Franziskaner Mission 4 | 2025

und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.« (Lk 7,39) Jesus hat keine Scheu, sich von einer solchen Frau berühren zu lassen. Vielmehr konfrontiert er Simon sachte mit einer rhetorischen Frage: »Siehst du diese Frau, siehst du, was sie gerade Gutes getan hat?« In seinem offenen Herzen weitet Jesus den Blick und die Einstellung derer, die ihn skeptisch beobachten. Stolz und Demut Markant fasst Jesus seine Sendung in dem kurzen Satz zusammen: »Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.« (Lk 19,10) Schließlich nimmt der menschgewordene Sohn Gottes die ganze Welt mit ihren abgrundtiefen Desastern in den Blick und sagt von sich: »Ich bin nicht in die Welt gekommen, um zu richten, sondern um zu retten.« (Joh 12,47) Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage dieses Artikels: Hat die Menschheit es eigentlich verdient, dass Gott Mensch wurde? Dieses »verdient« ist doppeldeutig. Auf der einen Seite gebrauchen wir das Wort »verdienen« als Lohn für eine erbrachte Leistung. Auf der anderen Der Autor Franz Richardt lebt als Franziskaner seit vielen Jahren in Ohrbeck, Georgsmarienhütte. Mit seinem spirituellen Erfahrungsschatz engagiert er sich im dortigen Bildungshaus vor allem in der geistlichen Begleitung von einzelnen Personen und Gruppen. Seite sagen wir zum Beispiel mit Blick auf einen benachteiligten Menschen – wenn ihm etwas Gutes zuteilwird, obwohl er keine besondere Leistung vollbracht hat –, dass er es verdient hat, dass man ihn beachtet. In diesem Sinn hat die Menschheit es »verdient«, dass Gott Mensch wird. Die Menschheit ist es wert – trotz aller Mängel und Bosheiten und Gewalttaten, sie hat es »verdient«, dass sich Gott um sie kümmert. Die Menschen sind in ihrer Begrenztheit und Unvollkommenheit nach dem Zeugnis der Bibel so wertvoll, dass Gott seine ganze Liebe zusammengefasst hat, um sie von dieser Wertschätzung zu überzeugen. »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.« (Joh 3,16) Vielleicht berührt uns diese »unverdiente« Zuwendung Gottes zu uns Menschen auch in unserer Machermentalität. Manchmal ist es einfacher, selbst etwas zustande zu bringen, als es sich schenken zu lassen. »Selber machen« sagen schon sehr früh Kinder, wenn sie lernen zu essen oder sich anzuziehen. Dieser Stolz des Selber-Machens, der in vielen Bereichen seine Berechtigung hat, ist dann angekratzt, wenn wir mit unserer Machermentalität an Grenzen kommen, zum Beispiel an Grenzen von Krankheit und Tod. Sich dann etwas schenken zu lassen, fordert unsere Demut heraus. Aber gerade darin sind wir Gott nahe. Denn Gott ist ein Gott der Demut. »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußere sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.« (Phil 2,6-7) Deswegen ist die Menschwerdung Gottes ein kaum zu begreifendes, großes Geschenk für die Menschheit, die arm dran ist. 7

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