
„Brich Dir ein Loch in die Mauer – Was bleiben will, muss sich wandeln“: Unter diesem Motto fand vom 23. bis 25. Mai das 2. Mattenkapitel der Interfranziskanischen Arbeitsgemeinschaft (INFAG) statt. Die rund 70 Teilnehmer und Teilnehmerinnen vertraten dabei die ganze breite der franziskanischen Gemeinschaft. Franziskaner und Franziskanerinnen, Kapuziner, Franziskaner-Minoriten sowie Mitglieder verschiedener Einrichtungen des 3. Ordens folgten dem Ruf ins Tagungshaus neben der beeindruckenden Wallfahrtskirche „Zu Unserer Lieben Frau“ auf dem Schönenberg bei Ellwangen. Sie reisten an aus ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg. Zudem nahmen Gäste aus Brasilien und Benin teil.
Im Mittelpunkt des Kapitels standen die Herausforderungen, vor denen die Gemeinschaften als Ganzes, aber auch die Brüder, Schwestern und Laien selbst stehen. Das Leitmotiv der Konferenz – „Brich Dir ein Loch in die Mauer“ – war dabei biblischer Natur. In Kapitel 12 des Buch Ezechiel erhält der Prophet die Weisung, ein Loch in die Wand seines Hauses zu schlagen und mit seinem Gepäck hindurchzusteigen. Für die Brüder, Schwestern und Laien folgten daraus viele Fragen, um die sich die Diskussionen der drei Tage drehten: Vor welchen Mauern stehen wir? Mit welchen Mitteln können wir Löcher schlagen? Was erwartet uns auf der anderen Seite?
Franziskus und Klara als Vorbilder
Inspiration hierfür fand die franziskanische Gemeinschaft natürlich im Leben und Wirken von Franziskus und Klara. In ihrem Vortrag zeigte die Klara-Expertin Dr. Martina Kreidler-Kos insgesamt fünf Strategien zur Konfliktbewältigung auf, die sie den Biographien der beiden Ordensgründer entnahm. So diente unter anderem Franziskus‘ Geschichte von der wahren Freude als Beispiel für Geduld, während Klaras Auseinandersetzungen mit Papst Gregor IX. im Jahr 1228 und der Angriff auf San Damiano 1240 zeigten, wann und wie man Herausforderungen konfrontativ begegnen sollte. Wie man durch Dankbarkeit neue Ressourcen mobilisieren könne, zeigte Kreidler-Kos am Beispiel der letzten Lebenstage Klaras, während die lebenslange Unterstützung zwischen Franz und Klara ein klares Bild davon zeichnete, wie man durch gegenseitige Hilfestellung Hindernisse überwinden könne. Und an der Entstehung des Sonnengesangs wurde deutlich gemacht, wie man im Gebet ein „Loch in die Mauer schlagen“ könne.
Eine andere Perspektive auf Hindernisse und deren Überwindung gab Bruder Dr. Cornelius Bohl. Auch er widmete sich der Biographie des Franziskus, konzentrierte sich aber auf Momente des Übergangs – auf das steigen durch das Loch in der Mauer, sozusagen. Ein Beispiel hierfür war Franziskus‘ Bruch mit seiner Familie, mit dem er die Sicherheit seines bisherigen Lebens und Standes hinter sich gelassen hatte, ohne zu wissen, wohin ihn dies führen werde. Gerade dieses Ausbrechen aus eingeübten Formen und das damit verbundene Überschreiten von Grenzen sorgten dann für wichtige Wegmarken im Leben des Heiligen: Von der Begegnung mit dem Wolf von Gubbio bis hin zur Debatte mit dem Sultan. In den damit geschaffenen Grenz- und Zwischenräumen könne dann etwas Neues wachsen, so Bruder Cornelius. Unter der Überschrift „Krieche wieder zurück, Ezechiel“ wies er aber darauf hin, dass auch die Grenzüberschreitung Grenzen habe. Sie dürfe weder zu Beliebigkeit führen noch eine Flucht darstellen.
Von anderen Lernen
Neben diesen Vorträgen konnten sich Brüder, Schwestern und Laien in verschiedenen Workshops mit ganz konkreten Herausforderungen beschäftigen – und von denjenigen lernen, die diese bereits hinter sich gebracht hatten. Dabei ging es um Fragen des Staats- und Kirchenrechtes ebenso wie um die Auflösung von Handlungsblockaden oder Fragen an die eigene Lebensgestaltung.
Der letzte Vortrag des Treffens kam von Dr. Erny Gillen, ehemaliger Präsident der Caritas Europa sowie früherer Generalvikar der Erzdiözese Luxemburg. Er widmete sich vor allem dem Untertitel des Mattenkapitels „Was bleiben will, muss sich wandeln“. Dabei ordnete er diesen Satz nicht nur mit Blick auf das II. Vatikanische Konzil historisch ein. Er nahm ihn auch zum Anlass, die Weiterentwicklung des sozialethischen Dreischritts „Sehen-Urteilen-Handeln“ des belgischen Arbeiterpriesters und Kardinals Joseph Cardijn durch Papst Franziskus zu durchleuchten. Dieser formulierte den Dreisatz im Portugiesischen neu mit acompagñar (begleiten), discernir (unterscheiden) und integrar (integrieren).
Warum eigentlich Mattenkapitel?
Und warum nannte sich das dreitägige Treffen der franziskanischen Gemeinschaft Mattenkapitel? Der Begriff geht auf die frühesten Anfänge der franziskanischen Bruderschaft und Franz von Assisi selbst zurück. Immer zu Pfingsten reisten die Brüder nach Assisi. Da dort nicht genügend Platz war, schliefen sie auf Strohmatten – daher der Name. Damit stand das INFAG-Mattenkapitel, obwohl es erst das zweite seiner Art war, in sehr alter Tradition.