In den Randbezirken der Großstadt Sucre im Hochland Boliviens liegt das Internat der Franziskanerinnen der Töchter der Barmherzigkeit. Sie bieten jungen Frauen Wohnung und Fürsorge. Derzeit wohnen hier 16 Studentinnen. Zwei der jungen Frauen berichten über ihre Erfahrung und ihre Dankbarkeit für dieses Geschenk. Zukunft schenken Leben zwischen Internat, Studium und tiefem Glauben »Ein Ort der Geborgenheit« Ich heiße Yoselin Ricalde, bin 19 Jahre alt und studiere seit kurzem Zahnmedizin. Ich komme aus dem Umland von Sucre. Als ich sieben Jahre alt war, starb meine Mutter an akutem Atemversagen – ein Schicksalsschlag, der mein Leben grundlegend veränderte. Seither lebe ich in Internaten. Ich musste früh lernen, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Ich tat einfach, was getan werden musste – ohne große Worte bei Erfolgen und ohne Verzweiflung bei Misserfolgen. Ich bin überzeugt: Ein Internat ist mehr als ein Wohnort – es ist ein Ort des Wachsens. Es lehrt Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein und stärkt die Fähigkeit, Freundschaften zu knüpfen. Es bringt junge Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, lehrt uns Toleranz, Rücksichtnahme und Zusammenhalt. Mein erstes Zuhause außerhalb der Familie war das Internat »Genoveva Hernández« in Yotala, etwa 20 Kilometer von Sucre entfernt. Dort durfte ich mit den Schwestern des evangelischen Säkularinstituts leben. Sie waren für mich nicht nur Bezugspersonen, sondern auch Vorbilder im Glauben, in der Liebe zum Nächsten und im Leben mit Gott. Ihr Einfluss prägt mich bis heute. Glaube und Durchhaltevermögen Trotz finanzieller Benachteiligung habe ich nie den Mut verloren. Ich wusste: Bildung ist der Schlüssel zu einem besseren Leben – für mich und für meine zukünftige Familie. Zahnmedizin zu studieren ist ein großer Traum, aber auch eine große Herausforderung: hohe Einschreibekosten, teure Materialien, ständiger finanzieller Druck. Ich spare, wo ich kann – kaufe gebrauchte Bücher und arbeite in den Ferien, um mein Studium zu finanzieren. Was mich antreibt? Die Neugier, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Die Leidenschaft, anderen zu helfen – nicht um etwas zurückzubekommen, sondern aus Überzeugung. Und die Hoffnung, eines Tages eine hervorragende Kieferorthopädin zu werden, um mit meinem Wissen und meinen Fähigkeiten Menschen zu dienen. Heute lebe ich im franziskanischen Internat für Studentinnen in Sucre – ein Ort der Stabilität, der Sicherheit, der Hoffnung. Das Haus ist für junge Frauen aus armen Verhältnissen gedacht, die studieren möchten. Hier kann ich mich auf mein Studium konzentrieren, aber auch Verantwortung übernehmen: Wir helfen bei Reinigungsarbeiten, gestalten Gemeinschaftsaktivitäten und nehmen an Gebetszeiten, Gottesdiensten und spirituellen Angeboten teil. Besonders bedeutsam ist für mich der Kontakt zu den Franziskanerinnen. Sie begleiten uns im Alltag, hören zu, trösten, geben Halt und zeigen uns, wie man mit offenen Herzen und offenen Händen durchs Leben geht. Dank ihnen spüre ich eine große innere Ruhe. Ich versuche, respektvoll mit meinen Mitmenschen umzugehen, und weiß die Menschen zu schätzen, die mir ihr Vertrauen schenken. Durch das Zusammenleben mit den anderen jungen Frauen lerne ich Tag für Tag dazu. Wir lachen, weinen, feiern und lernen gemeinsam – wir teilen unsere Träume und Ängste. Wir wachsen miteinander. Mein größter Wunsch ist es, mein Studium erfolgreich abzuschließen und mich auf Kieferorthopädie zu spezialisieren. Ich möchte Menschen helfen – mit Fachwissen, Herz und Hingabe. Und ich wünsche mir, dass ich irgendwann meiner Mutter, die viel zu früh von mir gegangen ist, mit meinem Leben Ehre mache. Meine einzige wirkliche Angst ist es, den Dienst am Herrn aus den Augen zu verlieren. Aber mein Glaube trägt mich – durch gute und durch schwere Zeiten. TEXT: Yoselin Ricalde und Esther Marisol Romero | FOTOS: Hermanas Franciscanas Hijas de la Miserecordia HFHM 16
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