05.05.2025 Bruder Johannes-Baptist Freyer

Franziskus, baue mein Haus wieder auf …

Die Entfaltung des franziskanischen Kirchenverständnisses

Die historische, durchaus ambivalente Ausprägung einer franziskanischen Kirchenvision wurde durch die Kirchlichkeit des Franziskus von Assisi angestoßen. Die Aufforderung, die Kirche wieder aufzubauen, die vom Kreuzbild in San Damiano an ihn erging, bezog er – wie es die späteren biographischen Quellen darstellen – zunächst auf verfallende Kapellen, nach und nach aber auch auf die Kirche als Glaubensgemeinschaft. Dem Auftrag folgend – so die Interpretation der Biographen – stellte er sich und seine Gemeinschaft in den Dienst der römischen Kirche, in der er den Höhepunkt einer schleichenden Mutation von der patristischen zur Kirche des Mittelalters erlebte. Vor dem Hintergrund dieses Wandels des Kirchenverständnisses kann die Kirchenvision der frühen Gemeinschaft der Minderbrüder und das Kirchenbild, das sich in der Tradition des Minderbrüderordens entwickelte, verstanden werden.

Giotto, der Maler dieses Freskos in der Basilika San Francesco in Assisi, folgte mit seinen Darstellungen der Biografie Bonaventuras. In den Schriften des Franziskus selbst findet sich kein Hinweis auf den Auftrag »Geh und baue mein Haus wieder auf …«. Gleichwohl prägte das Narrativ das Kirchenbild und das Selbstverständnis des Ordens.

Während in den ersten Jahrhunderten die Kirche verstanden wurde als Gemeinschaft aller Glaubenden, wird durch die Überbetonung eines durch Sakramente verliehenen »Charakters« der verschiedenen Gläubigen eine Trennung der »Laien« vom Klerus und unter den »Geistlichen« eine Hierarchisierung forciert. Wir stehen damit am Beginn einer Klerikalisierung der Kirche. Während das sakramentale Leben bislang als die Feier der Einheit des Leibes, der Gemeinschaft der Gläubigen verstanden wurde, wird nun vor allem die Feier der Eucharistie personalisiert und individualisiert. Nicht mehr die versammelte Gemeinde feiert diese, sondern der einzelne Priester zelebriert die Eucharistie, und eventuelle Teilnehmende erhalten eine Gnade. Zudem wird die Anzahl der gefeierten Messen multipliziert. Da die Konsekration der Gaben ausschließlich eine Fähigkeit der Priester ist, ist die Anwesenheit von Gläubigen nicht unbedingt erforderlich.

Lange Zeit wurde Pfingsten als Geburtstag der Kirche angesehen. Die Einheit der Gemeinschaft der Gläubigen mit dem Haupt der Kirche, Jesus Christus, wird in der Kraft des Geistes verwirklicht. Die Kirche wird daher als vom Geist bewirkt interpretiert. Nun wird die Kirche des Westens auf eine exklusive christologische Interpretation reduziert, und der Geburtstag der Kirche wird in der Öffnung der Seite Jesu Christi am Kreuz gesehen. Diese theologische Verschiebung der kirchlichen Geburtsstunde untermauerte die hierarchische Institutionalisierung. Innerhalb eines vom Geist bewirkten Selbstverständnisses wurden vorher die historischen Strukturen der Kirche als provisorisch angesehen, die eschatologisch durch Gottes Reich überwunden werden. Da die eschatologische Perspektive nun an Bedeutung verlor, nimmt die Kirche in ihren historischen Strukturen, die von Christus gewollt sind, ein zukünftiges Gottesreich vorweg. Dieser Kirche, deren Mutation in der Kirche von Rom des Papstes Innozenz ihren Kristallisationspunkt hatte, unterstellte sich die Gruppe der Minderbrüder.

Wie sehr sich Franziskus dieser Mutation bewusst war, lässt sich heute schwer nachvollziehen. Aber wie er und seine Brüder und auch erste Schwestern ihren Glauben in der damaligen Kirche gelebt haben, lässt sich verifizieren. Der Glaube des Franziskus ist zutiefst biblisch, christologisch und vom Geist durchtränkt geprägt.

Franziskus lebt und fördert in der Kirche das, was dem Evangelium entspricht

Im Zentrum steht die geradezu intime Beziehung zum Mensch und Bruder gewordenen armen Jesus Christus. Diesem begegnet er in bevorzugter Weise im Wort der Schrift und in der Eucharistie. Diesen Glauben hat er, wie er im Testament sagt, in den Kirchen gefunden. Seine Ehrerbietung an die Priester beruht daher nicht auf deren hierarchischer Stellung. Vielmehr achtet er deren Dienst, allen Glaubenden Zugang zu Schrift und Sakrament, Geist und Leben zu erschließen. So betont er auch das »Katholischsein« nicht im heutigen eingrenzenden konfessionellen Verständnis, sondern im Sinne der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft aller »religiös lebendigen Christen, Klerikern und Laien, Männer und Frauen, allen, die in der ganzen Welt wohnen …« (2. Brief an die Gläubigen). Ohne Standesunterschiede nimmt Franziskus immer alle Gläubigen in den Blick. So will er auch, dass die hierarchischen Titel in seiner wachsenden Bruderschaft nicht eingeführt werden. Diese werden durch eine Terminologie ersetzt, die dem Dienstcharakter entspricht. Er gründet keinen Priesterorden, in dem es auch Laienbrüder gibt; er initiiert eine Bruderschaft, in der es auch Kleriker gibt. In Leitungsämter werden Brüder auf Zeit auf Versammlungen der Brüder gewählt.

Johannes-Baptist Freyer lehrte als Professor für Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie an der Päpstlichen Universität Antonianum in Rom. Von 2005 bis 2011 war er Rektor dieser Universität. Heute ist er Referent für franziskanische Grundsatzfragen bei „Franziskaner Helfen“ in Bonn.

Historisch entwickelt sich dann diese Brudergemeinschaft nach dem Tod von Franziskus dennoch klerikal. Den Fußspuren des armen Christus folgend, lebte Franziskus mit den ersten Brüdern seinen Glauben meist an der Peripherie der Kirche unter den Armen und Ausgestoßenen. Während seine reiche Heimatstadt im Zentrum eine neue Kathedrale baut, sammelt er Steine, um die verfallenen Kapellen der Tagelöhner außerhalb der Mauern zu restaurieren. Seine evangeliumsgemäße Radikalität erinnert daran, dass die Institution der Kirche, die er anerkannte, dazu berufen ist, zu dienen und nicht das Wort Gottes zu verdunkeln. Wichtiger als notwendige institutionelle Strukturen ist die charismatische Grundhaltung, die dem Wirken des Gottesgeistes folgt. Die Freiheit des Geistes bindet Franziskus dann wieder durch seine Gehorsamsversprechen in die Institution Kirche ein. Diese Gehorsamsworte der Kirche und dem Papst gegenüber können beim oberflächlichen Lesen den Eindruck von Kadavergehorsam erwecken. Bei genauerem Hinhören kann man jedoch feststellen, dass das Ziel dieser Versprechen nicht der Gehorsam gegenüber Kirche und Papst ist. Das eindeutige Ziel des Gehorsams ist es, »die Armut und Demut und das heilige Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu beobachten, was wir fest versprochen haben« (Endgültige Regel 12,3f). Die »Unterwerfung« unter die Kirche und den Papst besteht insofern, dass diese dafür Sorge tragen, dass die Brüder nach dem Evangelium leben. Dafür Sorge tragen, dass die Brüder nach dem Evangelium leben, kann aber nur ein Papst und eine Kirche, die sich selbst am Evangelium orientieren.

Beim korrekten Lesen des Finalsatzes in der von Franziskus gewollten Regel erkennt man seinen bravourösen Schachzug: Mit seinem Gehorsamsversprechen verpflichtet er den Papst und die Kirche auf das Evangelium. Denn nur, wenn sie es selbst befolgen, können sie es im Gehorsam von anderen einfordern. Vor dem Hintergrund einer mehr und mehr zu einer hierarchischen Institution mutierenden Kirche kann man in Franziskus einen Gläubigen zwischen Gehorsam und praktischem Nonkonformismus sehen. In einer hierarchisch-klerikalen Kirche bewahrt er eine geschwisterliche Orientierung. Die institutionelle Kirche bringt er mit einer charismatischen Lebensweise in die Waage. Der Zentralisierung in Rom begegnet er mit der peripheren Kirche der Armen und Ausgeschlossenen. Er lebt und fördert in der Kirche das, was dem Evangelium entspricht, und er stellt sich, ohne Ablehnung, Besserwisserei und Verachtung Raum zu geben, dem entgegen, was nicht dem Evangelium entspricht.

Artikel aus der Zeitschrift Franziskaner, Frühling 2025


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