11.07.2025 Bruder Franz Richardt

Das Leid des Bergmanns

| Jetzt | Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt und uns besorgt, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Franz Richardt
Bruder Franz Richardt

Neulich saß ich mit drei Freunden zu einem zwanglosen Treff zusammen. Da sagte einer: „Ich kann die Tagesschau nicht mehr sehen, dieses viele Leid, diese um etwas Lebensmittel kämpfenden Menschen in Gaza. Diese sinnlose Zerstörung in der Ukraine. Ich schalte den Fernseher gar nicht mehr an!“

Diese Erfahrungen der Überschüttung mit Leid-Nachrichten empfinden viele als überfordernd. Ich erinnere mich an ein Seminar mit dem Traumatherapeuten Georg Pieper zum Thema „Überleben oder scheitern“. Darin gab er den Rat, z.B. bei einem Amoküberfall nur einmal am Tag die Tagesschau anzuschauen. Das immer wiederholte Anschauen bringt kaum neue Informationen, belastet aber das Gehirn und erzeugt Ohnmachtsgefühle, die nicht guttun. Ein kluger Rat!

In dem oben genannten Gespräch sagte ein anderer Freund: „Aber das darf uns doch nicht dazu bringen abzustumpfen, wenn uns Menschen ihr Leid klagen.“ Und er zitierte ein Gedicht von Thomas Mann:

Ich bin ein Bergmann
Ich bin ein Bergmann in der Seele Schacht
Und steige still und furchtlos dunkelwärts
Und seh‘ des Leidens kostbar Edelerz
Mit scheuem Schimmer leuchten durch die Nacht

Im Hinabsteigen in die Tiefen des Leids eines Menschen besteht – nicht immer, aber oft – die Möglichkeit, scheu die verwandelnde Kraft des Leidens zu erahnen. Dieses Mit-Sein mit dem Mitmenschen in seiner Not darf bei allem Schutz vor Überschüttung mit negativen Nachrichten nicht verloren gehen.


Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de.


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