdienen. Zugleich beurteilen wir andere erbarmungslos nach ihren vermeintlichen moralischen Leistungen oder ihrem Versagen. Dabei ist das Beschenktwerden die Mitte des Glaubens: »Gott schenkt uns seinen Sohn«, singen wir an Weihnachten, er schenkt uns sich selbst – und nur darum machen dann auch wir uns Geschenke! Seine Zuwendung ist reine Gnade. Ein schwieriges Wort, auf Latein heißt es gratia: Alles ist gratis! Schenken und dabei selbst froh werden. Sich beschenken lassen, und dabei tiefe Dankbarkeit empfinden. Das sind große Weihnachtsthemen. Vor allem aber sind es große Lebensthemen. Das vorliegende Heft der Franziskaner Mission will sie wieder neu bewusstmachen. Schließlich sind es ja auch wichtige Themen für unsere weltkirchliche Arbeit. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. P. Cornelius Bohl ofm Sekretär für Mission und Evangelisierung 3

12 14 10 20 Inhalt 6 Die Menschwerdung Gottes Ein Geschenk für uns Menschen Franz Richardt ofm 8 Absichtslose Liebe Sich franziskanisch-klarianisch beschenken lassen Sr. M. Ancilla Röttger OSC 10 Sensibel für Werte Was die Jugend über das Schenken denkt Marco Nobis 12 Quelle des Glücks Dank für missionarische Berufung Frank Hartmann ofm 14 Freude und Herausforderung Franziskanische Neugründung in Sambia Ivica Perić ofm 16 Zukunft schenken Leben zwischen Internat, Studium und tiefem Glauben Yoselin Ricalde und Esther Marisol Romero 20 Geschenktes Augenlicht Glückliche Kinder in El Salvador Cibely und Bernhard Dohle 22 Versöhnt leben Franziskaner in Kambodscha Chi Thien Vu ofm 24 Neue Lebensperspektiven Schulbildung als Entdeckungsreise Kátia Balbino da Conceição 26 Kinderwünsche Sehnsucht nach menschlichem Leben Maria Arli de Sousa Nojosa CF 28 Über den Tod hinaus Erinnerung an die Märtyrer von El Salvador Joaquín Garay ofm 30 Papst Leo XIV. legitimiert die Befreiungstheologie Frei Betto OP kommentiert päpstliches Schreiben »Dilexi Te« Carlos Alberto Libânio Christo (Frei Betto OP) 34 Rückblick 35 Projekt

30 24 22 26 Personalia IGNATIUS NGUYEN DUY LAM OFM Ignatius Nguyen Duy Lam ofm war von 2014 bis 2023 Provinzial der Vietnamesischen Franziskanerprovinz. Schwerpunkte seiner Leitungsaufgabe waren: Ausbildung des einheimischen Ordensnachwuchses, Unterstützung und Förderung der ethnischen Minderheiten und die missionarische Evangelisierung in Kambodscha und Laos. Im Oktober 2025 hat er zum dritten Mal die Franziskaner Mission Dortmund besucht. Es gab einen lebendigen Austausch zur historischen Entwicklung der franziskanischen Präsenz in Vietnam und zur transparenten Projektabwicklung. Höhepunkt seines Europabesuchs war die Ehrung eines der ältesten Franziskanermissionare in Vietnam, Luc Mathieu ofm, der in diesem Jahr in Paris seinen 100. Geburtstag feiern konnte. DR. GEORGE MUTALEMWA George Mutalemwa lehrt an der St. Augustine Universität Tansania (Mwanza) in Ostafrika. Er moderiert jeden Mittwoch Online-Konferenzen mit Referenten aus englischsprachigen Ländern zu verschiedenen Aspekten des Friedens. Außerdem engagiert er sich für die Verbesserung der Bildungsangebote in afrikanischen Universitäten durch den Austausch mit internationalen Bildungseinrichtungen. Dank seiner Bemühungen pflegt die St. Augustine Universität seit 2008 eine lebendige Partnerschaft mit der Universität Vechta (Oldenburg), die seine Initiative unterstützt und fördert. RAÚL BRUNO OFM Raúl Bruno wurde jetzt im Herbst auf dem Kapitel der Provinz San Antonio in Bolivien zum neuen Provinzialminister gewählt. Pater Raúl ist 41 Jahre alt und stammt aus Santa Cruz de la Sierra in Bolivien. Von 2023 bis 2025 bekleidete er bereits das Amt des Provinzialvikars. In den vergangenen Jahren wirkte er zudem als Direktor einer großen franziskanischen Schule, als Kirchenrektor der Basilika »Nuestra Señora de los Ángeles« sowie als Guardian der Brüdergemeinschaft des Konvents San Francisco in La Paz. Besonders hervorgetan hat er sich durch seine soziale Arbeit in der Armenküche »San Francisco« und im Gesundheitszentrum »San Antonio de Padua« in La Paz.

Hintergrund dieses Artikels sind Fragen wie: Sind wir Menschen, so wie wir uns verhalten, es wert, dass Gott Mensch wird? Ist es die Menschheit, wie sie sich gegenwärtig verhält, überhaupt »würdig«, dass Gott sich uns Menschen zuwendet? Denken wir an die aktuellen Kriege, an die Gefährdung von Demokratien, an den mangelnden Willen, sich der Klimakatastrophe zu stellen, und anderes mehr. In der Welt gibt es viele Unmenschlichkeiten. In einer solchen Welt soll Gott Mensch geworden sein?! Die Menschwerdung Gottes Ein Geschenk für uns Menschen TEXT: Franz Richardt ofm | ABBILDUNG: chekman/stock.adobe.com Beim Nachdenken und Lesen zu diesem Thema bin ich auf einen Artikel des evangelischen Exegeten Jürgen Ebach gestoßen. Der Beitrag lautet: »Die Tora ist nicht im Himmel« und er ist in Ebachs Buch »Schrift-Stücke. Biblische Miniaturen« aus dem Jahr 2011 erschienen. In dem Text weist Ebach auf eine rabbinische Auslegung hin. Sie erzählt: Die Engel haben gegenüber Gott große Bedenken geäußert, die Heilige Schrift (die Tora) in die Hände von Menschen zu geben. Ihr Argument: Die Menschen sind nicht würdig, diese heiligen Texte in ihr Leben zu nehmen. Dieses Argument wird im Laufe der Geschichte Israels ganz besonders dann noch einmal bekräftigt, als Mose mit der Tora, mit den Tafeln der 10 Gebote, vom Sinai herabkommt und feststellen muss, dass sich seine Landsleute ein goldenes Kalb als Götterbild geschaffen haben. Die Engel können nun sagen: Das ist der Beweis, dass die Menschen nicht würdig sind, die Tora zu empfangen. Beistand für uns Die Tora bezieht sich aber auf Lebensbereiche, in denen die Engel keine Erfahrung haben. Die Vollkommenen brauchen die Tora, das Gesetz und die Propheten nicht. Aber die Menschen, diese Wesen mit ihren Mängeln, Krankheiten und Gebrechen, mit den Fehlern, die sie machen und damit Schuld auf sich laden, gerade sie brauchen die Weisungen und die Zuwendung Gottes. Gerade die, die ein beschädigtes und nicht perfektes Leben führen, genau bei denen ist die Tora an der richtigen Stelle. Sie brauchen für ihren Weg über die Erde den göttlichen Beistand. Die Engel im Himmel sind vollkommene Wesen. Sie brauchen die Tora nicht. Sie sind bei Gott. Aber all die Menschen, die so zerbrechlich sind, manchmal in ihren Vorhaben scheitern oder nur bruchstückhaft ein gutes Leben führen, sie brauchen einen göttlichen Beistand, einen Menschen von Gott her, der sich an ihre Seite stellt und sie in ihrer Begrenztheit annimmt und aufbaut. Deswegen wird – weihnachtlich gesprochen – Gott Mensch. Das ist die frohe Botschaft, das Evangelium, das die Engel dann an Weihnachten verkünden: In der Begrenztheit und Unvollkommenheit sind wir Menschen für Gott so wertvoll, dass er in Jesus unsere menschliche Natur annimmt. Es ist paradox: Normalerweise denken wir Menschen wie die Engel. Wir denken: Gott ist der Vollkommene, deswegen gehört er, gehört die Heilige Schrift in den Raum der oder des Vollkommenen. Aber offensichtlich denkt Gott ganz anders und handelt dementsprechend auch anders. Er kommt zu den unvollkommenen Menschen, den Armen, den Bedürftigen, den Notleidenden, also zu denen mit einem beschädigten Leben. In der Bibel heißen sie oft »Sünder«. Diese frohe Botschaft hat der menschgewordene Sohn Gottes nicht nur mit Worten verkündet, sondern in vielen Begegnungen und Zeichenhandlungen in die Tat umgesetzt. Ich nenne ein paar Beispiele dafür: Fast alle, die der erwachsene Jesus in seine Nachfolge beruft, sind nicht aus der Oberschicht, sondern einfache Arbeiter, Fischer, Händler, Zollpächter. Ganz typisch für die vielen Begegnungen Jesu mit Menschen am Rand der Gesellschaft ist die Berufung des Zöllners Zachäus, der aufgrund seiner Kooperation mit den verhassten Römern nur Verachtung verdient. Gerade ihn nimmt Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem in der Menge der Leute, die ihn begleiten, wahr. Er lädt sich selbst bei Zachäus zum Essen ein. Deswegen regen sich die scheinbar Untadeligen, die Pharisäer, über Jesus auf, wenn sie sagen: »Mit Zöllnern und Sündern isst er.« (Mk 2,16) Ein anderes Mal ist Jesus bei Simon, einem führenden Pharisäer, eingeladen. Eine öffentlich bekannte Frau von der Straße kommt und wäscht Jesus mit ihren Tränen die Füße. Simon denkt: »Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer 6

und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.« (Lk 7,39) Jesus hat keine Scheu, sich von einer solchen Frau berühren zu lassen. Vielmehr konfrontiert er Simon sachte mit einer rhetorischen Frage: »Siehst du diese Frau, siehst du, was sie gerade Gutes getan hat?« In seinem offenen Herzen weitet Jesus den Blick und die Einstellung derer, die ihn skeptisch beobachten. Stolz und Demut Markant fasst Jesus seine Sendung in dem kurzen Satz zusammen: »Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.« (Lk 19,10) Schließlich nimmt der menschgewordene Sohn Gottes die ganze Welt mit ihren abgrundtiefen Desastern in den Blick und sagt von sich: »Ich bin nicht in die Welt gekommen, um zu richten, sondern um zu retten.« (Joh 12,47) Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage dieses Artikels: Hat die Menschheit es eigentlich verdient, dass Gott Mensch wurde? Dieses »verdient« ist doppeldeutig. Auf der einen Seite gebrauchen wir das Wort »verdienen« als Lohn für eine erbrachte Leistung. Auf der anderen Der Autor Franz Richardt lebt als Franziskaner seit vielen Jahren in Ohrbeck, Georgsmarienhütte. Mit seinem spirituellen Erfahrungsschatz engagiert er sich im dortigen Bildungshaus vor allem in der geistlichen Begleitung von einzelnen Personen und Gruppen. Seite sagen wir zum Beispiel mit Blick auf einen benachteiligten Menschen – wenn ihm etwas Gutes zuteilwird, obwohl er keine besondere Leistung vollbracht hat –, dass er es verdient hat, dass man ihn beachtet. In diesem Sinn hat die Menschheit es »verdient«, dass Gott Mensch wird. Die Menschheit ist es wert – trotz aller Mängel und Bosheiten und Gewalttaten, sie hat es »verdient«, dass sich Gott um sie kümmert. Die Menschen sind in ihrer Begrenztheit und Unvollkommenheit nach dem Zeugnis der Bibel so wertvoll, dass Gott seine ganze Liebe zusammengefasst hat, um sie von dieser Wertschätzung zu überzeugen. »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.« (Joh 3,16) Vielleicht berührt uns diese »unverdiente« Zuwendung Gottes zu uns Menschen auch in unserer Machermentalität. Manchmal ist es einfacher, selbst etwas zustande zu bringen, als es sich schenken zu lassen. »Selber machen« sagen schon sehr früh Kinder, wenn sie lernen zu essen oder sich anzuziehen. Dieser Stolz des Selber-Machens, der in vielen Bereichen seine Berechtigung hat, ist dann angekratzt, wenn wir mit unserer Machermentalität an Grenzen kommen, zum Beispiel an Grenzen von Krankheit und Tod. Sich dann etwas schenken zu lassen, fordert unsere Demut heraus. Aber gerade darin sind wir Gott nahe. Denn Gott ist ein Gott der Demut. »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußere sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.« (Phil 2,6-7) Deswegen ist die Menschwerdung Gottes ein kaum zu begreifendes, großes Geschenk für die Menschheit, die arm dran ist. 7

Im Heiligsprechungsprozess der heiligen Klara von Assisi erzählen die Schwestern, die mit ihr zusammengelebt haben, das Leben mit Klara sei voller Wunder gewesen. Das klingt nach: »überraschend«, »unberechenbar«, in jedem Augenblick auf Gottes Geschenke eingestellt. So ist es auch gewesen – und das gilt heute immer noch. Zwar betteln wir Klarissen nicht mehr von Tür zu Tür, leben aber immer noch von »Almosen«, von den Gaben, mit denen die Menschen uns Schwestern unterstützen. Und das erfahren wir oft genug als Wunder. Absichtslose Liebe Sich franziskanisch-klarianisch beschenken lassen Zu den Almosen gehören Geldgeschenke, mit denen wir Krankenkassenbeiträge und notwendige Alltagsausgaben wie Strom und Heizung bezahlen, ebenso wie Naturalien, Medikamente, Haushaltswaren – was auch immer für das alltägliche Leben notwendig ist. Das ist gelebtes Vertrauen, in dem oft gilt: Was wir brauchen, haben wir; und was wir nicht haben, brauchen wir offensichtlich auch nicht. Und das, was wir wirklich brauchen, lernen wir oft erst dann kennen, wenn wir es nicht haben. Schenken mit Würde Eines dieser Alltagswunder begann zum Beispiel vor über 20 Jahren: Da lag an jedem Samstagmorgen vor unserer Tür eine kleine Tüte mit Obst. Eines Tages sahen wir den Spender: Ein kleiner Junge von damals vier Jahren huschte herein, während seine Mutter auf der Straße wartete, und legte seine Tüte schnell vor die Tür. Als die Mutter uns sah, meinte sie lachend: »Er möchte es so gern tun!« Der Kleine wurde älter, brachte sogar mal seine Freunde mit, die er uns vorstellte. Inzwischen sind mehr als zwei Jahrzehnte vergangen und seine Geschwister und die ganze Familie kommen immer noch manchmal samstags, um uns zu beschenken und ein kleines Gespräch mit der jeweiligen Pfortenschwester zu führen. Das scheint mir der tiefste Sinn des Schenkens zu sein: Es geht nicht einfach nur darum, materielle Dinge weiterzugeben, sondern um die Beziehung, die darin entsteht und bleibt. Um die Dankbarkeit für das geteilte Leben und die absichtslose Liebe, die darin zu einem lebendigen Licht wird. Und wer dankbar ist, kann nicht unglücklich sein. Sich beschenken lassen kann nur, wer sich selbst nicht als unabhängiges autarkes System versteht, wer Bedürfnisse nicht als Systemmängel ansieht und wer nicht meint, seine Freiheit zu verlieren, wenn er etwas annimmt, was er nicht selbst verdient hat. Aber: Wenn jemand sich nichts schenken lassen kann, hat er oder sie die Freiheit längst verloren. Wir sind keine autarken Wesen, sondern im Menschsein liegt schon die Bedürftigkeit begründet. Und die Geschenke, die auf unsere Bedürftigkeit antworten, sind oft ganz praktische Dinge. Eines Tages gab es zum Frühstück die letzte Scheibe Käse aus dem Vorrat, was uns nicht weiter beunruTEXT: Sr. M. Ancilla Röttger OSC | FOTOS: Stefan Federbusch ofm higte, denn Käse gehört nicht zum Lebensnotwendigen. Ganz überraschend kam mittags mit der Post ein Paket aus dem Allgäu. Die Absenderinnen waren uns bekannt, denn ab und zu schickten sie uns ein Päckchen mit immer gleichem Inhalt, und zwar roten Lichtchen und Traubenzucker. Dieses eine Mal war es aus unerklärlichen Gründen anders: In dem Paket war nur Käse! Da bleibt nur Dankbarkeit. Einmal brachte uns ein Freund von der Straße, der sich bei uns immer ein Brot holte, eine ganze Tüte frischer Brötchen, die er geschenkt bekommen hatte. Für ihn war es zu viel, aber er meinte, wir würden sie doch an andere austeilen. Es gäbe viele weitere Beispiele für diese Überraschungen zu erzählen. Was immer uns gebracht wird, teilen wir mit denen, die noch weniger haben. Im Laufe des Tages klopfen viele bei uns an, die sich etwas zu essen holen. Viele kommen täglich. Hl. Franziskus von Assisi 8

Und immer entsteht eine Beziehung, in der wir vom Leben dieser Menschen erfahren. Dabei spielt die Größe des Geschenkes gar keine Rolle. Schenken können ist genauso wichtig wie Geschenke empfangen können. Die heilige Klara schreibt im 8. Kapitel ihrer Regel ausdrücklich, dass eine Schwester, die von ihrer Familie etwas geschenkt bekommt, es haben soll. Und wenn sie es nicht selbst gebraucht, soll sie es einer anderen Schwester schenken dürfen, die es braucht. Auch angesichts der geliebten Herrin Armut hält Klara es für ein Zeichen unserer Würde, auch selbst etwas schenken zu können. Das Schenken muss sich notwendig mit der Haltung der Solidarität verbinden, wenn es nicht Herablassung sein soll und damit den anderen zum bloßen Almosenempfänger stempelt. Solidarisches Zwinkern Auch Franziskus war bemüht, eine solche Solidarität am eigenen Leibe auszutragen. Wenn er einen Menschen traf, der weniger hatte als er, gab er sofort ab, was er mehr hatte. Und er tat das in einer Weise, die die Würde des Anderen betonte – mit dem Charme der Höflichkeit und oft mit Humor. Thomas von Celano, sein Mitbruder und zeitgenössischer Biograph, erzählt, wie Franziskus einmal einen neuen Mantel trug, um den sich die Brüder sehr für ihn bemüht hatten. »Da kam ein Armer daher und jammerte, dass seine Frau gestorben sei und die Familie in Not und Armut zurückDie Autorin M. Ancilla Röttger lebt seit 1976 als Klarisse im Klarissenkonvent in Münster am Dom. Das gemeinschaftliche Leben der Klarissen-Schwestern ist in der Gegenwart Gottes nach dem Evangelium ausgerichtet. zu verdienen ist. Wir leben aus der geschenkten Liebe und dem AngesehenWerden, und das sollten wir mit allen teilen, die uns begegnen. Kürzlich hörte ich jemanden empört sagen: »Ich lass mir doch nichts schenken!« Und es verbarg sich dahinter die Angst, jemand anderem verpflichtet zu sein – also Sorge um die eigene Freiheit. Nicht nur meine persönlich frei gewählte Lebensform als Klarisse steht dieser Haltung genau entgegen. Ich empfinde es nicht als Privileg, aus dem Beschenkt-Sein zu leben, sondern es scheint mir eine Lebensnotwendigkeit zu sein, sich beschenken lassen zu können. Ein Geschenk annehmen kann zum Beispiel nur jemand, der seinen Selbstwert nicht ständig von seiner eigenen Leistung abhängig macht. Dabei leben wir alle von Geschenken. In dem Roman »Solange du da bist« des französischen Schriftstellers Marc Levy las ich folgende Geschichte: Sie, der Geist einer Frau, sagt zu ihm, dem Mann, der den Geist hört: Stell dir vor, bei einer Bank steht dir jeden Morgen ein Konto mit 86.400 Euro zur Verfügung. Alles, was du im Laufe des Tages nicht ausgegeben hast, wird dir am Abend wieder weggenommen. Jeden Morgen sind erneut 86.400 Euro auf dem Konto. Und: Die Bank kann das Spiel ohne Vorwarnung beenden. Was würdest du mit so einem Geschenk tun? Was würde ich mit so einem Geschenk tun? Die Quintessenz der Geschichte ist: Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, bekommen wir 86.400 Sekunden Leben für den Tag. Nichts wird gutgeschrieben. Was wir nicht gelebt haben, ist verloren. Mir geschenkte Zeit zum Leben – welch ein kostbares Geschenk! Füllen wir sie mit Leben. Gestehen wir getrost unsere Abhängigkeit ein – darin liegt unsere Freiheit. gelassen habe. Franziskus sagte zu ihm: ›Diesen Mantel will ich dir um der Liebe Gottes willen geben, aber unter der Bedingung, dass du ihn an niemanden weitergibst, außer er bezahlt ihn gut!‹ Franziskus ahnte nämlich schon, was jetzt passieren würde. Die Brüder sahen, was da geschah, und kamen schnellstens hergelaufen, um dem Armen den Mantel wieder wegzunehmen und diese Schenkung rückgängig zu machen. Fast hätte der Arme ihnen den Mantel überlassen. Da las er im Gesichtsausdruck des heiligen Franziskus Ermutigung und fühlte sich durch dessen Augenzwinkern gestärkt, den Mantel als sein Eigentum mit Händen und Füßen zu verteidigen. Schließlich mussten die Brüder den Mantel zurückkaufen, und der Arme ging mit dem Kaufpreis davon.« Franziskus machte diesen Armen nicht zum bloßen Almosenempfänger, sondern zum stolzen Be- sitzer eines Mantels, den er für teures Geld verkaufen konnte. Er besaß auf einmal etwas, was anderen viel wert war. In dem Augenzwinkern des Franziskus lag der Akt der Solidarität. Im Teilen erfahren wir Solidarität mit denen, die noch weniger haben. Freiheit leben Aus dem Beschenkt-Sein leben soll ein Zeichen sein, dass all das, was unser Leben lebenswert und kostbar macht, Geschenk ist und nicht zu kaufen oder Hl. Klara von Assisi 9

Geschenke, da kommt vielleicht der Gedanke: Was nichts kostet, ist nichts wert. So sagt eine gesellschaftliche Floskel. Aber ist das wirklich so? Oft scheint unsere Gesellschaft geprägt von Konsum und vom Wegwerfen. Vieles gibt es im Überfluss, es fehlt an nichts. Und wie schaut es da bei Geschenken aus? Wie viele Geschenke braucht es zum Geburtstag oder zu Weihnachten, was soll es kosten und was sollen wir überhaupt schenken? Sensibel für Werte Was die Jugend über das Schenken denkt Wenn ich an einige meiner Jugendlichen denke, mit denen ich bei meiner Arbeit als Jugendreferent zu tun habe, könnte sich durch den Lebensalltag der jungen Menschen der Trugschluss festigen: Was nichts kostet, ist nichts wert. Äußerlich fehlt es den jungen Menschen auf den ersten Blick an nichts. Ein höherer Schulbesuch und/ oder Studium sind möglich, viele fahren regelmäßig im Jahr in den Urlaub, haben mehrere zeit- und teils kostenintensive Hobbys, die eher Freizeitstress verursachen, als eine Lücke im alltäglichen Leben zu schließen. So mag der Eindruck entstehen, dass sie ja »alles haben« und sich alles leisten können und dass nur das, was teuer und viel ist, von Bedeutung ist. Irrtum! Gerade trotz hoher Lebensstandards sind viele junge Menschen sensibel für Werte. Wenn es um TEXT: Marco Nobis | FOTOS: Visions-AD/stock.adobe.com; Jacob Lund/stock.adobe.com Wertvolles und Wichtiges geht, auf das man nicht verzichten möchte, dann werden Familie, Freundschaft, wertschätzender Umgang miteinander und ähnliches weitaus höher eingestuft als Erfolg, Geld, Reichtum und Besitz. Geschenke von Herzen Diese Erfahrung habe ich auch bei vielen Workshops in weiterführenden Schulen rund um das Thema Fastenzeit machen dürfen: Ja, es ist schön, viele Dinge zu haben, viel Zeit mit dem Konsum zu verbringen und in sozialen Medien unterwegs zu sein. Doch genau diese Dinge sind es, auf die junge Menschen eher verzichten würden als auf zwischenmenschliche Beziehungen. Auch beim Thema Geschenke geben viele mir die Rückmeldung: Es kommt nicht so sehr darauf an, wie teuer ein Geschenk ist, sondern es ist viel wichtiger, dass es von Herzen kommt und wohl bedacht ist. »Dass man sich Gedanken gemacht hat. Egal ob es selbst gebastelt ist oder nur im Laden gekauft«, so heißt es in einer Rückmeldung. Es geht um die Beziehung zum anderen und darum, mit dem Geschenk eine Freude machen zu wollen, und nicht darum, dass jemand einfach nur Geld in die Hand genommen hat. Mancher geht so weit zu sagen: »Lieber gar kein Geschenk als ein unnötiges aus Pflichtgefühl.« Der Sinn eines Geschenkes liegt in der geistigen Seite, da ist der materielle Wert nicht entscheidend. Dies zeigt sich auch besonders in der persönlichen Wahrnehmung dessen, was junge Menschen als ein Geschenk empfinden. Antworten auf die Frage zur Erinnerung an das zuletzt erhaltene Geschenk ergaben durchaus (größere) materielle Dinge, wie ein »MacBook« fürs Studium, eine Uhr oder Geld. Doch auch vermeintliche Kleinigkeiten, an die man sich direkt erinnert, wie ein besonderes Kakaopulver, Wolle zum Stricken von der Mutter und selbst gebastelte Anhänger, bereiten Freude. Auch Komplimente werden als Geschenke erinnert ebenso wie das Renovieren des Kinderzimmers.

Nicht allein die Größe und der Preis entscheiden, was ein Geschenk wertvoll macht. Wenn bereits der Neuanstrich des Zimmers nicht als eine selbstverständliche Bau- und Renovierungsmaßnahme eingestuft wird, sondern die neue Schönheit des Zimmers als Geschenk empfunden wird, sehe ich die Eingangsfloskel »was nichts kostet, ist nichts wert« bei diesen Jugendlichen absolut nicht gegeben. Kreativ statt Konsum Umso mehr greifen viele, wenn es um Geschenke geht, auch in die Kreativitätskiste: Basteln, Karten gestalten, selbst gemachte Dinge, Bilder, Kuchen und vieles mehr. Einer berichtet von einem Trend: »Ich bastele gern kleine Armbänder oder plane Treffen, am liebsten in gemütlichen kleinen Cafés.« Wertvolle Geschenke sind gemeinsame Zeit, die gestaltet wird. Auch Bibelverse wurden genannt, als Bilder oder Lose zum täglichen Ziehen, und sogar die Erkenntnis: »Letztlich ist alles, was ich besitze, und alle Ressourcen, die ich habe, auch nur etwas, das ich geschenkt bekomme und verwalte.« Es steckt hinter allem Material und Geld, welches eingesetzt wird, eine viel höhere geistlichere Dimension. In den Aussagen spiegelt sich eine Haltung wider, die die jungen Menschen miteinander teilen und empfangen: der Wunsch zum Ausleben wichtiger Werte. Sich gegenseitig unterstützen, einander Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit und Mitgefühl schenken, einander zuhören, ein Lächeln oder eine Umarmung als nicht materielle Geschenke – all dies schafft eine so wichtige Grundlage für eine Gesellschaft, in der es in Alltag und Freizeit um mehr geht, als wir äußerlich zu beurteilen vermögen. Eine Gesellschaft, in der zwischenmenschliche Werte stärker prägen als Geld, Macht und Besitz. Am Ende macht es den Jugendlichen Freude, etwas Materielles oder Nichtmaterielles zu schenken und die freudige Reaktion zu erwarten. Zu sehen, wie andere ein Geschenk wertschätzen und sich darüber freuen, erfüllt die Jugendlichen. Es ist ein Geschenk, wenn Ungeahntes wahr wird, weil Überraschungen gelingen, weil man sich innerlich auf den anderen eingelassen hat. Und die meisten Befragten bevorzugen sogar lieber Überraschungen, als dass sich ein geäußerter Wunsch definitiv erfüllt. Und was wünschen die von mir befragten jungen Leute für sich selbst und für die eigene Zukunft? An erster Stelle stehen Zufriedenheit, Freude und Zeit für andere zu haben, weiterhin viel Kreativität, wenig Hektik und keine Stolperfallen. Glücklichkeit eben. Was hast du als letztes verschenkt? Eine weiße Leinwand und Farben für einen gemeinsamen Tag zum Malen. Was macht ein wertvolles Geschenk für dich aus? Etwas, das von Herzen kommt und ernst gemeint ist. Worauf freust du dich, wenn du etwas verschenkst? Die Freude im Gesicht, wenn die Person das Geschenk erhält und auspackt. Was wünscht du dir für deine Zukunft? Zeit, damit ich mehr Zeit mit den Menschen verbringen kann, die ich mag. Der Autor Marco Nobis ist Jugendreferent bei der Katholischen Jugendagentur Köln und arbeitet im Jugendpastoralen Zentrum Crux und in der Pfarrei St. Franziskus. Zu seinen Aufgaben zählen unter anderem jugendpastorale Angebote für Schulen, Firmkatechese, Ministranten- und Sternsinger-Arbeit. Diesen Bericht schrieb er auf Basis von Umfragen und Workshops mit den Jugendlichen in Schulen oder bei Veranstaltungen. 10 | 11

Man muss natürlich nicht ins Ausland reisen, um missionarisch wirken zu können. Die Gnadengaben, die jede und jeder von Gott her empfangen hat, »der eine so, der andere so« (1 Korintherbrief 7,7), wollen ›hüben wie drüben‹ zum Einsatz kommen. Der adventliche Weckruf »Mache dich auf und werde licht« erinnert an Gottes Auftrag an jeden Menschen. So schreibt Papst Franziskus 2013: »Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt. Man muss erkennen, dass man selbst ›gebrandmarkt‹ ist für diese Mission, Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien.« (Evangelii Gaudium, Nr. 273) Quelle des Glücks Dank für missionarische Berufung Kinder und Jugendliche der Pfarrgemeinde »La Esperanza« (»Die Hoffnung«) verabschieden Seelsorger Frank Hartmann. TEXT: Frank Hartmann ofm | FOTOS: Casa del Migrante San Hermano Pedro Nach drei Jahren Leben und Arbeiten in Mezquital in Guatemala, einer von Armut und Gewalt geprägten Stadt am Rande der Hauptstadt, bin ich nun seit Ende August wieder in Deutschland. Dabei kann ich nicht anders als jeden dieser dort gelebten Tage Gott dankend hinzuhalten – insbesondere für die Familien, denen ich in der dortigen »Casa del Migrante«, der Unterkunft für Menschen auf der Suche nach menschenwürdigem Leben, begegnen durfte. Du mein Gott, es ist nicht das erste Mal, dass ich Dir danke für die Gabe der missionarischen Berufung. Ich habe Dir schon oft gedankt – für die Sehnsucht, die Du mir ins Herz gelegt hast, ab und an das Weite zu suchen. Gleich zwei Mal hatte ich das Privileg, einige Jahre in anderen Ortskirchen zu leben. Das Herz geht mir auf, wenn ich an mir liebgewordene Menschen und Orte auf Kuba und zuletzt im mittelamerikanischen Guatemala denke. Unvergessliche Begegnungen Stellvertretend für viele Begegnungen, die mir oft unter die Haut gegangen sind und bis heute mein Herz brennen lassen, stehen zwei kleine Begebenheiten. Mir kommt Manuel in den Sinn, ein junger Mann aus Venezuela, vielleicht 27 Jahre alt. Ich habe ihn in unserer Herberge in der Franziskanerpfarrei kennengelernt. In seinem Heimatland konnte er nicht mehr für seine Familie sorgen. Also beschloss er, für einige Jahre in die USA auszuwandern, dort zu arbeiten und seinen Verdienst nach Hause zu schicken. Nachdem ich mich ihm als Franziskaner vorgestellt hatte, fragte er mich, ob ich ihn jetzt missionieren wolle. Meine spontane Reaktion: »Nein, es ist umgekehrt. Du missionierst mich. Ich lerne von Dir.« Er war für mich »Missionar der Freude, der Hoffnung und der Liebe«, wie es in einem spanischen Lied heißt. Ich staune heute noch über seine ansteckende Freude, trotz seiner schwierigen Situation. Überhaupt habe ich noch selten Menschen erlebt, die so voller Hoffnung waren wie unsere Gäste in der Migrantenunterkunft »Santo Hermano Pedro» des »Franziskanischen Netzwerks mit Migrierenden«.

Und ich denke an die mich tief bewegende Begegnung mit einer Familie, ebenfalls aus Venezuela. Ich traf sie auf dem überfüllten, trostlos grauen und zugigen Busbahnhof in der Nähe unserer Gemeinde. Ich sehe heute noch den Kleinen im Tragetuch auf dem Rücken seiner Mutter, die beiden älteren Geschwisterkinder an ihrer Hand, ihren kleinen Rucksack mit dem Aufdruck »UNHCR«, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen. Mir läuft heute noch ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke, wie diese Mutter plötzlich eine Minitorte auf den Boden stellte, darauf eine Kerze entzündete und sie mit den Umstehenden dem Kleinsten ein Geburtstagslied sang. Ich fühlte mich reich beschenkt, diesen Moment dort miterlebt zu haben. Ein kurzer Moment nur, gleichzeitig so unendlich besonders berührend. Handeln aus Liebe Ich glaube, Gott, Du warst dort sehr gegenwärtig – geheimnisvoll mitten im Alltag. Schließlich ist das Licht, das in unsere menschlichen Dunkelheiten hineinleuchtet, eines der Lieblingsbilder Deines Sohnes. Und wieder: Nicht ich, sondern diese Familie, diese Menschen haben mich missioniert, geheimnisvoll mit Dir verbunden. Berufung sei das Wagnis, sich auf eine konkrete Erfahrung einzulassen, hörte ich einmal in einer Predigt. Und: Berufung sei nicht die persönliche Wahl des Einzelnen. Der Mensch füge sich vielmehr sein ganzes Leben lang ein in diesen Prozess. Du würdest nicht warten, bis ich Dir grünes Licht gebe, mich zu rufen. Du seist es, der die Initiative ergreife. Mein Beitrag sei, einzuwilligen. Dabei gehe es oft um Berufungen in kleiner Münze, wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer es sinngemäß nannte: ein kleines Gebet für jemanden, eine Tat aus Liebe und Barmherzigkeit oder eine Tat der Gerechtigkeit. Allen Berufungen gemeinsam: Wer sich darauf einlasse, dem gehe es wie den EmmausJüngern (Lukas 24). Ihnen brannte das Herz. Dir, Du geheimnisvoller Gott, Dank für so viele mich mit ihrer Hoffnung und ihrem Glauben berührenden Menschen! Der Autor Frank Hartmann ist Guardian im Franziskanerkloster in Dortmund und Seelsorger im Pastoralen Raum Dortmund-Mitte. Von 2022 bis 2025 arbeitete er in der Herberge »Santo Hermano Pedro« für Migrierende in Mezquital, Guatemala. Alle Hände voll zu tun beim Patronatsfest der Pfarrgemeinde »Díos con nosotros« (»Gott mit uns«) 12 | 13

Nach 32-jähriger Missionstätigkeit in Uganda und Ruanda wurde ich im Juli 2022 nach Sambia versetzt: ein neues Land mit anderer Kultur und 72 Lokalsprachen. Ziel dieser neuen Mission ist es, im ländlichen Mwakapandula der armen Landbevölkerung mit pastoraler Arbeit und vor allem mit Schulbildung nachhaltig zur Seite zu stehen. Mein Vorgänger, Aloys Hakizimana ofm, hatte anderthalb Jahre vorher mit dieser Arbeit begonnen und ist leider 2021 an den Folgen einer Corona-Erkrankung verstorben. Das Grundstück, auf dem sich unsere Pfarrei befindet, wurde der Gemeinde von Häuptling Liteta, der in dieser Region politisch und religiös verantwortlich ist, geschenkt. Er hatte von der Bereitschaft der Franziskaner gehört, den Menschen in Mwakapandula zu helfen und ihr Leben zu verbessern, und unterstützt uns durch die Schenkung des Landes. Nach meiner Ankunft bezog ich mein Quartier in einem kleinen Rohbau – zwar in schlechtem Zustand, aber gut genug, um mit der Arbeit zu beginnen. Gleich zu Anfang stellte ich fest: Das ganze Gelände besteht aus lehmigem Erdboden, ist mit Büschen und hohem, trockenem Gras bedeckt. So bestand die erste Herausforderung darin, das Land zu roden und bewohnbar zu machen. In einem Treffen mit den Dorfbewohnern überlegten wir Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Sofort waren alle dazu bereit. Denn sie erkannten, dass unser Kommen allen Familien Fortschritte bringen würde. So kamen die Menschen in großer Zahl und packten tatkräftig an, um das Land für die Weiterentwicklung vorzubereiten. Sogar Mütter mit Kleinkindern auf dem Rücken und Werkzeugen in ihren Händen erschienen, um aktiv beim Roden mitzuwirken. Eine weitere Herausforderung zeigte sich im fehlenden elektrischen Strom. Dies wurde bald behoben durch Anschluss an das öffentliche Stromnetz. Mit Hilfe der Einheimischen wurden außerdem zunächst zwei strohgedeckte Rundhütten für zukünftige Treffen und Besprechungen gebaut. Danach errichteten wir für die Gemeinde als Versammlungsraum eine größere Mehrzweckhalle. In dieser sollen später ein Kindergarten und Klassenräume für eine Grundschule sowie eine Berufsschule für handwerkliche Berufe wie Schneiderei und Tischlerei Platz finden, bevor ein eigenes Schulgebäude geplant werden kann. Das Klima ist anders als in Uganda und Ruanda: In der Regenzeit wurde wegen fehlender Entwässerung das gesamte lehmige Grundstück überflutet. Um trockenen Fußes von einem Ort zum anderen gehen zu können, brachten etliche Lastwagen Kies und Schotter heran, um das Niveau zu erhöhen. Auch drangen zu jeder Jahreszeit Schwärme von Insekten in Gärten und Felder ein, die bekämpft werden mussten. Medizinische Versorgung Da der Großteil der Bevölkerung keine formale Schulausbildung erhalten hat und ihre Englischkenntnisse begrenzt sind, war es schwierig, sie für den wichtigen Schulbesuch ihrer Kinder zu überzeugen. Zudem sind die existierenden Schulgebäude in marodem Zustand, zwar mit Fenster- und Türenrahmen ausgestattet, aber ohne Glas. Wegen fehlender Bänke sitzen die Kinder auf Lehmböden. Bücher, Lehrmittel und gut ausgebildete Lehrer fehlen ebenfalls. Auch an medizinischer Versorgung mangelt es: Es gibt nur wenige Vorräte, und die hygienischen Einrichtungen sind unzureichend. Da Schulen und Kliniken weit entfernt sind, ist der Schulbesuch mühsam und jegliche medizinische Hilfe äußerst schwierig zu erhalten. TEXT UND FOTOS: Ivica Perić ofm Freude und Herausforderung Franziskanische Neugründung in Sambia 14

Es gibt fast keine Möglichkeiten, Geld zu verdienen: Deswegen sind die Familien gezwungen, alle notwendigen Lebensmittel in ihren kleinen Gärten selbst anzubauen und zu ernten. Einige Hütten am Straßenrand dienen als Geschäfte, und Wochenmärkte bieten das Wenige zum Kauf an, was sich die Menschen leisten können. Teenagerschwangerschaften sind hier, wie in anderen Regionen Sambias, üblich. Oft bleiben die jungen Mädchen als alleinerziehende Mütter zurück. Wegen der bitteren Armut gibt es vielfältige soziale Probleme wie Alkoholismus, Diebstahl, Missbrauch und Prostitution. Hoffnungsvolle Zukunft Trotz aller enormen Herausforderungen gibt es hier Hoffnung auf Verbesserung des Lebens: Die Menschen sind widerstandsfähig, sehr freundlich und offen, haben Sinn für Humor, hegen keine Abneigung gegenüber »Muzungus« (Weißen), sind eifrig und bereit, Hilfen und Ratschläge anzunehmen. Familien im ländlichen Sambia halten erfreulicherweise zusammen: Eltern und erwachsene Kinder leben auf dem gleichen Grundstück in jeweils eigenen Hütten und teilen sich die täglich anfallenden Aufgaben. Sie sind aufeinander angewiesen, um zu überleben, während in größeren Städten Familien mehr Komfort und Annehmlichkeiten genießen können. Jetzt, da unser Grundstück größtenteils gerodet ist, können wir das Land bestmöglich nutzen. Unsere ertragreichen Gärten helfen, einigermaßen selbständig zu leben. Wir haben Enten und Hühner angeschafft und können sogar Eier zu fairen Preisen verkaufen. Wir ernten Mais, der zu »Nshima« (Maismehl) verarbeitet wird, ferner Sonnenblumen, die zu Speiseöl gepresst und an Familien weitergegeben werden. Das neue Klostergebäude ist fast fertig und enthält Solaranlagen und Wassertanks, die aus Bohrlöchern über Pumpen gefüllt werden. Ferner gibt es Wasserpumpen in der Nähe der Kirche, die noch im Rohbau ist, und eine Wasserquelle in Straßennähe – außerhalb des Grundstücks – für Durchreisende mit ihren Tieren. Eine offen zugängliche Mühle ermöglicht allen, ihren geernteten Mais zu mahlen und ihr Speiseöl zu pressen. Als letztes Jahr die Ernten ausfielen und die Dorfbewohner Hunger litten, konnten wir sie mit Sachspenden, Maismehl, Öl und Salz zum Kochen ihrer Mahlzeiten unterstützen. Unsere Schulen florieren: Zurzeit besuchen 106 Kinder in drei Altersstufen den Kindergarten. Das zweijährige Ausbildungsprogramm für Schneiderinnen und Schneider hat Valerie Ken aus Kanada, mit ihrer 30-jährigen Erfahrung in drei ostafrikanischen Ländern, entwickelt. Die erfolgreichsten Schülerinnen und Schüler werden hoffentlich unsere zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer. Da unsere angebauten Pflanzen erfolgreich gedeihen, können wir jetzt allen Kindern, Schülerinnen und Schülern sowie Arbeitern auf dem Grundstück ein Mittagessen anbieten. Dies entDer Autor Ivica Perić stammt aus Kroatien und ist Mitglied der ostafrikanischen Franziskanerprovinz vom heiligen Franziskus. Seit drei Jahren baut er eine neue Missionsstation in Sambia auf. Übersetzung aus dem Englischen: Heinrich Gockel ofm lastet die Familien, da sie während der Schulzeit nicht mehr das Mittagessen zur Schule bringen müssen. Der Bischof der Diözese Kabwe, Clement Mulenga, hofft, dass wir bald mit der Pfarrarbeit beginnen können, um die Menschen auch seelsorglich zu betreuen. Wenn der Kirchbau abgeschlossen ist, werden die Gläubigen keine weiten Wege mehr gehen müssen, um an Gottesdiensten teilzunehmen. Und sie können dann ihren Glauben mit Gesang, Trommeln, Tanz und großer Lebensfreude in Mwakapandula feiern und das Gemeindeleben aktiv mitgestalten. Mit unserer gut florierenden Missionsstation ist unser Einsatz für die Menschen bekannt geworden. Aber alle Aktivitäten und Initiativen waren nur möglich dank großzügiger Spenden und vieler Freiwilliger, die uns ihre Zeit und Mühe schenkten. So hoffen wir weiterhin, die Lebensbedingungen unserer hilfsbedürftigen und benachteiligten Dorfbewohner zu verbessern – mit einem franziskanischen Zentrum für Bildung für Geist und Seele. Wir vertrauen auf weitere solidarische Unterstützung. Impressionen aus dem Gemeindealltag in Mwakapandula, Sambia 15

In den Randbezirken der Großstadt Sucre im Hochland Boliviens liegt das Internat der Franziskanerinnen der Töchter der Barmherzigkeit. Sie bieten jungen Frauen Wohnung und Fürsorge. Derzeit wohnen hier 16 Studentinnen. Zwei der jungen Frauen berichten über ihre Erfahrung und ihre Dankbarkeit für dieses Geschenk. Zukunft schenken Leben zwischen Internat, Studium und tiefem Glauben »Ein Ort der Geborgenheit« Ich heiße Yoselin Ricalde, bin 19 Jahre alt und studiere seit kurzem Zahnmedizin. Ich komme aus dem Umland von Sucre. Als ich sieben Jahre alt war, starb meine Mutter an akutem Atemversagen – ein Schicksalsschlag, der mein Leben grundlegend veränderte. Seither lebe ich in Internaten. Ich musste früh lernen, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Ich tat einfach, was getan werden musste – ohne große Worte bei Erfolgen und ohne Verzweiflung bei Misserfolgen. Ich bin überzeugt: Ein Internat ist mehr als ein Wohnort – es ist ein Ort des Wachsens. Es lehrt Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein und stärkt die Fähigkeit, Freundschaften zu knüpfen. Es bringt junge Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, lehrt uns Toleranz, Rücksichtnahme und Zusammenhalt. Mein erstes Zuhause außerhalb der Familie war das Internat »Genoveva Hernández« in Yotala, etwa 20 Kilometer von Sucre entfernt. Dort durfte ich mit den Schwestern des evangelischen Säkularinstituts leben. Sie waren für mich nicht nur Bezugspersonen, sondern auch Vorbilder im Glauben, in der Liebe zum Nächsten und im Leben mit Gott. Ihr Einfluss prägt mich bis heute. Glaube und Durchhaltevermögen Trotz finanzieller Benachteiligung habe ich nie den Mut verloren. Ich wusste: Bildung ist der Schlüssel zu einem besseren Leben – für mich und für meine zukünftige Familie. Zahnmedizin zu studieren ist ein großer Traum, aber auch eine große Herausforderung: hohe Einschreibekosten, teure Materialien, ständiger finanzieller Druck. Ich spare, wo ich kann – kaufe gebrauchte Bücher und arbeite in den Ferien, um mein Studium zu finanzieren. Was mich antreibt? Die Neugier, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Die Leidenschaft, anderen zu helfen – nicht um etwas zurückzubekommen, sondern aus Überzeugung. Und die Hoffnung, eines Tages eine hervorragende Kieferorthopädin zu werden, um mit meinem Wissen und meinen Fähigkeiten Menschen zu dienen. Heute lebe ich im franziskanischen Internat für Studentinnen in Sucre – ein Ort der Stabilität, der Sicherheit, der Hoffnung. Das Haus ist für junge Frauen aus armen Verhältnissen gedacht, die studieren möchten. Hier kann ich mich auf mein Studium konzentrieren, aber auch Verantwortung übernehmen: Wir helfen bei Reinigungsarbeiten, gestalten Gemeinschaftsaktivitäten und nehmen an Gebetszeiten, Gottesdiensten und spirituellen Angeboten teil. Besonders bedeutsam ist für mich der Kontakt zu den Franziskanerinnen. Sie begleiten uns im Alltag, hören zu, trösten, geben Halt und zeigen uns, wie man mit offenen Herzen und offenen Händen durchs Leben geht. Dank ihnen spüre ich eine große innere Ruhe. Ich versuche, respektvoll mit meinen Mitmenschen umzugehen, und weiß die Menschen zu schätzen, die mir ihr Vertrauen schenken. Durch das Zusammenleben mit den anderen jungen Frauen lerne ich Tag für Tag dazu. Wir lachen, weinen, feiern und lernen gemeinsam – wir teilen unsere Träume und Ängste. Wir wachsen miteinander. Mein größter Wunsch ist es, mein Studium erfolgreich abzuschließen und mich auf Kieferorthopädie zu spezialisieren. Ich möchte Menschen helfen – mit Fachwissen, Herz und Hingabe. Und ich wünsche mir, dass ich irgendwann meiner Mutter, die viel zu früh von mir gegangen ist, mit meinem Leben Ehre mache. Meine einzige wirkliche Angst ist es, den Dienst am Herrn aus den Augen zu verlieren. Aber mein Glaube trägt mich – durch gute und durch schwere Zeiten. TEXT: Yoselin Ricalde und Esther Marisol Romero | FOTOS: Hermanas Franciscanas Hijas de la Miserecordia HFHM 16

»Jeder Tag ist eine neue Chance« Mein Name ist Esther Marisol Romero. Ich bin 24 Jahre alt und komme aus der kleinen Gemeinde Charcoma im Regierungsbezirk Potosí. Schon früh habe ich erfahren, was es heißt, Verantwortung zu tragen. Mein Vater hatte die Familie verlassen, und so war es meine Mutter, die uns mit der Unterstützung meiner Großeltern durch das Leben trug. Wir lebten in einem einfachen Haus – voller Bescheidenheit, aber auch voller Zusammenhalt. Es gab nicht viel, aber wir teilten alles. Ich bin die mittlere von drei Geschwistern – eine von vielen jungen Frauen in unserem Land, deren Geschichte von Entbehrung erzählt, aber auch von Mut, Liebe und dem festen Glauben an eine bessere Zukunft. Im Jahr 2013 fand meine Mutter eine feste Anstellung als Reinigungskraft in einem Krankenhaus. Von morgens um vier bis abends um sechs arbeitete sie, Tag für Tag. Durch ihre Arbeit verbesserte sich unsere Lage ein wenig. Doch als mein Großvater schwer erkrankte, musste ich meine Schulbildung nach der Grundschule unterbrechen. Meine Hoffnung, meine Ängste Acht Jahre später gab mir das Zentrum für alternative Bildung »San Roque« in Sucre eine zweite Chance. In Abendkursen – speziell für Menschen, die ihre Schulbildung nachholen wollen – durfte ich wieder lernen. Die Schule arbeitet mit einem beschleunigten Programm: zwei Schuljahre in einem. Jeden Abend, nach einem langen Tag, begleitete mich meine Mutter zu Fuß nach Hause – eine Stunde Weg durch die Dunkelheit. Ich erinnere mich an diese Zeit mit Dankbarkeit. Um mein Leben und die Schule zu finanzieren, begann ich, zusätzlich ganztags als Kindermädchen zu arbeiten. Es war eine harte Zeit, doch es hat sich ausgezahlt: Ich gehörte am Ende zu den besten Abiturientinnen des Jahrgangs. Deshalb erhielt ich ein Leistungsstipendium, das mir den Zugang zur Universität ermöglichte. Heute studiere ich Soziale Arbeit – ein Fach, das meinem Herzensanliegen entspricht: Menschen zu helfen, so wie auch mir geholfen wurde. Ein großes Geschenk ist für mich, dass ich heute im Internat »Madre de la Misericordia« in Sucre bei den Schwestern leben darf. Aber es ist für Die Autorinnen Yoselin Ricalde und Esther Marisol Romero sind Studentinnen in Sucre, Bolivien, und leben bei den Franziskanerschwestern der Töchter der Barmherzigkeit. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth mich weit mehr als ein Dach über dem Kopf. Es ist ein Ort des Friedens, der Hoffnung, der geistlichen Begleitung. Hier finde ich Stabilität, einen ruhigen Platz zum Lernen, Mahlzeiten, Internetzugang – und vor allem: Menschen, die an mich glauben. Die Franziskanerinnen, die dieses Haus mit Liebe und Hingabe führen, schenken uns nicht nur Unterstützung, sondern auch ein Gefühl von zu Hause. Wir teilen hier den Alltag: die Pflichten, das Lernen, das Lachen, den Glauben. Wir feiern Gottesdienste, helfen einander, wachsen gemeinsam. In dieser Gemeinschaft spüre ich, wie ich nicht nur als Studentin, sondern als Mensch reifen darf. Ich glaube fest daran, dass jeder neue Tag eine Chance ist zu wachsen. Meine Familie lebt weit entfernt – aber ihre Liebe trägt mich. Mein größter Wunsch ist es, mein Studium erfolgreich abzuschließen, mich zu spezialisieren und beruflich Fuß zu fassen. Ich möchte meiner Mutter etwas zurückgeben – für all die Opfer, die sie gebracht hat. Und doch bleibt auch eine Angst: dass finanzielle Sorgen oder familiäre Notlagen mich an meinem Weg hindern könnten. Manchmal frage ich mich, ob ich den hohen Erwartungen gerecht werde – meinen eigenen und denen meiner Familie. Aber dann erinnere ich mich an das, was mir Kraft gibt: die Liebe meiner Mutter. Die Unterstützung der Franziskanerinnen. Den Glauben an Gott. Und daran, dass ich nicht allein gehe. Studentenwohnheim »Mutter der Barmherzigkeit« 17

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