Franziskaner Mission 4 | 2025

Und immer entsteht eine Beziehung, in der wir vom Leben dieser Menschen erfahren. Dabei spielt die Größe des Geschenkes gar keine Rolle. Schenken können ist genauso wichtig wie Geschenke empfangen können. Die heilige Klara schreibt im 8. Kapitel ihrer Regel ausdrücklich, dass eine Schwester, die von ihrer Familie etwas geschenkt bekommt, es haben soll. Und wenn sie es nicht selbst gebraucht, soll sie es einer anderen Schwester schenken dürfen, die es braucht. Auch angesichts der geliebten Herrin Armut hält Klara es für ein Zeichen unserer Würde, auch selbst etwas schenken zu können. Das Schenken muss sich notwendig mit der Haltung der Solidarität verbinden, wenn es nicht Herablassung sein soll und damit den anderen zum bloßen Almosenempfänger stempelt. Solidarisches Zwinkern Auch Franziskus war bemüht, eine solche Solidarität am eigenen Leibe auszutragen. Wenn er einen Menschen traf, der weniger hatte als er, gab er sofort ab, was er mehr hatte. Und er tat das in einer Weise, die die Würde des Anderen betonte – mit dem Charme der Höflichkeit und oft mit Humor. Thomas von Celano, sein Mitbruder und zeitgenössischer Biograph, erzählt, wie Franziskus einmal einen neuen Mantel trug, um den sich die Brüder sehr für ihn bemüht hatten. »Da kam ein Armer daher und jammerte, dass seine Frau gestorben sei und die Familie in Not und Armut zurückDie Autorin M. Ancilla Röttger lebt seit 1976 als Klarisse im Klarissenkonvent in Münster am Dom. Das gemeinschaftliche Leben der Klarissen-Schwestern ist in der Gegenwart Gottes nach dem Evangelium ausgerichtet. zu verdienen ist. Wir leben aus der geschenkten Liebe und dem AngesehenWerden, und das sollten wir mit allen teilen, die uns begegnen. Kürzlich hörte ich jemanden empört sagen: »Ich lass mir doch nichts schenken!« Und es verbarg sich dahinter die Angst, jemand anderem verpflichtet zu sein – also Sorge um die eigene Freiheit. Nicht nur meine persönlich frei gewählte Lebensform als Klarisse steht dieser Haltung genau entgegen. Ich empfinde es nicht als Privileg, aus dem Beschenkt-Sein zu leben, sondern es scheint mir eine Lebensnotwendigkeit zu sein, sich beschenken lassen zu können. Ein Geschenk annehmen kann zum Beispiel nur jemand, der seinen Selbstwert nicht ständig von seiner eigenen Leistung abhängig macht. Dabei leben wir alle von Geschenken. In dem Roman »Solange du da bist« des französischen Schriftstellers Marc Levy las ich folgende Geschichte: Sie, der Geist einer Frau, sagt zu ihm, dem Mann, der den Geist hört: Stell dir vor, bei einer Bank steht dir jeden Morgen ein Konto mit 86.400 Euro zur Verfügung. Alles, was du im Laufe des Tages nicht ausgegeben hast, wird dir am Abend wieder weggenommen. Jeden Morgen sind erneut 86.400 Euro auf dem Konto. Und: Die Bank kann das Spiel ohne Vorwarnung beenden. Was würdest du mit so einem Geschenk tun? Was würde ich mit so einem Geschenk tun? Die Quintessenz der Geschichte ist: Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, bekommen wir 86.400 Sekunden Leben für den Tag. Nichts wird gutgeschrieben. Was wir nicht gelebt haben, ist verloren. Mir geschenkte Zeit zum Leben – welch ein kostbares Geschenk! Füllen wir sie mit Leben. Gestehen wir getrost unsere Abhängigkeit ein – darin liegt unsere Freiheit. gelassen habe. Franziskus sagte zu ihm: ›Diesen Mantel will ich dir um der Liebe Gottes willen geben, aber unter der Bedingung, dass du ihn an niemanden weitergibst, außer er bezahlt ihn gut!‹ Franziskus ahnte nämlich schon, was jetzt passieren würde. Die Brüder sahen, was da geschah, und kamen schnellstens hergelaufen, um dem Armen den Mantel wieder wegzunehmen und diese Schenkung rückgängig zu machen. Fast hätte der Arme ihnen den Mantel überlassen. Da las er im Gesichtsausdruck des heiligen Franziskus Ermutigung und fühlte sich durch dessen Augenzwinkern gestärkt, den Mantel als sein Eigentum mit Händen und Füßen zu verteidigen. Schließlich mussten die Brüder den Mantel zurückkaufen, und der Arme ging mit dem Kaufpreis davon.« Franziskus machte diesen Armen nicht zum bloßen Almosenempfänger, sondern zum stolzen Be- sitzer eines Mantels, den er für teures Geld verkaufen konnte. Er besaß auf einmal etwas, was anderen viel wert war. In dem Augenzwinkern des Franziskus lag der Akt der Solidarität. Im Teilen erfahren wir Solidarität mit denen, die noch weniger haben. Freiheit leben Aus dem Beschenkt-Sein leben soll ein Zeichen sein, dass all das, was unser Leben lebenswert und kostbar macht, Geschenk ist und nicht zu kaufen oder Hl. Klara von Assisi 9

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