In diesem »apostolischen Schreiben« entlarvt Leo XIV. alle Argumente, die die Existenz der Armen als Schicksal und die Leistungsgesellschaft als Weg aus der Armut betrachten. Der Papst schreibt: »Die Armen existieren nicht zufällig oder aufgrund eines blinden und bitteren Schicksals. Noch weniger ist Armut für die meisten von ihnen eine Wahl. Dennoch gibt es immer noch Menschen, die es wagen, dies zu behaupten, und damit Blindheit und Grausamkeit an den Tag legen. Unter den Armen gibt es natürlich auch solche, die nicht arbeiten wollen, vielleicht weil ihre Vorfahren, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, arm gestorben sind. Aber es gibt viele Männer und Frauen, die von morgens bis abends arbeiten, zum Beispiel Pappe sammeln oder ähnliche Tätigkeiten ausüben, obwohl sie wissen, dass diese Anstrengungen nur zum Überleben dienen und niemals dazu, ihr Leben wirklich zu verbessern. Wir können nicht sagen, dass die Mehrheit der Armen in dieser Situation ist, weil sie keine ›Verdienste‹ erworben hat, gemäß der falschen Vorstellung der Leistungsgesellschaft, nach der es scheint, dass nur diejenigen Verdienste haben, die im Leben erfolgreich waren.« (14). Aufschrei der Armen Ausgehend vom Aufschrei der Armen bekräftigt »Dilexi Te«, dass der christliche Glaube nicht von konkreter Nächstenliebe, sozialer Gerechtigkeit und der Veränderung der Strukturen, die Elend und Ausgrenzung hervorrufen, getrennt werden kann. Diese Botschaft findet tiefen Widerhall in der brasilianischen Realität, wo die Widersprüche des peripheren Kapitalismus, struktureller Rassismus, Patriarchat und Umweltzerstörung täglich einen bedeutenden Teil unseres Volkes und unseres gemeinsamen Hauses treffen. Das Apostolische Schreiben »Dilexi Te« (»Ich habe dich geliebt«) von Papst Leo XIV. klingt wie ein Hauch der Hoffnung und eine bedeutende Bekräftigung des Evangeliums, das ausgehend von den Armen gelebt wird. In Brasilien hat soziale Ungleichheit ein Gesicht, eine Hautfarbe und ein Territorium – das Gesicht der schwarzen Frauen in den Vororten, die erschöpften Körper der ausgebeuteten Arbeiter, die bedrohten indigenen Völker, die durch Gewalt getöteten Jugendlichen aus den Favelas. Insofern ist der Inhalt des Dokuments keine Neuigkeit, sondern eine Bestätigung und Ermutigung für den historischen Weg der Befreiungstheologie und der Basisgemeinden (CEBs). Gleich in den ersten Absätzen erinnert das Dokument daran: »Gott ist barmherzige Liebe, die sich um das Schicksal der Menschen und damit auch um die Armut sorgt.« (16). Diese göttliche Entscheidung findet in der brasilianischen Situation konkreten Ausdruck. Hier ist Armut kein abstraktes Konzept, sondern manifestiert sich in der Hungersnot, unter der noch immer Millionen Menschen leiden, in der Informalität des Arbeitsmarktes, die die Kräfte derjenigen aufzehrt, die ohne Rechte arbeiten, in der Vernachlässigung der Jugend in den Vororten, und in der Abholzung, die indigene Völker und Flussbewohner vertreibt. Wenn die päpstliche Ermahnung bekräftigt, dass »Gott diejenigen, die besonders diskriminiert und unterdrückt werden, in sei- nem Herzen bewahrt«, spricht sie das Herz einer Kirche an, die denselben Appell bereits in Notlösung: Ein Müllsammler zieht eine mit Altpapier beladene Handkarre mitten durch die Millionenstadt São Paulo, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu bestreiten. TEXT: Carlos Alberto Libânio Christo (Frei Betto OP) | FOTOS: Frei Betto, Franziskaner Mission Papst Leo XIV. legitimiert Frei Betto OP kommentiert 30
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