12.09.2025 Bruder Andreas Brands

Heiligsprechung mit gemischten Gefühlen

| Jetzt | Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt und uns besorgt, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Andreas Brands

Mit gemischten Gefühlen habe ich in den Nachrichten die Heiligsprechung von Carlo Acutis verfolgt. Seine Biografie ist für Jugendliche heute ein Anziehungsmagnet. 1991 in einer italienischen Familie geboren und in Großbritannien aufgewachsen, erkrankt Carlo mit 15 Jahren an Leukämie und stirbt an dieser Krankheit. Sein Interesse für das Internet hat er mit seiner Begeisterung für Glaubensfragen kombiniert. 2018 werden ihm heroische Tugendgrade zuerkannt, er gilt als Cyber-Apostel des 21. Jahrhunderts. Knapp 20 Jahre nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen.

Mit gemischten Gefühlen stand ich vor drei Jahren vor dem Sarkophag aus Marmor und Glas, in dem der Körper des verstorbenen Jugendlichen anschaulich hergerichtet ist, um besucht zu werden. Davor eine Traube von Touristen oder Pilgern in der Kirche Maria Maggiore, die sich mit dem Leichnam abbilden lassen. Pietätlos? Oder eine Devotionalie der besonderen Art? Ich selbst habe verweilend, auch betend, dort gestanden und mir angeschaut, was Menschen mit sich und dem toten Carlo veranstalten. Ja, wir Menschen lieben es, etwas zu sehen, uns mit einem besonderen Highlight abbilden zu lassen – jedoch muss die Frage zulässig sein, ob wir uns mit einem Verstorbenen abbilden lassen müssen.

Mit gemischten Gefühlen denke ich an Assisi, die Stadt unseres Ordensvaters Franziskus, die sich über die Jahrhunderte und trotz aller Kommerzialisierung noch einen Hauch jener Atmosphäre erhalten hat, die man nicht machen kann. Es ist ein Ort, der die franziskanische Spiritualität atmet und den Geist des Neuanfangs der Kirche im 13. Jahrhundert bewahren konnte. Wir haben Assisi nicht für uns gepachtet, das stimmt, doch ob es dem Städtchen in Umbrien guttut, zwei so unterschiedliche Heilige aus unterschiedlichen Zeiten zu beherbergen?

Mit gemischten Gefühlen schaue ich auf eine Kirche, die – wie mir scheint – die Gunst der Stunde ergriffen hat, einen jungen Mann heiligzusprechen, der sich als Identifikationsfläche für junge suchende Menschen heute „nutzen“ lässt. Wenn die Kirche nur dazu neigte, ihr Image durch die Heiligsprechung aufzupolieren, dann wäre das ein Irrweg. Schafft sie es, aus seinem Lebensbeispiel ansprechende und aktuelle Glaubensimpulse aufzugreifen, dann wäre der Heiligsprechung etwas abzugewinnen.

Ich wünsche Jugendlichen heute, dass sie sich von dem Zusammenspiel von Glauben und Internet inspirieren lassen und in Carlo Acutis einen Fürsprecher finden.


Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
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Immer freitags auf franziskaner.de.


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